Anhörung im Abgeordnetenhaus Berlin: Inklusion = Frustration - und ein Tadel für Raed Saleh
Unterfinanzierung lässt Zustimmung zu Inklusion schwinden. Experten warnen vor Scheitern der Reform. Förderschulen fordern Wahlfreiheit für die Eltern. Und Berlin sucht neue Lehrer.
Die Bildungspolitiker der Koalition dürften sich streckenweise wie getadelte Schulkinder gefühlt haben: Mit drastischen Stellungnahmen haben einige der ausgewiesensten Inklusionsexperten Berlins vor dem rapiden Akzeptanzverlust des Reformvorhabens gewarnt. Das wichtigste bildungspolitische Ziel dieser Legislaturperiode drohe zu scheitern, wenn das Parlament nicht schnellstmöglich mehr Geld für die notwendige Unterstützung der Förderkinder bereitstelle, lautete die Mahnung, die bei einer Anhörung im Schulausschuss am Donnerstag alle Stellungnahmen dominierte.
GEW sieht "Stimmungsumschwung" in Kollegien
Anlass der Anhörung zum Stand der Inklusion war die jüngste Kritik von Grundschulverband und GEW: Beide Instanzen hatten über den Stimmungswandel in den Schulen geklagt, der auf der Unterfinanzierung der Reform beruhe. Die GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt gehörte deshalb auch zu den Experten, die vom Schulausschuss eingeladen waren. Sie nannte die entscheidenden Zahlen, die das aktuelle Dilemma der Integrationsschulen plausibel machen: In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl der Förderkinder, die integriert werden sollen, um 60 Prozent gestiegen, während das sonderpädagogische Personal nur um 17 Prozent verstärkt wurde. Diese Entwicklung habe zu einem „Stimmungsumschwung“ in den Kollegien geführt. Dagegen helfe nur eine bessere Personalausstattung, die die angemessene Förderung der Kinder überhaupt erst ermögliche.
Die Inklusion verlor gegen das Bonusprogramm
Selbst die Vorsitzende des von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eingesetzten Inklusionsbeirates, Sybille Volkholz, ist alarmiert. Bislang gehörte sie zu denjenigen, die Alarmismus und überzogene Forderungen ablehnen. Angesichts der aktuellen Entwicklung an den Schulen sprach sie aber bei der Anhörung vor „deutlich verschlechterten Bedingungen“. Es könne nicht sein, dass bei den Schülern nicht einmal mehr die Hilfe ankomme, die in den Zumessungsrichtlinien der Bildungsverwaltung vorgegeben werde. „Das ist ein unhaltbarer Zustand, der in den Kollegien die Motivation zerhaut“, sagte Volkholz. „Wir sind auf der Kippe“, warnte auch TU-Professor Ulf Preuss-Lausitz, der seit mehr als 40 Jahren für die Integration kämpft. Deutlich kritisierte er die SPD-Fraktion: Ihrem „kurzfristig erfundenen Bonusprogramm“ habe sie bei den Haushaltsverhandlungen den Einstieg in die Inklusion „geopfert“. Darum fehle jetzt das Geld, um die Reform angemessen anzuschieben. Das Parlament müsse nachbessern - aufkosten des Bonusprogramms. Die SPD-Abgeordneten fühlten sich angesprochen und verbaten sich die „Parlamentsbeschimpfung“. Das Bonusprogramm war eine Idee ihres Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh.
Schulhelfer erst Ende Dezember vollständig an den Schulen
Kritik kam aber auch noch aus einer anderen Richtung: Als Vertreter der Förderschulen warnte der Leiter der katholischen Sancta-Maria–Schule, Thomas Fischer, vor einer überzogenen Inklusion: Nicht für alle Förderkinder sei dies der beste Weg. Es müssten genügend spezialisierte Schule erhalten bleiben, um eine Wahlmöglichkeit zu garantieren. Auch seine Kollegin Uta Johst-Schrader von der Schule am Friedrichshain mahnte, dass die Inklusion nicht für alle Kinder der richtige Weg sei. Bei autistischen Kindern etwa könne der Betrieb in einer großen Schulklasse zu einer „massiven Überforderung“ führen. Dann brauche man Rückzugsräume.
Seit Beginn des neuen Schuljahres reißen die Klagen nicht ab. Zunächst ging es vor allem um die fehlenden Schulhelferstunden. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) musste zusätzliches Geld bereitstellen. Im Ausschuss am Donnerstag wollte die Opposition wissen, ob denn inzwischen alle Kinder die ihnen zustehen Helfer an ihrer Seite haben. Das werde erst Ende Dezember klappen, musste Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) einräumen. Der zuständige freie Träger schaffe es vorher nicht, das Personal bereitzustellen.
"Alle Deckel müssen weg", fordert die GEW
Wie berichtet, sind die Ausgaben für Schulhelfer und Integration gedeckelt. Das bedeutet, dass nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung steht - unabhängig vom tatsächlichen Bedarf. "Alle Deckel müssen weg", forderte Sigrid Baumgardt Die GEW-Vorsitzende verwies darauf, dass auch die Ausgaben für sonderpädagogische Facherzieherinnen gedeckelt sind.
Einstimmig hat der Schulausschuss des Abgeordnetenhauses am Donnerstag zudem einer Änderung des Dienstkräftegesetzes zugestimmt. Wie berichtet, soll die auf den Arbeitszeitkonten der Lehrer angehäufte Mehrarbeit besser abgegolten werden als bislang vom Senat geplant. Der Senat hatte versucht, einen Teil der Mehrarbeit unter den Tisch fallen zu lassen. Dies hatte ihm das Gericht untersagt. Die Opposition kritisierte, dass die pensionierten Lehrer rund eineinhalb Jahre lang auf ihr Geld warten mussten.
Berlin sucht neue Lehrer
Zum zweiten Mal lädt die Bildungsverwaltung potenziellen Lehrernachwuchs zum Berlintag in das Ludwig-ErhardtHaus. Rund 50 Schulen stellen sich am Sonnabend ab 10 Uhr vor (Fasanenstraße 85, Charlottenburg). Es werden erneut viele Interessenten aus Bayern und anderen Bundesländern erwartet, die zurzeit kaum Lehrer einstellen.
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