Erbärmlicher Zustand: Schulsanierung in Berlin kostet zwei Milliarden
Berlins Bezirke melden im Vergleich zu 2012 einen doppelt so hohen Bedarf. Und der Rückstau an den maroden Schulen wird durch Personalmangel noch verschärft.
Der Sanierungsstau an Berliner Schulen ist weitaus größer als bisher angenommen. Die Bezirke geben einen Bedarf an Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten im Wert von knapp zwei Milliarden Euro an. Den größten Rückstau gibt es in Steglitz-Zehlendorf mit rund 400 Millionen Euro. Dies geht aus der Antwort von Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) auf eine Kleine Anfrage des Piraten-Politikers Martin Delius hervor. Bisher wurde der Sanierungsstau auf rund eine Milliarde Euro geschätzt.
Rackles erklärt den Anstieg damit, dass die Bezirke den Bedarf jetzt anders errechnen als bei einer Abfrage im Jahr 2012. Damals meldeten die Bezirke einen Sanierungsbedarf in Höhe von 863 Millionen Euro und zusätzlich einen Bedarf für sogenannte Standardanpassungen in Höhe von rund 550 Millionen Euro. Mit Standardanpassungen sind zum Beispiel Erweiterungsumbauten gemeint, die bisher in der Rechnung nicht berücksichtigt wurden. Doch selbst wenn man beide Posten zusammen nimmt, ist der Bedarf um eine halbe Milliarde gestiegen. Zum Stichtag am 31. August 2014 betrug der Gesamtbedarf demnach 1,9 Milliarden Euro.
"Rumgedruckse" des Berliner Senats
„Das erscheint mir als ein wesentlich ehrlicherer Wert und zeigt die prekäre Situation, in der sich die Berliner Schulen befinden“, sagte Delius. Die Antwort des Staatssekretärs erwecke den Eindruck, dass die Bildungsverwaltung selbst von dem Zuwachs überrascht sei. „Wir haben schon öfter festgestellt, dass die Verwaltung Schwierigkeiten hat, das Investitionsvolumen ordentlich zu erheben“, sagte Delius und kommentierte die Erklärungen des Senats als „Rumgedruckse“.
Tatsächlich schreibt Rackles, dass der Senat die Meldungen der Bezirke nicht nachprüfe: „Ob der in neun Bezirken ausgewiesene Anstieg wirklich plausibel ist, kann daher senatsseitig genauso wenig valide eingeschätzt werden wie die Entwicklung der eigentlichen bezirklichen Sanierungsbedarfe.“
Gelder für Schulsanierungen wurden nicht abgerufen
Rackles verweist zudem darauf, dass sich durch neue bauliche Vorgaben die Kosten erhöht hätten. Um Schulen auf dem Weg zur Inklusion barrierefrei umzubauen, seien beispielsweise aufwendigere Toilettensanierungen, der Einbau von Aufzügen und größere Räume notwendig. Auch Brandschutz, IT-Ausstattung, Energiesparmaßnahmen und der Einbau von Alarmanlagen würden zu den höheren Kosten beitragen.
Delius erklärt, dass aufgrund von Personalmangel in den bezirklichen Bau- und Schulämtern sogar Gelder für Sanierungen nicht abgerufen werden. Es komme deshalb immer wieder vor, dass Gelder an andere Bezirke als vorgesehen fließen. So gingen 2013 mehr als 320 000 Euro aus Steglitz-Zehlendorf nach Spandau, weil Steglitz-Zehlendorf das Geld nicht rechtzeitig einsetzen konnte.
Auf die Personalengpässe angesprochen, verweist Rackles darauf, dass Steglitz-Zehlendorf mehr Personal abgebaut habe, als nach Senatsvorgaben bis 2016 erforderlich gewesen wäre. Auch in Marzahn-Hellersdorf sei mehr Personal als nötig abgebaut worden.
Es zieht, bröckelt, stinkt
So wünscht man sich keinen Arbeitsplatz: Durch alte Fenster zieht es, die Heizung funktioniert nicht, der Putz blättert von den Wänden und die Toiletten stinken. „Unseren Kindern muten wir das zu. Stellen Sie sich mal vor, in Banken oder Supermärkten würde es so aussehen“, sagt Nuri Kiefer. Er ist bei der GEW Berlin Leiter des Vorstandsbereich Schule und Rektor in Reinickendorf. Den Sanierungsrückstau und den teilweise erbärmlichen baulichen Zustand der Schulen in Berlin sieht er als eines der größten Probleme im Bildungsbereich an. „Denn welchen Eindruck vermitteln wir den Schülern, welche Wertschätzung bringen wir ihnen entgegen, wenn wir sie in verfallenden Gebäuden unterrichten?“
Die jüngsten Zahlen geben Kiefer recht. Knapp zwei Milliarden Euro beträgt der Sanierungsrückstau an Berliner Schulen inzwischen – und ist damit doppelt so hoch bis bisher angenommen. „Die Vorgaben sind in einigen Bezirken mittlerweile so, dass nur noch das repariert wird, was ansonsten zu gefährlichen Situationen führen würde“, sagte Kiefer. Es gebe viele Schulen, an denen seit 40 Jahren nichts gemacht worden sei. Auch an seiner eigenen Schule seien beispielsweise die Toiletten in einem so schlechten Zustand, dass es ihm unangenehm sei, Besucher dorthin zu verweisen.
Deutliche Unterschiede zwischen den Bezirken
Die Bildungsverwaltung erklärt den Anstieg der Sanierungskosten unter anderem damit, dass neue Vorgaben etwa beim Brandschutz oder bei der IT-Ausstattung höhere Kosten verursachen, zudem seien wegen des behindertengerechten Ausbaus Umbauten erforderlich.
Zwischen den Bezirken gibt es deutliche Unterschiede. Am größten ist der Bedarf in Steglitz-Zehlendorf, gefolgt von Reinickendorf, den geringsten Bedarf meldet Friedrichshain-Kreuzberg. Seit der letzten Abfrage ist der Bedarf in einigen Bezirken stark angestiegen. Reinickendorf meldete 2012 etwa einen Sanierungsbedarf von rund 58 Millionen, jetzt sind es über 300 Millionen. Bezirksstadträtin Katrin Schultze-Berndt erklärt das damit, dass ihre Mitarbeiter diesmal alle tatsächlich notwendigen Maßnahmen aufgeführt hätten. Bisher hätte es nämlich die Vorgabe gegeben, dass pro Schulstandort nur eine Summe von bis zu einer Million Euro angegeben werden konnte.
Gibt es eine Schule, die komplett in Ordnung ist?
Wie eklatant die Unterschiede zwischen dem eigentlichen Bedarf und den vorhandenen Ressourcen sind, erläutert der Bezirksbürgermeister und Schulstadtrat Stefan Komoß (SPD) aus Marzahn-Hellersdorf. Für Schulsanierungen stehen ihm als Budget rund 11 Millionen Euro zur Verfügung, die auch tatsächlich ausgegeben werden. Diese speisen sich aus verschiedenen Quellen, dem Bezirkshaushalt, dem Schulanlagensanierungsprogramm des Senats und dem Programm Stadtumbau Ost. Doch das reicht bei weitem nicht aus. „Vor kurzem hatten wir eine Routine-Brandschutzbegehung in einer Schulsporthalle. Die hat ergeben, dass die Halle abgerissen werden muss. Das sind dann auf einen Schlag vier Millionen Euro Extrakosten.“
Nuri Kiefer schlägt vor, die Sache mal umzudrehen. „Mich würde interessieren, ob es in Berlin eine Schule gibt, die komplett in Ordnung ist.“
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