Schulpersonal in Berlin gesucht: Lehrer-Casting: Oh, wie schön ist Spandau!
Berlin braucht wegen der Pensionierungswelle 2000 Lehrer auf einen Schlag. Um genug neue Pädagogen zu bekommen, lässt die Stadt fast nichts unversucht – und besinnt sich dabei auf touristische Attraktionen.
Der rote Backstein leuchtet ihm schon von weitem in der Sonne entgegen, als Sebastian Hertlein sein Auto parkt. Gut 350 Kilometer ist der 28-Jährige von Bayreuth hergefahren, um sein Glück als Lehrer in der Hauptstadt zu versuchen. Die Bildungsverwaltung hat zum Casting in die Spandauer Zitadelle geladen, und da läuft Hertlein nun bei 28 Grad über den glitzernden Wassergraben hinein in die Festung, unter ihm die schönsten Seerosen, die Spandau zu bieten hat. Der Pförtner weist den Weg zu den Italienischen Höfen rechts hinten in der Bastion Brandenburg, wo weitere Bewerber warten.
Denn Hertlein, frisch ausgebildeter Pädagoge für Wirtschaft und Geografie, ist nicht der Einzige, der an diesem Tag staunen darf über Berlins opulenten Festungsbau. Viele Pädagogen sind aus anderen Bundesländern, wo sie wegen eines Lehrerüberhangs keine feste Stelle bekommen können, angereist, um sich den gierig wartenden Berliner Schulleitern zu präsentieren. Die Gier hat ihren guten Grund, denn Berlin braucht 2000 neue Lehrer, die schon Mitte August vor ihren Klassen stehen sollen. Erst 600 haben fest zugesagt, der Rest ist Hoffnung. Hoffnung, die – angesichts der Bewerber aus anderen Bundesländern und angesichts der 3300 interessierten Quereinsteiger von überallher – jeden Tag ein bisschen größer wird. „Es sieht gar nicht so schlecht aus“, sagt Dieter Haase vom Gesamtpersonalrat der Berliner Schulen. Allerdings sei „alles noch im Fluss“, erst in 14 Tagen könne man mehr sagen.
Die Hoffnung der Personalräte, der Schulleiter und der Bildungsverwaltung richtet sich auf Pädagogen wie Sebastian Hertlein, die trotz einer Studienratsausbildung bereit wären, an einer Grundschule zu unterrichten. Hier ist der Bedarf am größten und die Bewerberlage am schlechtesten. Wobei es in den Randlagen von Spandau noch mal schlimmer ist als im übrigen Stadtgebiet. Was wiederum die Mühe rechtfertigt, die Bewerber in repräsentativer Umgebung zu empfangen – und nicht in einem öden Verwaltungsgebäude irgendwo in U-Bahn-Nähe.
„Sehr angenehm“ sei die Atmosphäre gewesen, sagt denn auch ein Studienrat, der das Bewerbungsgespräch schon hinter sich hat. Er will lieber anonym bleiben. Der junge Mann hat in Brandenburg studiert, seine Frau ist schwanger, die beiden wohnen in Berlin. Brandenburg verbeamtet zwar, braucht aber keine Studienräte. Er würde darum nur die Grundschulbesoldung bekommen. Berlin hingegen zahlt Studienräten das volle Oberschulgehalt von rund 4700 Euro brutto, auch wenn sie zunächst an einer Grundschule arbeiten und erst nach ein paar Jahren an ein Gymnasium oder eine Sekundarschule wechseln. „Zur Not“ würde er sich darauf einlassen, sagt Schmidt, bevor er der Zitadelle den Rücken kehrt.
Die Tatsache, dass die Berliner Grundschulen bis Klasse 6 gehen, macht es den Studienräten etwas leichter, über eine vorübergehende Arbeit als Grundschullehrer nachzudenken, Denn in ihren Schulen in Bayern, Hamburg oder NRW beginnen die weiterführenden Schulen mit Klasse 5, so dass die Lehrer schon Erfahrung mit etwa zehnjährigen Schülern haben. Dennoch sind einige Bewerber etwas verschnupft darüber, dass man ihnen bei der Einladung zum Casting nicht klar gesagt hat, dass dort fast nur Grundschulleiter auf sie warten werden. „Ich bin nicht für Erstklässler ausgebildet“, sagt ein junger Mann im akkuraten Oberhemd, der für das fünfminütige
"Wer will schon nach Schwedt oder Perleberg?"
Vorstellungsgespräch extra aus Baden-Württemberg angereist ist. Dennoch ist er nicht ganz abgeneigt, er kennt und mag Berlin und möchte mit seiner Frau, auch Lehrerin, beruflich gemeinsam Fuß fassen. Das sei jedenfalls besser als die „Provinz“. Die „Provinz“ schreckt auch manchen Junglehrer in Brandenburg. Zwar hat das Bildungsministerium stolz verkündet, schon 70 Prozent der benötigten neuen Lehrer an Bord zu haben. Aber der Rest dürfte schwierig werden. „Wer will schon nach Schwedt oder Perleberg?“, gibt ein Berliner Gewerkschafter zu bedenken. „Man möchte doch Lebensqualität haben!“, entfährt es auch einer 28-jährigen Pädagogin aus Nordrhein-Westfalen, die sich außerhalb ihrer Heimat nur in Berlin beworben hat und sich ebenfalls „vorstellen kann“, in Klasse 5 und 6 der Grundschule zu unterrichten. Auch wenn sie eigentlich eine „Präferenz für das Gymnasium“ hat.
Ein Lehrer reiste hunderte Kilometer an - und keiner wollte ihn
Nicht nur die Region Spandau/Reinickendorf/Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich große Mühe gegeben, Lehrer anzulocken. Zwar haben nicht alle Bezirke eine Zitadelle zu bieten, aber auch die anderen lassen sich nicht lumpen und laden ins Rathaus Schöneberg oder andere repräsentative Gebäude. „Dafür haben die Personalräte und Dienststellenleiter gesorgt“, sagt Gewerkschafter Dieter Haase, der ebenfalls die „angenehme Atmosphäre“ der Castings lobt. Allerdings berichten einige Personalräte auch von Pannen, so sei ein Lateinlehrer hunderte Kilometer angereist, ohne dass ein einziger Schulleiter da war, der das Fach brauchte.
Derartige Missverständnisse sind allerdings kaum verwunderlich. Schließlich hat es die Bildungsverwaltung mit einer Flut von mehr als 5600 Bewerbungen zu tun, die alle zu sichten und einzuordnen waren – noch immer kommen neue hinzu. Dabei war auch die heikle Frage zu klären, wer überhaupt für einen Seiteneinstieg infrage kommt. Die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft, Doreen Siebernick, berichtet nach den ersten Castings von „geeigneten Quereinsteigern“, die eine „spannende Berufserfahrung“ mitbrächten. Es sei aber wichtig, dass es an einer Schule nicht mehr als ein oder zwei Quereinsteiger gebe, damit die übrigen Kollegen in der Lage sind, den Neuling einzuarbeiten. Aber das ist dann das nächste Problem. Erst mal müssen die 2000 Stellen irgendwie besetzt werden.
Und das ist die Situation - die Kurzinfo: Berlin braucht wegen der Pensionierungswelle 2000 Lehrer auf einen Schlag. Erstmals wurden fast alle Fächer zu Mangelfächern erklärt, so dass auch Quereinsteiger eingestellt werden können. Mit bundesweiten Anzeigen und gezielter Suche in Ländern mit Pädagogenüberhang wie in Bayern ist es gelungen, mehr als 5600 Bewerber zu interessieren. Darunter gut 2000 mit Lehrerausbildung, die allerdings parallel auch in anderen Ländern ihr Glück versuchen und selten die gesuchtesten Fächer wie Mathematik und Physik zu bieten haben. Alle geeigneten Bewerber erhielten Einladungen zu Castings, die seit vergangener Woche in vier Regionen – jeweils für drei Bezirke – stattfinden.