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Ethnolekt für alle: Eine Sprachforscherin hat sich in ihrer Doktorarbeit mit der Frage beschäftigt, wie Berliner Schüler sprechen.
© dpa

Forscherin über Jugendsprache in Berlin: Selbst Lehrer sagen: "Ich habe Schere in Schublade gelegt"

Die Sprachforscherin Diana Marossek hörte mehr als siebzig Schulklassen genau zu – und gewann mit ihrer Doktorarbeit nun einen Preis. Ihre These: Viele Ur-Berliner nehmen unbewusst die Sprache der Migranten an. Selbst einige Lehrer sprechen Ethnolekt.

Frau Marossek, Ethnolekt, Soziolekt oder Kiezdeutsch – was genau haben Sie da eigentlich untersucht?

Mir ging es um die Frage, wie Berliner Schüler sprechen. Wie es um die Mischung aus Berliner Dialekt und türkisch-arabischen Einflüssen steht. Ich habe gemerkt, dass der Begriff Soziolekt nicht mehr passt, da Ausdrücke wie „Ich geh’ Bus“ oder „Hast du Kippe“ von so gut wie allen jungen Berlinern verwendet werden, das hat also nicht so viel mit der Schicht zu tun. Kiezdeutsch finde ich gut, aber der Begriff kann das Phänomen nur für Berlin beschreiben, weil man hier bei Kiez an etwas ganz Bestimmtes denkt. Daher schlage ich den breiteren Begriff Ethnolekt vor.

Die Kernthese Ihrer Arbeit lautet also, Berliner ohne Migrationshintergrund würden unbewusst die Sprache der Migranten annehmen – alle sprechen Ethnolekt?

Genau so ist es. Ich habe beobachtet, dass deutsche Schüler, aber selbst einige Lehrer, in Alltagssituationen die Artikel und Präpositionen weglassen, also etwa: „Ich habe Schere in Schublade gelegt“. Außerdem werden viele türkische und arabische Ausdrücke gelernt. Deutsche Kinder in Klassen mit hohem Migrantenanteil lernen selbst regelrecht Türkisch, um sich verständigen zu können.

Woher kommt das?

Das kommt daher, dass man sich anpasst. Wenn man mit 29 türkischstämmigen Kindern in der Klasse ist, dann ist das unvermeidlich. Ich würde aber nicht sagen, dass damit irgendein Machtgefüge zum Ausdruck kommt. Es handelt sich um normale linguistische Interferenzen ...

... und die sind in Neukölln und Wedding natürlich am größten.

Ja, da bestätigen sich die Vorurteile. In Neukölln, Wedding, Kreuzberg und Reinickendorf geht es sprachlich am meisten zur Sache. Auffällig ist, dass in Ostbezirken wie Marzahn-Hellersdorf viel weniger Einflüsse des Ethnolekts zu finden sind, dafür berlinern die Schüler aber viel stärker. In Steglitz und Zehlendorf drücken sie sich am saubersten aus.

Außerdem schreiben Sie, gerade den Berlinern falle es leicht, Ethnolekt zu sprechen, da der hiesige Dialekt grammatikalisch ähnliche Strukturen habe. Wie kann das denn sein?

Ein besonderes Verwandtschaftsverhältnis zwischen Berlinerisch und Türkisch gibt es natürlich nicht. Aber der Grund für das Weglassen von Artikeln ist derselbe: Faulheit. Daher habe ich die These aufgestellt, dass Berliner neurolinguistisch besonders anfällig für das neue Kiezdeutsch sind, da sie die Strukturen schon kennen. „Ich bin auf Arbeit“ sagt man hier schon seit Hunderten von Jahren. Uns Berliner stört das ja nicht mehr.

Ihre Kollegin Heike Wiese aus Potsdam sagt, türkisch eingefärbte Sprache sei für Deutsche nur ein Stilmittel, das bewusst angewendet wird und auch vermieden werden kann. Sehen Sie das auch so?

Nein. Ich habe gesehen, dass es an bestimmten Schultypen für die Schüler nicht möglich ist, auf korrektes Deutsch umzuschalten. Frau Wiese hat mit einer viel kleineren Probandengruppe gearbeitet, wo die Beobachteten auch genau wussten, worum es ihr ging. Ich dagegen habe mich in mehr als siebzig achte und zehnte Klassen gesetzt, also zu 13- bis 17-Jährigen. Die Schüler dachten, ich sei Referendarin. Daher habe ich verlässlichere Zahlen. Aber viele Jugendliche, vor allem an Gymnasien, wenden Ethnolekt auch bewusst an, um stark zu wirken ...

... und das zumeist unter dem Einsatz gröbster Kraftausdrücke. Werden Jugendliche immer aggressiver?

Nein. Es handelt um ganze normale sogenannte rituelle Beschimpfung, ein altes Phänomen, das gerade durch den Gangster-Rap kultiviert wird. Es ist ein spielerischer Ritus, um sich gegenseitig zu bestätigen oder um Pausen zu füllen.

Wie war das Echo auf Ihre Arbeit?

Überwiegend gut. Lehrer sind auf mich zugekommen und wollen aus meinen Erkenntnissen Lehrmaterialien machen. Auch einige Politiker haben sich zu Wort gemeldet. Und einige Neonazi-Plattformen liefen heiß. Die haben sich darüber empört, dass ich das, was ich ermittelt habe, nicht schlimm finde. Es ist aber einfach so, wie es ist. Unsere Sprachgewohnheiten verändern sich. Mir geht es nur darum, für das Thema zu sensibilisieren.

Diana Marossek, 30, ist Soziolinguistin und promovierte an der Technischen Universität Berlin. Im Wettbewerb um den Deutschen Studienpreis zeichnete sie die Hamburger Körber-Stiftung mit einem zweiten Preis in der Sektion Geistes- und Kulturwissenschaften aus.

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