Mate und Zitate: Sechs Hipster über Hipster
Bärte, Brillen, Beutel: Hipster haben ein ramponiertes Image. Die Bezeichnung gilt als Beleidigung. Warum ist das so? Sechs Gedanken.
Hipster sind überall in Berlin. Und doch bin ich erstaunt, als mir die Personifizierung der Jugendkultur in der U-Bahn die Mateflasche in den Rücken rammt. Ich drehe mich um. Während die Flasche im Jutebeutel von seiner Schulter baumelt und dabei mal mir, mal anderen Fahrgästen in die Seiten schwingt, erzählt der Hipster seiner Begleiterin vom letzten Wochenende. Seinen Hinterkopf ziert ein Dutt, das Gesicht ein sorgfältig gepflegter Bart. Fasziniert betrachte ich ihn. Dieser Typ hier informiert seine Begleiterin, mich und alle anderen mit der Lautstärke eines brunftigen Hirsches über den geilen Club und die voll krasse unbekannte Indieband von gestern. Wie viel
Ego kann ein Mensch eigentlich haben? In diesem Moment hasse ich Hipster. Die kreativen, gebildeten, internationalen Leute, die Irgendwas-mit-Medien studieren und deren Leben eine einzige Selbstinszenierung ist.
Der hier veranschaulicht jedenfalls, warum niemand dankbar auf die Knie fällt, wenn er als Hipster bezeichnet wird. Während ein Öko mit Birkenstocksandalen, Wascherde und veganer Ernährung zumindest für seine gesellschaftskritische Überzeugung lebt, erzählt der Hipster nur davon. Er shoppt in Secondhandläden „für Nachhaltigkeit“ und gibt das eingesparte Geld anschließend bei Urban Outfitters aus. Einmal im Jahr nimmt er an einer Demo gegen Vorratsdatenspeicherung teil, ansonsten beschreibt er sein Leben detailgetreu auf Facebook und bestückt Instagram mit dem neuesten #foodporn. Eigentlich wollen Hipster ja nur das Leben genießen. Politisches Desinteresse, Anglizismen und im Mauerpark abchillen – vollkommen vertretbar. Was sie unausstehlich macht, ist ihre Überzeugung, sie seien die Individualisten schlechthin. Wir alle haben iPhones, tragen Chucks, hören Schallplatten und mögen Buddy-Holly-Brillen. Wir sind alle ein bisschen Hipster, als Jugendliche können wir uns dem gar nicht entziehen. Aber bitte, lieber Dutt tragender Hipster aus der U-Bahn, sei nicht so verdammt arrogant. Oder einfach nicht so laut schreien, ja?
Der echte Style
Jetzt haben sie es aber echt übertrieben. Die Siebenachtelhose ging noch, aber Sandalen? Mit Socken? Die Werbung auf der Rückseite eines Musikmagazins erwischte mich eiskalt. Ich habe alles mitgemacht: Hemden bis zum Kragen zugeknöpft, Schulbücher in Beuteln transportiert und mich in Röhrenjeans gezwungen, aber das geht zu weit! Der Hipster-Style hat ein großes Problem. Er ist so schön, dass alle so aussehen wollen – dann aber ist man nicht mehr individuell. Um wieder unverwechselbar zu sein, kommen einige junge Extremisten auf die Idee, mit Sandalen und Tennissocken in einen öffentlichen Park zu gehen.
Das finde ich frustrierend. Denn der Stil ist obercool. Ich bin froh, dass Prolls, die vor wenigen Jahren noch in Picaldi-Bomberjacken und grauen Jogginghosen in der U7 saßen, heute wie H&M-Schaufenstermodels aussehen. Das ist doch ein Anfang. Der Hipster-Style ist nicht nur beliebt, weil er gut aussieht. Er ist eine Mischung aus verschiedensten Bewegungen. Bunte Hippie-Hemden mit Lederjacken und Sneakers = Hipster. Röhrenjeans, schwarzes T-Shirt, lange Haare = Hipster. Frauen mit Schlabberjeans, bauchfrei und Blume im Haar = Hipster. Alle Leute, die über Hipster spotten, sehen entweder wie die übelsten Hipster aus oder sind langweilig. Aber noch häufiger denke ich: Sie sind eine Parodie ihrer selbst. Hipster wollen cool sein. Ihr nicht? Was ihr hasst, ist die fehlende Echtheit, aber diese Form von Hass finde ich nicht echt. Also chillt. Viva la Sandale! Mut zur Schlappe!
Das frisierte Gesicht
Sie sehen aus wie Holzfäller oder Super Mario: Hipster tragen Bart – und der will gepflegt sein. Daher tauchen überall in Berlin diese Gesichtsfriseure auf, die man sonst aus Mittelalterfilmen kennt. „Barber’s“ zum Beispiel ist ein Barbier in der Zillestraße in Charlottenburg. Das Geschäft wirkt schlicht. Schwarz und Weiß, das Logo zeigt die Silhouette eines Gesichts, eingerahmt von Haaren und Bart, darunter eine Fliege. Auf einer Anrichte liegt das Buch „Der Gentleman“. Ich fühle mich mit meinem sehr spärlichen Bartwuchs nicht so richtig willkommen.
Drinnen tragen aber nur wenige Kunden Bart, nicht mal alle Angestellten können eine durchgestylte Gesichtsbehaarung vorweisen. Aber ein Kunde meint, er gehe schon immer zu Tarik und lasse sich von ihm frisieren. Tarik ist der Inhaber. Wenigstens er trägt Bart. Die Kunden kämen wegen der persönlichen Atmosphäre, die Angestellten sprechen die meisten mit Vornamen an, natürlich erst, nachdem sie ein Getränk offeriert haben. Und obwohl mir ein Kunde versichert, dass Bärte cool seien und nicht nur Hipster welche tragen, ändert das nichts an meinem Eindruck. Und noch weniger an meinem Bartwuchs.
Der individuelle Fotoblog
Wer als Hipster was auf sich hält, benutzt Tumblr, um sein Mitteilungsbedürfnis durch kreative Texte und Bilder zu stillen. Aber: Ein Hipster surft selten allein. Über 230 Millionen Blogs sind mittlerweile online, jeder mit seiner ganz eigenen, ganz individuellen Note. Im Internet findet man unzählige Anleitungen für einen erfolgreichen Blog. Zum Beispiel diese:„Sei ein aktives Mitglied bei Tumblr“. Wenn du nicht rund um die Uhr bloggst, gerätst du in Vergessenheit. Tumblr-User haben einen unglaublichen Reblog-Durst und sehnen sich nach fancy Input, jederzeit. Auch um fünf Uhr morgens.
„Sei originell“. Dir gefallen dunkle Waldlandschaften und traurige Filmzitate? Schön, 20 Millionen anderen Nutzern auch. Als Alleinstellungsmerkmal reicht es nicht, ein unbekanntes Bild von Ryan Gosling zu posten. Die User müssen vor ihren MacBooks in Verzückung geraten, wenn sie zufällig auf deine Seite stoßen. Anregungen: jhnmclghln.tumblr.com postet Bilder mit flauschigen Tieren, cryingnewyork.tumblr.com gute Plätze in New York zum Ausheulen. „Mache außerhalb Tumblrs Werbung für deinen Blog“. Bevor du deine Freunde bei Facebook mit deinem Blog nervst, poste ihn „ganz zufällig“ in Chatforen oder Frageportalen, wo nach einem guten Tumblr-Blog gefragt wird. Hier hast du auch eine potentielle Zielgruppe und nicht deine entnervte Tante, die schon wieder einen Link zu deinem Tumblr zugeschickt bekommt. Hinter jedem süßen Mondkatzen-Bild und tiefgründigem Kafka-Spruch steckt ein kalkuliertes System: Reichen die Posts? Kommen sie bei den Followern an? Aber mal ehrlich, man wird damit weder auf der Straße erkannt, noch verdient man Geld.
Lieber einen Tumblr für sich ganz alleine erstellen und sich für das nächste Kunstprojekt oder den Fotografiekurs inspirieren lassen. Und wer weiß, vielleicht kommt ja irgendwann doch die zündende Idee für einen abgefahrenen Tumblr-Blog? Nackte Mädels in Jutebeuteln zum Beispiel?
Der natürliche Lebensraum
„Werd bloß nicht eine von denen“, warnte mich ein Freund, bevor ich vom Dorf nach Berlin zog. Jetzt verwende ich eine Club-Mate-Flasche als Kerzenhalter und besitze elf Jutebeutel. Berlin färbt ab. Ich gehe am Maybachufer entlang und schiebe mein klappriges Fahrrad mit selbstgeklebten Tigerentenstreifen neben mir her. Ich trage eine Jeansjacke von meiner Oma, die ich auf ihrem Dachboden in einem verstaubten Kleiderschrank gefunden habe. Dazu eine abgewetzte Ledertasche mit irgendeinem Literaturklassiker darin, und eine Kette, die ich für drei Euro in einem ramschigen Antiquitätenladen gekauft habe. Mir kommen Jogger, arabische Familien und Pärchen entgegen. Und niemand guckt mich an. Zurück im ländlichen Idyll, fern der hippen Hauptstadt. „Das kannst du nicht mehr anziehen“, sagt meine Mutter und zieht die Augenbrauen hoch. Skandal! Löchrige Strumpfhosen! Als ich mit meiner Pluderhose durch das Dorf spaziere, fangen die Nachbarn an zu tuscheln. „Die Tochter von Meyers hat sich aber verändert“.
In solchen Momenten bekomme ich Lust, mir einen Undercut zu rasieren, einen Stern auf den Unterarm zu tätowieren und ein Nasenpiercing zu stechen. Dann würde mich meine Oma zwar mit einem Zuchtbullen vergleichen. Aber wenn sie mich in Berlin besucht, würde sie sich beim Anblick der gepiercten Menschen ohnehin an den heimischen Kuhstall erinnert fühlen. Auch nicht schlecht. Bei dem Wort „Hipster“ denken die Dörfler zuerst an besonders komfortabel geschnittene Unterhosen. Hier ist alles funktional. Meine Mutter kauft ihre Oberteile bei einem Kleiderladen namens Puschendorf im Nachbarort. Viele geblümte T-Shirts. Meine Schulfreundinnen haben ihre Kleidung meist von H&M. Wenn eine von ihnen jemanden trifft, der das gleiche Top trägt, freut sie sich über den geteilten Geschmack. Ein Berliner Hipster würde die Krise kriegen, schließlich stellt das seine sorgsam nach außen getragene Individualität und Nonkonformität infrage. Wer weiß, vielleicht übernehmen ja in ein, zwei Jahren die Jugendlichen auf dem Land die Berliner Hipster-Mode. Dann müssten sich die heutigen Hipster neue Kleidung zulegen. Wie wärs mit Puschendorf?
Das nerdige Hobby
Eine Homeparty, es läuft Techno. „Ich hätt auch gern so ein Nerd-Hobby“, sagt ein Typ mit Schnurrbart, nachdem ich beiläufig von meinen Kakteen erzählt habe. Gewiss, Kakteen zu züchten ist nichts Gewöhnliches bei jungen Leuten. Doch was mich an diesem Satz empört, ist die Unterstellung, ich züchte diese schönen Pflänzchen nur für den Ehrentitel „Nerd“, eine Sonderspezies des Hipsters.
Gleichzeitig degradiert der Satz mein ernsthaft betriebenes botanisches Hobby zu einem bloßen Lifestyle-Gimmick, das ich lediglich dafür nutze, eine für Hipster typische Andersartigkeit zu inszenieren. Genau an diesem Satz meine ich erkannt zu haben, was Hipster eigentlich bedeutet: Schamlose Verlifestylung. Klar, man kann niemandem vorwerfen, dass er cool und individuell sein will. Haarsträubend wird es aber, wenn die Form den Inhalt so dominiert, dass davon nicht mehr viel zu finden ist. Am Ende bleibt nur die Frage: Was will uns der Hipster eigentlich sagen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mein zum Nerd-Hobby degradiertes botanisches Interesse wenig taugt, um meine Gefühle, Gedanken,
meine politische Orientierung oder Wesensart zu beschreiben. Und schon gar nicht ist es geeignet, mich in die Hipster-Ecke zu stellen.
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Anna Dombrowsky, Simon Grothe, Cyrill Callenius, Julia Tilk, Luisa Meyer, Henrik Nürnberger