Neues Schuljahr: Berlin besetzt alle 2000 Lehrerstellen
Ein ungeheurer Kraftakt: Seit dem Zweiten Weltkrieg brauchte Berlin nicht so viele Lehrer. Nun sind sie an Bord, aber Sorgen bleiben. Zum Beispiel bei der Betreuung der Förderschüler.
Trotz des Berliner Verzichts auf die Verbeamtung ist es dem Senat gelungen, die große Lücke von mehr als 2000 Lehrern zum kommenden Schuljahr zu schließen. Nach Informationen des Tagesspiegels hat insbesondere der erhebliche Zuzug von jungen Pädagogen aus den anderen Bundesländern dazu geführt, dass der befürchtete Lehrermangel ausblieb. Zudem werden auch etwa 300 Seiteneinsteiger die Lücken füllen. „Es war eine einmalige Situation, aber der Notstand konnte verhindert werden“, sagte der Gesamtpersonalrat zum aktuellen Stand der Einstellungsverfahren. Seit 1945 hatte es in Berlin keine vergleichbar große Nachfrage nach neuen Lehrern gegeben.
Selbst in Problemregionen wie Neukölln ist es gelungen, die Schulen zu versorgen. „Zurzeit sind in Neukölln nur noch vier Stellen offen, in ganz Berlin 20 bis 30“, sagte Dieter Haase vom Vorstand des Gesamtpersonalrates am Freitag. Einzelne unbesetzte Stellen gebe es immer zum Schuljahresbeginn. Da sehe er „kein Problem“. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will erst am kommenden Donnerstag Bilanz ziehen.
Berlin könnte auch langfristig vom bundesweiten Lehrerüberhang profitieren
Der hohe Bedarf war entstanden, weil Berlin eine große Pensionierungswelle zu verkraften hat und erneut die Altersermäßigung einführt. Der Senat steuerte mit einer bundesweiten Anwerbeaktion dagegen und zahlt hohe Angestelltengehälter, um die Lücke zu den Beamten zu schließen. Zudem erklärte er fast alle Fächer zu Mangelfächern, was die Bewerbung von Tausenden Seiteneinsteigern auslöste. Und er organisierte einen "Berlin-Tag", zu dem Bewerber aus anderen Ländern eingeladen und anschließend durch die Stadt chauffiert wurden. Schließlich gab sich die Bildungsverwaltung auch durch eine geschickte Ortswahl bei den so genannten Castings viel Mühe, um die Stadt von ihrer besten Seite - etwa in der Zitadelle Spandau - zu zeigen.
Berlin hat gute Chancen, auch weiterhin vom Zuzug aus den anderen Bundesländern zu profitieren: Der Kultusministerkonferenz zufolge werden deutschlandweit bis 2025 pro Jahr etwa 7600 Lehrer mehr ausgebildet als benötigt. Das betrifft allerdings besonders die Gymnasiallehrer, die dann an Grund- und Sekundarschulen werden ausweichen müssen. Ein weiteres Problem ist, dass in Mangelfächern wie Physik die Lehrer nicht reichen. Mehr Unterricht denn je wird wohl fachfremd erteilt werden müssen, so die Befürchtung. Zahlen gibt es dazu noch nicht.
Jetzt beginnen die Crashkurse für die Seiteneinsteiger
Am Montag wird es für die Seiteneinsteiger ernst. Während Lehrer und Schüler noch ihre letzten Ferientage genießen, beginnen die Crashkurse für Referendare und jene rund 300 Seiteneinsteiger, die ohne pädagogische Ausbildung plötzlich vor ihren Schulklassen in Berlin stehen müssen. Wie führe ich ein Klassenbuch? Was bedeutet die „AV Aufsicht“ und wie funktionieren die Schulgremien? Fragen wie diese werden dazu führen, dass den Anfängern der Kopf rauchen wird, sobald ihre so genannte Einführungswoche begonnen hat.
In die Erleichterung mischt sich Skepsis: Für die Förderschüler reichen die Kräfte nicht
Zu den Anfängern gehören auch jene rund 200 Junglehrer, die zwar das erste Staatsexamen abgelegt haben, aber ebenfalls kaum über praktische Erfahrungen verfügen, weil ihnen das Referendariat fehlt. Das werden sie zwar – ebenso wie die Seiteneinsteiger – berufsbegleitend absolvieren. Aber der Anfang ist schwer, weil auch sie in Sachen Pädagogik und Didaktik noch relativ ahnungslos starten. „Wer dann auch noch in schwierige Klassen gerät, kann schnell ein Burnout erleiden“, mahnt Inge Hirschmann vom Grundschulverband. Sie empfiehlt der Bildungsverwaltung, ein Mentorenprogramm aufzulegen. Damit erleichterten andere europäische Ländern ihren Junglehrer den Start in den Berufsalltag. Die Schulen stehen vor dem Problem, dass sie nicht nur die Seiteneinsteiger sondern auch mehr Referendare denn je betreuen müssen. Bislang gibt es keine Unterrichtsermäßigung für Lehrer, die sich um die jungen Kräfte kümmern. Gegen die Ermäßigungsstunden sprechen die Kosten und die dünne Peronaldecke.
Über 5000 Förderschüler erhalten zu wenig Betreuung
Noch mehr als die Einarbeitung der ahnungslosen Junglehrer belastet die Schulen aber die Personalknappheit bei der Betreuung der Förderschüler. Bereits im vergangenen Schuljahr erhielten rund 5000 Schüler mit Lern-, Sprach- und Verhaltensproblemen weniger als die ihnen zustehenden 2,5 bis drei wöchentlichen Lehrerstunden als zusätzliche Unterstützung. Dies geht aus einer Kleinen Anfrage der grünen Abgeordneten Stefanie Remlinger hervor. Im kommenden Schuljahr werde diese Zahl noch steigen, prognostiziert Bildungs-Staatssekretär Knut Nevermann (SPD). Dies aber bedeutet, dass vor allem die Grund- und Sekundarschulen weniger denn je imstande sein werden, alle besonders schwierigen Schüler angemessen zu betreuen. Diese Situation ist entstanden, weil die Inklusion der Förderschüler schleichend eingeführt wird, ohne dass das System der Personalzumessung bisher umgestellt ist: Sonderschulkapazitäten verschwinden, ohne dass es adäquaten Ersatz an den allgemeinbildenden Schulen gibt. Das Personalbudget für die Förderschüler wurde seit Jahren nicht verstärkt. Neben Berlin ist es auch Brandenburg gelungen, seinen Bedarf an Pädagogen zu decken. Dort wurden knapp 1000 Lehrer benötigt. Brandenburg verbeamtet zwar, hatte aber Probleme, die Randregionen zu versorgen. Auch dies ist inzwischen gelungen.