Sybille Volkholz im Interview: „Wir brauchen Paten für Flüchtlinge“
Sybille Volkholz gründete 2005 das Lesepaten-Programm. Jetzt verabschiedet sie sich aus der Projektleitung. Ein Gespräch über Bürgerengagement an Schulen und neue Projekte.
Frau Volkholz, Sie vermitteln mit dem Bürgernetzwerk Bildung seit zehn Jahren Lesepaten an Berliner Schulen. Was hat sich seit den Anfängen verändert?
Die Schulen haben sich für bürgerschaftliches Engagement und für die Kooperation mit außerschulischen Partnern geöffnet. Mittlerweile gibt es mehr als 2000 Lesepaten an rund 200 Berliner Schulen und 90 Kitas. Noch vor 15 Jahren gingen die Schultüren sehr viel schlechter auf. Lehrer waren einfach nicht gewöhnt, mit ehrenamtlichen Helfern von außen zu arbeiten. Wir vermitteln nur an Schulen, die sich von sich aus melden und dementsprechend motiviert sind. Trotzdem war das Projekt für einzelne Lehrer am Anfang auch mit Ängsten verbunden. Diese konnten wir durch Gespräche aber fast immer auflösen, etwa indem Lesepaten zu Gesamtkonferenzen eingeladen wurden.
Warum braucht es Lesepaten zusätzlich zum Unterricht?
Das individuelle Lesen – sich zwanzig Minuten mit einem einzelnen Kind hinzusetzen und einen Text durchzugehen, kann sich eine Lehrerin nicht leisten. Das könnte sie auch nicht, wenn sie nur 15 Kinder in der Klasse hätte. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Dazu braucht es zusätzliche Förderung.
Sie vermitteln die Lesepaten an die Schulen. Wann klingelt danach bei Ihnen noch das Telefon?
Die Schulen, das heißt die dortigen Ansprechpartner und unsere Koordinatoren, sind dafür verantwortlich, dass die Lesepaten gut eingesetzt sind und die Arbeit funktioniert. Das klappt zu fast 90 Prozent auch gut. Wenn das Telefon klingelt, gibt es meistens Probleme, denn natürlich gibt es kleine Stolpersteine für Lesepatenschaften. Etwa, wenn vergessen wird, eine Lesepatin über einen Ausflug zu informieren und diese dann umsonst an die Schule kommt. Das passiert im stressigen Schulalltag schon mal. Das Telefon klingelt auch, wenn Lesepaten ausscheiden und Ersatz gesucht wird und wenn eine Schule zusätzliche Lesepaten haben will. Die meisten schreiben aber E-Mails.
Gibt es aktuell Bedarf an Freiwilligen?
Ja, nach den letzten Sommerferien wollten die Schulen insgesamt 400 neue oder zusätzliche Lesepaten. Der Bedarf ist hoch, auch an den Sekundarschulen.
Ist es schwieriger, Freiwillige für Jugendliche zu finden?
Ja, definitiv – viel schwieriger, obwohl wir verzweifelt werben. Die meisten wollen an die Grundschule. Mit Kleinen zu lesen ist spontaner, emotionaler – wenn auch nicht immer unkompliziert. Mit der Pubertät wird die Rückmeldung zurückhaltender. Viele Ehrenamtliche denken auch, dass in der 7. und 8. Klasse schon alle lesen können.
Ist das nicht so?
Es gibt Schüler, die mit der Grundschule durch sind und nicht vernünftig lesen können. Häufig sind das Jungs. Im Curriculum der Sekundarschulen findet Leseförderung nicht mehr systematisch statt. Außerdem brauchen wir Lesepaten für geflüchtete Jugendliche in den Willkommensklassen und auch als Lese- und Lernpaten für Fach- und Fremdsprachen und in anderen Fächern.
Jetzt, nach zehn Jahren, verabschieden Sie sich aus der Projektleitung. Was hat Ihnen an der Arbeit am meisten Freude gemacht?
Das ganze Projekt aufzubauen. Die Startveranstaltungen an den Schulen waren häufig dermaßen hinreißend. Bei einer Auftaktveranstaltung an einer Kreuzberger Schule fing die Schulleiterin neben mir an zu weinen. „Was ist denn los?“, habe ich sie gefragt. Sie war so gerührt, dass 15 interessierte Menschen an die Schule kamen, um Lehrer und Kinder zu unterstützen. Dann stand ich natürlich selbst schon halb unter Wasser. Das war einfach ein toller Moment.
Die Fragen stellte Katharina Ludwig.
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