Lesepaten gesucht: Buchstabe für Buchstabe
Das Bürgernetzwerk Bildung sucht Lesepaten für Willkommensklassen. Zwei Ehrenamtlich erzählen, worauf es bei ihrer Arbeit ankommt.
Lesen ist Anita Stapels Leidenschaft. Gerade liest sie mal wieder ihre geliebten Fontane-Romane, davor war der „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil dran. Mit einem solchen Wälzer braucht sie den Kindern, die sie zweimal die Woche in Neukölln besucht, allerdings gar nicht erst zu kommen. Den Kindern an der Elbe-Grundschule, an der Anita Stapel seit neun Jahren Lesepatin ist, reichen manchmal schon ein paar Worte. „Filialleiter“: Das kam vor kurzem in einer Geschichte vor, und die vielen „Ls“ seien ganz schön schwierig gewesen für Kinder, die gerade erst Deutsch lernen, erzählt Stapel, die von sich selbst sagt, sie sei „älter als man denkt“ und jedenfalls schon lange pensioniert.
Nachdem ihr Mann gestorben war, hat sie, die früher Arzthelferin gewesen ist, nach einer neuen Aufgabe gesucht. Der Aufruf von Sybille Volkholz, die als Leiterin des Bürgernetzwerks Bildung des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) Lesepaten suchte, kam ihr damals gerade recht, und bereut hat Anita Stapel ihr Ehrenamt seitdem noch nie. „Die Kinder mögen einen, die Lehrer erkennen einen an, man bekommt so viel zurück“. Für Neukölln hat sie sich entschieden, weil sie dort aufgewachsen ist.
Auch jetzt sucht der VBKI wieder Lesepaten, besonders für die Willkommensklassen, in denen Kinder und Jugendliche, die erst seit kurzem in Berlin sind und noch keine oder nur geringe Deutschkenntnisse haben, unterrichtet werden, bis sie in eine Regelklasse gehen können.
Mit Schülern aus solchen Willkommensklassen arbeitet Axel Kasper. Früher war er Fernsehjournalist, seit zwei Jahren ist der 75-Jährige Lesepate an der Buckower Heinrich-Mann-Sekundarschule. „Man muss schon mal gegenhalten können“, sagt er, Gewalt habe er aber noch nicht erlebt. Aus Afghanistan, Syrien, aus Griechenland oder der Mongolei kommen seine Schüler. Am Anfang lässt er sie ganz einfache Texte lesen, auf dem Niveau der ersten oder zweiten Klasse. „Ich habe schon mit Händen und Füßen erklärt, was manche Wörter bedeuten“, erzählt er. „Aber die Schüler lernen so schnell, innerhalb eines halben Jahres sprechen die meisten Deutsch.“ Viele Schüler schaffen so bald den Anschluss und können in den normalen Unterricht wechseln.
Auch Anita Stapel hat an der Grundschule schon mit Kindern gelesen, die noch gar kein Deutsch können. „Erst erklärt man Buchstabe für Buchstabe und denkt, das geht gar nicht voran, und dann platzt plötzlich der Knoten, und die Kinder verstehen ganz viel“, sagt sie. „Es ist schön, die Forschritte zu sehen.“ Sie liest am liebsten immer nur mit einem Kind – oder besser, sie lässt das Kind vorlesen.
Nur wenn ein neues Kind kommt, das noch kein Deutsch kann, dann kommt es erst mal bei einem anderen, schon erfahrenen Lesekind mit und schaut zu, das andere Kind kann vielleicht ein bisschen übersetzen. Geduld brauche man als Lesepate, Liebe zu Kindern, und gut erklären können sollte man auch, meint Anita Stapel. „Und man muss es aushalten können, dass es auch sehr laut sein kann.“ Sylvia Vogt
Wer Lesepate werden will, wendet sich an das Bürgernetzwerk Bildung, VBKI gemeinnützige GmbH, Fasanenstr. 85, 10623 Berlin, Tel.: (030) 726108-56, E-Mail: buergernetzwerk.bildung@vbki.de. Mehr unter www.vbki.de/lesepaten.
Sylvia Vogt
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