Gewalt gegen Lehrkräfte in Berlin: Schüler und Eltern im Kampfmodus gegen Lehrer
Fast jede zweite Schule berichtet über verbale oder handgreifliche Gewalt gegen Lehrer. Aber was bedeutet das für den Alltag? Antworten aus Berliner Brennpunktschulen.
Es geht um Kinder, die vulgäre Ausdrücke zu Lehrerinnen sagen. Kinder, die andere Kinder und den Lehrer schlagen, der schlichten will. Um Schüler, die Lehrkräften mit einer Schere in der Hand drohen. Und es geht um Eltern, die Lehrer beleidigen oder anschreien, weil sie finden, dass ihr Kind ungerecht behandelt wurde.
Gewalt gegen Lehrkräfte ist ein Problem, unter dem auch Berliner Pädagogen leiden. „Ich höre es von Kollegen, und ich habe es auch schon selbst erlebt“, sagt Heidrun Quandt vom Berliner Landesverband der Gewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE).
Eine VBE-Umfrage offenbarte das Ausmaß
Eine Studie des VBE hatte vergangene Woche Aufsehen erregt. Die bundesweite Befragung von 1200 Schulleitern hatte ergeben, dass es in den vergangenen fünf Jahren an fast jeder zweiten Schule zu Gewalt gegen Lehrkräfte gekommen ist. Die meisten Fälle von körperlicher Gewalt gab es demnach an Grundschulen.
Heidrun Quandt vom VBE Berlin ist selbst Grundschullehrerin und hat „den Eindruck, dass es in den letzten Jahren schlimmer geworden ist.“ Die Respektlosigkeit habe zugenommen. Lehrkräfte fühlten sich oftmals hilflos, zumal es auch immer wieder vorkomme, dass Schulleitungen die Vorfälle aus Angst um den Ruf der Schule herunterspielten.
Dabei helfe nur eine Null-Toleranz-Strategie, findet Quandt. „Es dauert im Moment zu lange von der Tat zur Sanktion – da müssen wir erst die Eltern einladen, da müssen Fristen eingehalten werden“, erklärt die Lehrerin. „Und über viele Sanktionen wie etwa einen Tadel lachen die Schüler sowieso nur.“
Ein Sozialarbeiter je 100 Schüler gefordert
Auch bei den schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungszentren (SIBUZ) kennt man das Problem der Gewalt gegen Lehrkräfte. „Es gibt immer wieder Pädagogen, die sich deshalb an uns wenden“, sagt Matthias Siebert. Er leitet den Fachbereich Schulpsychologie im SIBUZ in Steglitz-Zehlendorf und bietet selbst regelmäßig Fortbildung zu diesem Thema an.
„Wichtig ist, dass sich die Schulen mit der Problematik auseinandersetzen, am besten präventiv. Sie sollten Situationen durchsprechen und Strategien entwickeln, wie man sich dann verhalten kann, und wie sich Lehrkräfte gegenseitig unterstützen können.“
Bei vielen Pädagogen gebe es eine große Handlungsunsicherheit, zum Beispiel darüber, ob sie ein Kind, das ausrastet, anfassen dürfen. „Es gibt ein Recht auf Nothilfe und auf Notwehr. Wenn ein Kind sich selbst oder andere gefährdet, und man es mit Worten nicht mehr erreichen kann, dann kann es in der Situation erforderlich sein, es festzuhalten“, sagt Siebert.
Lehrkräfte sollten sich klarmachen, dass sich Schüler, die sich so verhalten, meist in großer seelischer Not befinden. „Es ist klug, sich damit auseinanderzusetzen, wo diese Verzweiflung herkommt. Man kann sich auch überlegen, ob man vielleicht mit eigenem Verhalten etwas ausgelöst hat.“
Siebert ermutigt Pädagogen, sich Unterstützung zu holen und die Vorfälle nicht zu bagatellisieren. „Es hilft, darüber zu reden und diese Situationen zu reflektieren. Dafür sind wir Schulpsychologen da.“ Arne Schaller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gibt zu Bedenken, dass die Schulen mehr Zeit und Ressourcen benötigen, um mehr für die Gewaltprävention zu tun. „Wir fordern deshalb eine Sozialarbeiterstelle je 100 Schüler an jeder Schule.“
"Oft entstehen Konflikte ja, weil man etwas nicht versteht“
Es gibt aber auch Schulen, die trotz schwieriger Bedingungen die Gewaltproblematik im Griff haben. „Vorfälle, in denen Lehrpersonal erkennbar unangemessen behandelt wird, gibt es bei uns kaum, die Zahl liegt im Promillebereich“, berichtet etwas Astrid-Sabine Busse, die eine Grundschule in einem Brennpunktviertel leitet. Von 650 Eltern mache „vielleicht eine Handvoll“ Ärger.
Ärger bedeutet: „Sie sind aggressiv, sie sind laut.“ Sie sind so, wie man das an vielen Schulen kennt. Also wird die Schulleiterin Busse, eine Frau mit viel Empathie, aber genauso viel Bereitschaft zur klaren Linie, auch mal laut. „Ich haue im Zweifelsfall auch mal auf den Tisch.“
Die Reaktionen sind beachtlich. Viele der Eltern kommen aus dem arabischen Raum, eine resolute Frau ist in ihrem Weltbild nicht vorgesehen. Und wenn Astrid-Sabine Busse mal sehr deutlich klarmacht, wer hier die Regeln bestimmt, „dann sind arabische Männer fassungslos.“
Erst starren sie die Pädagogin an, dann bricht es aus ihnen heraus: „Wie sprechen Sie mit einem arabischen Mann?“ Kühle Antwort: „Genauso wie mit einem deutschen Mann.“ Die Umgangsformen, die sie einfordert, erlauben keine nationalen Freiräume. Die klare Kante zeigt in aller Regel Erfolg. „Meist hilft es“, sagt Astrid-Sabine Busse. „Und es hilft natürlich, dass wir einen arabisch sprechenden Sozialarbeiter haben. Oft entstehen Konflikte ja, weil man etwas nicht versteht.“
Astrid-Sabine Busse ist auch Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen (IBS). Sie hat ein paar Grundregeln, mit denen man die Probleme zumindest eindämmen kann. „Man muss sich Zeit nehmen für die Gespräche. Man muss aber auch unbedingt Respekt abverlangen. Und wichtig ist eine klare Sprache. Man muss klarmachen, wer der Chef ist.“ Im Bedarfsfall muss ein Sprachmittler mitarbeiten. Und man müsse die Elternvertreter mit ins Boot nehmen.
Vor allem aber, ganz wichtig, sagt die IBS-Vorsitzende: Man dürfe mit einem aufgebrachten Elternteil nicht sofort reden. Erst wenn sich Vater oder Mutter beruhigt hätten, mit zeitlicher Verzögerung, solle man diskutieren. „Da gibt man den Eltern dann einfach einen Termin.“ In ihrer Schule stehen auch Hausbesuche auf dem Programm. Da besuchen dann Lehrer betroffene Eltern, ein häufig durchaus harmonisches Zusammentreffen. „Da wird man meist freundlich empfangen.“
„Wenn wir die Eltern aufgeben, geben wir die Kinder auf“
Von „unglaublichen Respektlosigkeiten und Beleidigungen“ gegenüber Lehrern berichtet Karoline Pocko-Moukoury, die Leiterin der Neuköllner Sonnen-Grundschule. Es gebe „Geschrei und Tiraden“ von Eltern, die sich „nicht mehr unter Kontrolle“ hätten. „Auch Schulleiter werden beschimpft – in der Hoffnung, einzuschüchtern“, hat Pocko-Moukoury erlebt. Meist entschuldigten sich die Eltern aber anschließend.
„Wenn wir die Eltern aufgeben, geben wir die Kinder auf“, begründet die Leiterin das Bemühen, den Draht zu den Erziehungsberechtigten nicht abreißen zu lassen. Zumal sie zu Gunsten der Eltern deren „desolate Lebenslage“ ins Feld führt. Diese Familien im sozialen Brennpunkt, die im Niedriglohnsektor arbeiteten, seien besonders von der Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt betroffen, zudem hätten sie oftmals jahrelang Bürgerkriege oder „brenzlige Situationen“ in ihren Heimatländern erlebt. „Es herrscht Lebenskampf“ beschreibt Pocko-Moukoury das Grundgefühl dieser Familien.
Auch Geburtstagsschläge gibt es noch immer
Bei den Kindern führe das etwa dazu, dass selbst die „Kontaktaufnahme über Kampf und Gewalt erfolgt“. Wo früher ein freundliches oder liebevolles Angucken erfolgte oder man sich an der Hand nahm, würde heute zugeschlagen – etwa bei den sogenannten Geburtstagsschlägen, die noch immer üblich seien. Die Kinder könnten sich offenbar nicht mehr anders austauschen. „Die Eltern kämpfen sich durchs Leben und die Kinder kämpfen mit“, beschreibt Pocko-Moukoury das, was sie beobachtet. Und – sie sieht bei ihren Schülern „alte Gesichter und das Leid darin“.
Nicht besser geht es den Kindern in anderen sozialen Brennpunkten. Aufsehen erregte vor drei Jahren der Fall der Mozart-Schule in Hellersdorf, in der Kinder, aber eben auch Lehrer Opfer von gewalttätigen Schülern wurden. Es dauerte lange, die Lage – zumindest äußerlich – zu beruhigen. Und anschließend gab es zwar keinen Wachschutz, aber einen hohen Zaun.
Die Spreewald-Schule setzt notgedrungen auf Wachschutz
Es gibt allerdings auch Schulen, die keinen hohen Zaun errichten können - aus praktischen, finanziellen oder ästhetischen Gründen. Und die überdies nicht einmal eine Gegensprechanlage haben. Dies gilt etwa die Schöneberger Spreewald-Schule. Als die Schulkonferenz der Schöneberger Spreewaldschule daher zum 1. März einen Wachschutz holte, ging es um den Vandalismus schulfremder Personen, um gewalttätige Schüler, aggressive Eltern. Inzwischen hat sich die Lage nach Elternangaben „deutlich verbessert“: Die Ruhe von außen wirke sich auch positiv nach innen aus, heißt es. Zur Vorgeschichte gehört, dass die Schule seit Jahren eine Gegensprechanlage gefordert hatte, um zumindest im Gebäude sicher zu sein. Als nichts geschah, beschloss die Schulkonferenz, den Wachschutz von Bonusmitteln zu bezahlen, was sie nicht durfte. Die Bildungsverwaltung sprang notgedrungen selbst ein, aber nur bis zur Reparatur der Tür. Die Schule soll den Schutz jetzt wieder abgeben, möchte ihn aber zumindest bis Sommer behalten, um die Lage nachhaltiger zu befrieden. Das SPD-geführte Schulamt hatte sich bisher ablehnend zum Wachschutz geäußert.
Übergriffe auch an der B.-Traven-Schule
Ganz anders hingegen die Lage in Spandau: Hier hat Bürgermeister und Bildungsstadtrat Helmut Kleebank (SPD) nach mehreren Übergriffen durch Schulfremde – auch auf Pädagogen – einem Wachschutzeinsatz an der B.-Traven-Sekundarschule zugestimmt. Gute Erfahrungen mit Wachschutz an sogar acht Schulen macht seit Jahren auch das SPD-geführte Neukölln.