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Sybille Volkholz war von 1989 bis 1990 Schulsenatorin und bis 1999 bildungspolitische Sprecherin der Grünen. 2005 gründete sie das Bürgernetzwerk Bildung, das Lesepaten vermittelt.
© Mike Wolff

Interview mit Sybille Volkholz: „Ganz Berlin muss inklusiv werden“

Die frühere Bildungssenatorin Sybille Volkholz leitete vier Jahre lang den Beirat zur Inklusiven Schule. Ihre Bilanz.

Frau Volkholz, seit vier Jahren leiten Sie den Beirat zur Inklusiven Schule. In der nächsten Woche ist die letzte Sitzung. Was haben Sie in dieser Zeit erreicht?

Wir haben eine Menge geschafft. 2013 hat unser Beirat 20 Empfehlungen an Bildungssenatorin Sandra Scheeres abgegeben, und fast alle unsere Vorschläge wurden inzwischen umgesetzt. Zum Beispiel werden jetzt Schwerpunktschulen eingerichtet, die sich auf bestimmte Behinderungen spezialisieren und dennoch Regelschulen für alle sind. Es gibt außerdem inzwischen in allen Bezirken Beratungszentren, die SIBUZ, also schulpsychologische und inklusionspädagogische Beratungs- und Unterstützungszentren. Ich bin auch stolz darauf, dass wir es geschafft haben, konstruktiv zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu finden.

Wo konnten Sie sich nicht durchsetzen?

Wir wünschen uns eine Schulgesetzänderung: Der sogenannte Haushaltsvorbehalt sollte gestrichen werden. Bisher können Schulen behinderte Schüler mit der Begründung ablehnen, nicht genügend Mittel und nicht die richtige Ausstattung zu haben. Wenn dieser Vorbehalt wegfiele, wäre der Druck größer, die Schulen ausreichend auszustatten. Dann könnten mehr Kinder in Wohnortnähe zur Schule gehen. Der Senat will aber offenbar erst die Schwerpunktschulen einrichten, bevor der Paragraf geändert wird. Ich fände es umgekehrt besser.

Noch etwas?

Wir haben Ombudsstellen vorgeschlagen, die gibt es auch noch nicht. Das wären unabhängige Stellen, an die sich Eltern und Schüler wenden können, wenn sie sich diskriminiert fühlen. Die SIBUZ reichen dafür nicht, denn viele Eltern wollen anonym bleiben und wenden sich lieber an Stellen, die nicht offiziell mit dem Schulamt zusammenhängen. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Ombudsstellen noch kommen, es gibt bereits ein Pilotprojekt in Neukölln.

Was waren die strittigsten Punkte?

Am meisten wurde und wird über die Feststellungsdiagnostik gestritten. Wir haben empfohlen, bei Kindern mit dem Förderbedarf Lernen, der emotional-sozialen Entwicklung und Sprache in der Grundschule keine Statusdiagnostik mehr vorzunehmen, sondern eine lernbegleitende Förderdiagnostik in den Schulen. Diese sollen dann eine verlässliche Grundausstattung erhalten. Die Höhe der Förderstunden soll sich danach richten, wie viele Kinder mit Lernmittelbefreiung es gibt. Ich finde das besser, weil die Kinder dann kein Label für mehrere Jahre bekommen, denn bei diesen Behinderungen kann sich ja auch durch die Förderung etwas verändern. Manche Eltern und Lehrer wollen aber an der Feststellungsdiagnostik festhalten. Sie halten es für diskriminierend, die Förderstunden nach der Lernmittelbefreiten-Quote zu bemessen und fürchten Verschlechterungen bei der Zumessung. Die Senatsverwaltung arbeitet an einer Verbesserung des Konzepts. Klar ist jedenfalls, dass keine Schule schlechter gestellt werden darf. Wir haben vor allem gefordert, dass die Umstellung nur vorgenommen werden darf, wenn es einen Nachsteuerungstopf gibt, mit dem Ungerechtigkeiten bei der Zuweisung von Lehrerstellen ausgeglichen werden können.

Von Eltern und Lehrern hört man immer wieder, dass es nicht genügend Personal für die Inklusion gibt.

Ja, die Klage hört man oft. Quantität ist aber nicht alles. Die Qualität ist mindestens genauso wichtig. Wir brauchen gut ausgebildete Lehrer, gute Unterrichtsmaterialien und die nötigen Räume. Und da sind wir auf einem guten Weg.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Schulen sollten noch mehr voneinander lernen. In Berlin gibt es ja schon viele Schulen, die erfolgreich inklusiv arbeiten. Lehrer, die Angst davor haben, kann man am besten überzeugen, wenn sie es sich selbst in der Praxis anschauen können. Wir sollten die laufenden Schulversuche genau auswerten. Und auch mal schauen, wie andere Länder das machen.

Befürchten Sie, dass angesichts steigender Schülerzahlen, der Integration von Flüchtlingen und der Raumknappheit die Inklusion ins Hintertreffen gerät?

Das darf einfach nicht passieren. Inklusion ist eine Grundvoraussetzung und ein Rechtsanspruch, kein Sahnehäubchen.

Wie geht es mit dem Beirat weiter?

Ich hoffe, dass es in der nächsten Legislaturperiode wieder einen gibt. Am besten wären sogar zwei. Einen fachlichen für Schule und Jugend bei der Senatsverwaltung, und einen, der beim Regierenden angesiedelt sein müsste: denn Berlin muss in allen Bereichen inklusiv werden.

Das Gespräch führte Sylvia Vogt.

Sybille Volkholz, 72, war von 1989 bis 1990 Senatorin und bis 1999 bildungspolitische Sprecherin der Grünen. 2005 gründete sie das Bürgernetzwerk Bildung, das Lesepaten vermittelt.

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