Wirtschaft: Die Sonnenwende
Investoren aus aller Welt kaufen die Reste deutscher Solarfirmen auf. Ist das der Anfang vom Ende?
Berlin - Zwischen einigen Pkw, die auf dem Hof eines Autohändlers an der Wolfener Straße in Berlin-Marzahn dicht am Maschendrahtzaun stehen, sind Gräser und Sträucher so hoch gewachsen, dass sie die Autodächer überragen. Grillen zirpen. Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, steht das Werk der Solarfirma Inventux. Dort, hinter der Schranke, ist der Parkplatz zwar gepflegter – aber nur zu einem Drittel gefüllt.
Das Werk war vor fünf Jahren als Tor zum „Clean Tech Business Park“ errichtet worden, einem Projekt der Bezirksverwaltung. Die wollte mit Inventux und möglichst vielen Zulieferern vor Ort Jobs in einer Zukunftsbranche schaffen – auch für die Menschen, die in den Wohntürmen entlang der S-Bahn-Strecke leben. Daraus wird vorerst nichts: Inventux stellte vor drei Monaten Insolvenzantrag. Kurz bevor die Agentur für Arbeit die Lohnfortzahlungen an die Mitarbeiter einstellte, konnte der Insolvenzverwalter Rolf Rattunde, ein erfahrener Berliner Rechtsanwalt, dieser Tage doch noch eine Investorengruppe präsentieren: Zwei Unternehmen aus Chile und Argentinien, die nicht öffentlich genannt werden wollen – so, als bedauerten sie den Billigkauf schon jetzt.
Es heißt, sie kauften Inventux, weil die siliziumbasierten Dünnschichtsolarmodule der Firma besonders gut geeignet seien für den Einsatz in hoch gelegenen Wüstenregionen Südamerikas, wo die Investoren auch Kupfer- und Goldminen ausbeuten – mit Solarmodulen „Made in Berlin“. Eine abenteuerliche Geschichte. Gesichert ist, dass von den einst 270 Mitarbeitern rund 100 bleiben dürfen, für weitere 70 wurde eine Transfergesellschaft gegründet, die die Mitarbeiter bis Ende des Jahres für ein Leben nach dem deutschen Solarboom vorbereiten soll.
Es ist die Zeit der Sonnenwende, manche sagen auch -finsternis. Und fast nirgendwo kann man diese so gut beobachten wie im Berliner Osten zwischen Marzahn und Adlershof. Dort sitzt der Solarmodulhersteller Solon, einst Börsenstar an der Schwelle zum Milliardenumsatz. Reste aus der Insolvenzmasse gingen im Frühjahr an die von Indern geführte Microsol in den arabischen Emiraten. Seither wurde es still. Gleich nebenan im Forschungspark sitzt die kleinere Soltecture, einst von einem Forschungsinstitut aus gegründet. Die Firma galt als besonders innovativ, sie feilte an Fotovoltaiklösungen, die man raffiniert in Fassaden integrieren kann – verdiente damit aber nie Geld und ist nun ebenfalls zahlungsunfähig. Man munkelt, der chinesische Industriekonzern Hanergy sei an Maschinen und Technologie von Soltecture interessiert und würde auch gleich Reste der benachbarten Firma Global Solar mit übernehmen.
In der Solarbranche hierzulande ist ein Streit darüber ausgebrochen, was diese Wende für den Standort Deutschland bedeutet. Die einen sagen: Wenn sich eine Firma mit ihren Geschäftsmodell nicht durchsetzen kann, werde sie eben zahlungsunfähig. Da sei es doch gut, wenn sich Investoren fänden, die wenigstens einen Teil der Jobs erhalten. Die Gegenfraktion wird angeführt von der Solarworld AG aus Bonn, die als letzte Branchengröße ihre Unabhängigkeit bisher verteidigen konnte. Ihr Chef Frank Asbeck will die Zeit zurückdrehen. In den USA ist ihm das sogar schon gelungen: Dort schloss sich Solarworld mit Konkurrenten erfolgreich einer Anti-Dumping-Klage an. Nun dürfen die neuen Weltmarktführer aus China vorläufig nur mit Aufschlägen von gut 30 Prozent in die Staaten exportieren – so lange bis der Fall abschließend geprüft ist. Die US-Zollbehörde nimmt an, dass die Chinesen unter Produktionskosten verkaufen, um Marktanteile zu gewinnen. Das sei ihnen nur möglich, weil sie Billigkredite über 40 Milliarden Dollar erhalten hätten.
Asbeck wünscht sich eine ähnliche Regelung hierzulande und ließ dafür in Brüssel die Initiative „EU pro Sun“ gründen, der sich 20 kleinere Firmen angeschlossen haben. Prompt tauchte dort auch die „Allianz für Bezahlbare Solarenergie“ (Afase) auf, in der die wichtigsten chinesischen Importeure, aber auch einige deutsche Firmen, organisiert sind. Ihr Argument: Protektionistische Maßnahmen gegen chinesische Produkte seien nicht im Interesse der europäischen Solarindustrie. Chinesen, die mittlerweile 57 Prozent der Solarzellen und sogar fast 80 Prozent aller Module weltweit fertigen, würden durch Masse Solarenergie überhaupt erst bezahlbar machen. Zudem würde auch künftig ein Großteil der Wertschöpfungskette in Europa bleiben. Dieser Position schloss sich diese Woche auch der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) an, der einen Handelskrieg fürchtet. Bei den Autobauern dürfte man ähnlich denken.
„Kurzfristig mag die Anti-Dumping-Klage den heimischen Herstellern helfen, Zeit zu gewinnen“, sagt Stefan Grasmann, leitender Energieexperte bei der Zühlke Engineering in Eschborn. Mittelfristig aber, glaubt der Managerberater, werden sich chinesische Produzenten kaum abhängen lassen. „Sie werden immer besser – auch dank deutschem Know-how“. Er rät Mittelständlern, endlich wieder den Kunden in den Blick zu nehmen und nicht auf den Verkauf von Massenware zu setzten. Kleine Firmen sollten Kooperationen mit Lösungsanbietern eingehen. So könnten sie etwa Rundum-Sorglos-Pakete und Service-Modelle entwickeln und damit einen Vorteil gegenüber asiatischen Herstellern erreichen, deren Vertriebsstrukturen schlicht darauf ausgerichtet seien, große Mengen Module in den Markt zu bringen, sagt er.
Kevin P. Hoffmann
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