Wenn in Kreuzberg plötzlich alle gleich aussehen: Der Hipster - bärtig, cool, verachtet
Der Hipster ist ein urbanes Mysterium – immer ganz vorne und idealer Prügelknabe seiner Vorgänger. Viele hassen ihn, Webseiten machen sich über ihn lustig und jetzt wurde auch noch ein Buch über ihn geschrieben.
Es ist wie bei Spießern, Strebern und Touristen. Hipster – das sind immer die anderen. Niemals man selbst. Was genau Hipster aber überhaupt definiert, darüber gehen die Meinungen grantiger Berliner auseinander. Sind sie nur ein paar unsichere, harmlose Witzfiguren mit Röhrenjeans, Jutebeuteln, riesigen Hornbrillen, albernen Schnauzern und Sieben-Tage-Bärten? Sind sie konsumgeile, selbstverliebte Kultursnobs, die mit Papis Kohle die Mieten in Neukölln, Kreuzberg und dem Wedding in die Höhe treiben? Substanzlose Totengräber der Berliner Subkultur?
Fest steht: Über die heißesten Bars, Clubs und Klamottendesigner Bescheid zu wissen ist cool, aber Hipster zu verachten ist cooler. Der New Yorker Künstler Jeff Greenspan stellte kürzlich in Brooklyn Fuchsfallen für Hipster auf, als Köder dienten pinkfarbene Ray-Ban-Sonnenbrillen und analoge Kameras. Blogs wie „Look at this fucking Hipster“ führen besonders groteske Exemplare vor.
Die Berliner Blogger von spreeblick.com geben angehenden Hipstern spöttische Ratschläge wie: „Bücher sind die einzige Möglichkeit, gebildet zu wirken, da jedes Gespräch zu Arbeit (sofern man eine hat) oder Studium (sofern man überhaupt noch hingeht) als uninteressanter Spießer-Small-Talk abgewertet wird. Daher sollten vor allem Nietzsche und Kerouac gelesen und zitiert werden.“ Und im Schaufenster einer Galerie in der Neuköllner Weserstraße hing monatelang eine Notiz, auf der stand: „Sorry, no entry for hipsters from the U.S.“ Menschen, die amerikanische Hipster imitieren, sowie spanische Hipster und Touristen sollten ebenfalls draußen bleiben.
Woher kommt diese Figur, die sich über kaum mehr als ihren Klamottengeschmack und ihr Konsumverhalten definieren lässt? Und wieso ist sie so sagenhaft unbeliebt? Der nun erschienene Sammelband „Hipster – eine transatlantische Diskussion“ versucht, dieses urbane Mysterium in Essays, Vorträgen und Interviews zu ergründen. Schwierig – der Herausgeber Mark Greif, ein New Yorker Literaturprofessor und Autor, bekennt bereits im Vorwort: „Jeder Versuch, die Hipster zu beschreiben, ist letztlich zum Scheitern verurteilt, weil darin am Ende nie alle die Hipster wiedererkennen, denen sie selbst begegnet sind.“
Der erste Hipster war der Jazz-Pianist Harry Gibson in den 40ern
Greif bezeichnet den Hipster als „existenziellen Besserwisser“, der fleißig nach coolem Herrschaftswissen sucht, um sich damit vom verachteten Mainstream abzugrenzen. Sobald die Masse eine Band, ein Kaltgetränk, einen Flohmarkt oder eine Rennrad-Marke entdeckt hat, interessiert sich der Hipster nicht mehr dafür. Jens-Christian Rabe bemerkt dazu in seinem Beitrag: „Vom Streber unterscheidet den Hipster nur noch, dass er die Anforderungen nicht in Mathematik oder Latein zur vollsten Zufriedenheit erfüllt.“
Ursprünglich kommt der Begriff „Hip“ aus der afroamerikanischen Jazzszene der zwanziger und dreißiger Jahre. „Hip“ stand in den Clubs von Harlem für angesagte Musik. Der jüdische New Yorker Boogie-Pianist und Sänger Harry Gibson imitierte den Slang schwarzer Jazzer wie Thelonious Monk und Dizzy Gillespie und gab sich als Erstes den Beinamen „The Hipster“. Der Journalist Anatole Broyard beschrieb in seinem 1948 erschienenen Aufsatz „A Portrait of a Hipster“ diesen als schwarzen Außenseiter, der durch eine eigene Sprache, Musik und Mode seine gesellschaftliche Isolation kompensiere. „Hipness is not a state of mind, it’s a fact of life“, lautete die nebulöse Beschreibung von Jazz-Saxophonist und Früh-Hipster Cannonball Adderley. 1957 deutete Schriftsteller Norman Mailer Hipster wie Harry Gibson in einem umstrittenen Essay zu weißen Neo-Bohemiens um, die als „White Negros“ die lässigen Codes der Schwarzen imitierten. Die Afroamerikaner seien von Natur aus so, wie linkische, weiße Kids gerne wären: Authentisch, sexy und gefährlich. Anfang der sechziger Jahre verliert sich die Spur des Hipsters in den Bars der Lower East Side von Manhattan.
Ende der Neunziger erspäht Mark Greif zum ersten Mal eine moderne Version des Hipsters in Brooklyn-Williamsburg. Schwarze Straßenkultur taugt den Neu-Hipstern nicht mehr zum Vorbild, Graffiti oder Gangsta Rap sind längst vom weißen Mainstream anerkannt worden. Also bedienen sie sich der Insignien der weißen Unterschicht, des „White Trashs“: Trucker-Kappen, Holzfällerhemden, Schnauzbärte. Sie perfektionieren die „ironisch gebrochene Inbesitznahme vormals als uncool geltender kleinbürgerlicher Herkunftscodes“, schreibt Jens-Christian Rabe in seinem Essay.
Anfang der nuller Jahre tauchen sie in Berlin auf. Sie sind aus Süddeutschland, aus Spanien, Schweden oder den USA gekommen. Mit teuren MacBooks und allerlei undurchsichtigen Kreativprojekten ausgestattet, bevölkern sie Cafés in Mitte und Kreuzberg. Sie eröffnen Bars, Bioläden und Galerien in ehemals grauen Vierteln wie Neukölln, sie machen ihre Bezirke zu ihren Vergnügungsparks.
Kein Trend bleibt geheim
Vielen Berlinern gefällt das nicht. Ihre Logik lautet: Die Stadt gehört denen, die zuerst da waren. Wenn auch nur ein paar Jahre früher. „Meine hippen Berliner Freunde sagen neuerdings: Wir gehen nicht mehr aus. Überall nur noch Touristen“, schreibt der Autor Thomas Meinecke in seinem Beitrag zum Sammelband. Die Hipster, befürchten ihre Gegner, sind wie Heuschrecken, die über Berlin herfallen, solange es angesagt ist, und gelangweilt weiterziehen, wenn ihr vormals cooles Viertel totgentrifiziert ist. Der in Kreuzberg aufgewachsene Rapper Kool Savas beschimpfte Hipster vor kurzem in einem Interview als „unpolitische Drecksmasse, der einfach alles scheißegal ist. Die nur darüber reden wollen, welche geilen limited Nikes es gibt. Die einen auf alternativer Penner tun, aber voll die Bonzen sind. Das kann man doch nicht geil finden.“
Womöglich sind viele Hipster-Hasser auch nur beleidigt, weil ihre Viertel und Klamotten nun nichts mehr Besonderes sind. Besitzstandswahrer, die sich nicht eingestehen wollen, dass sie die aufregendsten Partynächte längst hinter sich haben. Heimliche Ex-Hipster.
Dabei hätten sie eigentlich Grund zur Freude. Denn folgt man den Autoren des Sammelbandes, ist der superindividualisierte Hipster dem Untergang geweiht. Die permanente Gleichzeitigkeit von Facebook, Twitter, Blogs und Mails setzt ihn unter immer absurderen Abgrenzungsdruck. Kein noch so abseitiger Trend bleibt mehr geheim. Jeder kann sich einkaufen: H&M bietet Hornbrillen mit Fensterglas, Fixie-Fahrräder ohne Gangschaltung bekommt man mühelos auf ebay. Honda hat einen Werbespot gedreht, in dem eine ziemlich hippe Crowd gute Laune verbreitet. Ob in San Francisco, in Shoreditch im Osten Londons, in Lima, Johannesburg, Sydney oder Kreuzberg, überall stromern bärtige Jünglinge mit Jutebeuteln durch die Szeneviertel. Nie war ihnen der Mainstream näher auf den Fersen. „Wenn jeder alles immer und überall wissen kann“, schreibt Jens-Christian Rabe, „dann ist der Hipster eben auch nur noch ein Tourist.“
Mark Greif u. a. (Hrsg.): Hipster – eine transatlantische Diskussion. Suhrkamp, 208 Seiten, 18,90 Euro.