Streit ums neue Berliner Schulgesetz: Rot-Rot-Grün schachert um die freien Schulen
Seit 15 Jahren soll die Finanzierung freier Träger reformiert werden. Kurz vorm Ziel droht Stillstand. Es geht um ein Gegengeschäft im Schulgesetz.
Das Ziel war klar und unter Rot-Rot-Grün konsensfähig: Berlins freie Schulen sollten zusätzliches Geld vom Land bekommen, um mehr Kinder aus armen Familien oder Förderschüler aufnehmen zu können. Das sollte der sozialen Mischung dienen. Nun könnte das Vorhaben trotz jahrelanger Vorarbeit scheitern.
Nach Informationen des Tagesspiegels will die Linke nur zustimmen, wenn in der geplanten Schulgesetzänderung auch die Abschaffung der Elternbeiträge für den Hortbesuch in Klasse 3 und 4 berücksichtigt wird. Dem Vernehmen nach ist die SPD einverstanden, während sich die Grünen angesichts der Berliner Finanzlage angeblich sträuben, bis zu 40 Millionen Euro Mehrausgaben zu produzieren. Die Lage ist so verfahren, dass sich aus der Koalition niemand äußern wollte.
Ein Scheitern hätte durchaus Skandalpotenzial, denn Berlins Bildungspolitiker ringen seit weit über 15 Jahren um eine Reform der Privatschulfinanzierung: In der jetzigen Form gilt sie intransparent und unbrauchbar, weil sie ausschließlich die Personalkosten abdeckt und auch von ihnen nur 93 Prozent, so dass alle anderen Kosten - etwa Schulbau, Gebäudeunterhaltung, Reinigung - vor allem durch Elternbeiträge aufgebracht werden müssen. Aus öffentlichen Programmen bekommen sie kein Geld oder nur verspätet.
Was bedeutet: Arme Kinder oder Kinder mit kostspieligen Förderbedarfen aufzunehmen, können sich die Schulen kaum leisten. Das wollte Rot-Rot-Grün ändern.
In der Koalitionsvereinbarung las sich das so: "Das neue Finanzierungsmodell soll im Rahmen der bisher zur Verfügung stehenden Zuschüsse eine höhere Zuweisung an Privatschulen ermöglichen, die verstärkt inklusiv arbeiten und Schüler:innen aus sozial benachteiligten Familien aufnehmen."
Die freien Schulen sollten Planungssicherheit bekommen - eigentlich
Zudem nahm sich die Koalition vor, die ganze Finanzierungssystematik der Schulen in freier Trägerschaft "transparenter zu machen und den Schulen Planungssicherheit zu geben". Zu diesem Zweck sollte ein neues Finanzierungsmodell auf Vollkostenbasis "bis Ende 2017 abgeschlossen und dieses ab 2019 eingeführt" werden. Der Zeitplan galt als realistisch, weil das Projekt bereits in der Legislaturperiode 2011-16 begonnen worden war.
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Das Vorhaben geht allerdings noch weiter zurück: Die Orientierung der Zuschüsse an den Personalkosten gilt bereits seit rund 20 Jahren als willkürlich und schwer vermittelbar, weshalb das Abgeordnetenhaus vorhatte, den freien Schulen stattdessen einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtkosten ("Vollkosten") eines öffentlichen Schulplatzes zu erstatten. Dies aber scheiterte daran, dass die Verwaltung nicht wusste, was ein Schulplatz kostet.
Zwar wurde dies später ermittelt, blieb aber ohne Konsequenz: Obwohl Vertreter der freien Schulen in zahllosen Sitzungen mit der Bildungsverwaltung über neue Finanzierungsmodelle verhandelten, kam das Vorhaben nie zu einem Abschluss: Meist scheiterte es daran, dass die Politik Mehrkosten befürchtete oder daran, dass eine Neuordnung als zu kompliziert galt.
Kritik an "Wildwuchs" bei den Elternbeiträgen
Neue Bewegung kam erst in die Diskussion, als eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin einen "Wildwuchs" bei den Elternbeiträgen und die fehlende soziale Mischung in den freien Schulen thematisierte, weshalb Rot-Rot-Grün die Sache angehen wollte - und erstmal nichts mehr von sich hören ließ.
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Das wurde spätestens 2019 ruchbar, als die Freie Interkulturelle Waldorfschule Berlin in Treptow fast pleite ging, weil sie ihre Elternbeiträge zugunsten der sozialen Mischung niedrig halten wollte. Damit stand ausgerechnet eine Schule auf der Kippe, die genau das tat, was Rot-Rot-Grün anzustreben vorgab.
Verschärft wurde die Lage der Schule noch dadurch, dass freie Grundschulen in Berlin fünf Jahre lang ganz ohne Förderung auskommen müssen: Ein großer Schuldenberg ist die Folge, wenn man keine hohen Elternbeiträge nehmen kann.
Dann aber schien alles ganz schnell zu gehen: Im Herbst 2020, so heißt es, sei sich die Koalition schon weitgehend einig gewesen sein, dass freie Schulen mehr Geld bekommen sollen für die Aufnahme ärmerer und Förderkinder. Einigkeit soll auch darüber bestanden haben, dass die Wartefrist von fünf auf drei Jahre verkürzt werden sollte.
Eine Schulgesetzänderung im letzten Moment?
Dann aber wurde es kompliziert, weil die hoch ambitionierten Bildungsfachleute plötzlich noch viel mehr in den Schulgesetzentwurf reinschreiben wollten: So soll die Schülermischung an den Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen besser werden - durch eine komplette Umstellung des Aufnahmeverfahrens - ein Ziel, das nun möglicherweise doch vertagt werden soll auf die kommende Legislatur.
Anders verhält es sich mit der Befreiung von den Hortbeiträgen für die Dritt- und Viertklässler: Darauf beharren SPD und Linke und verweisen dem Vernehmen nach darauf, dass diese Eltern-Entlastung schon im Dezember 2017 versprochen worden sein soll: Damals kam sie für die Erst- und Zweitklässler und sollte dann 2020/21 ausgeweitet werden - was bei den Haushaltsverhandlungen im Jahr 2019 an bereits knapper werdenden Ressourcen scheiterte.
Die Finanzlage hat sich durch Corona geändert
Das war noch vor Corona. Inzwischen ist das Geld noch viel knapper. Absehbar ist, dass es zu harten Einschnitten kommen wird, weshalb die Grünen angeblich nicht einsehen, warum dem Haushalt weitere 30 oder 40 Millionen Euro entzogen werden sollen für Hortbeiträge, die in der Elternschaft überhaupt nicht für Unruhe sorgen - im Gegensatz zu allem anderen, was in Berlins Schulen schief läuft.
Trotz dieses harten Dissenses sind die Koalitionäre noch nicht bereit, ihren Konflikt offen auszutragen - weil sie befürchten, dass kurz vor Ende der Legislatur der ganze mühsame Prozess der Gesetzesreform scheitern könnte: Noch hoffen sie auf einen Kompromiss oder Einlenken beim jeweils anderen Koalitionspartner.
Wer hören will, welche Botschaften die Bildungspolitiker:innen der Koalition, Maja Lasic, Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) und Regina Kittler (Linke) sowie der Opposition, Dirk Stettner (CDU) und Paul Fresdorf (FDP), in Sachen "Freie Schulen" haben und welche Forderungen die freien Schulen selbst erheben, kann alle Protagonisten bei einer Bildungsdebatte an diesem Mittwoch von 16 bis 18 Uhr erleben. Die Diskussion auf Einladung des Privatschulverbandes Berlin-Brandenburg wird digital übertragen.