zum Hauptinhalt
An der Johanna-Eck-Schule in Tempelhof sind die Zehntklässler zurück, sie werden in Kleingruppen unterrichtet.
© Kitty Kleist-Heinrich

Rückkehr der Zehntklässler in Berlin: Auf Einbahnstraßen zum Unterricht

Für alle Zehntklässler hat wieder die Schule begonnen – unter besonderen Bedingungen. In der Johanna-Eck-Schule in Tempelhof sollen Pfeile und Markierungslinien dabei helfen, die Abstandsregeln einzuhalten.

Auf den Boden sind mit weißem Band Pfeile und Markierungslinien geklebt, die Flure der Johanna-Eck-Schule sehen aus wie Autobahnausfahrten. Hier gilt eine Art Einbahnstraßenverkehr, man darf nur in eine Richtung gehen, die Schüler sollen sich ja nicht zu nahe kommen, also muss man Gegenverkehr verhindern. Und natürlich steht im Foyer ein Desinfektionsspender. Corona-Zeiten.

Aber jetzt haben sich die Zeiten an der Schule verändert, ein bisschen jedenfalls. Aber genug zumindest, dass Engin Çatik, der Schulleiter, begeistert sagt: „Jetzt kommt endlich wieder Leben in die Bude.“

Die „Bude“ ist eine Integrierte Sekundarschule in Tempelhof, sie öffnete an diesem Montag wieder für alle Schüler der zehnten Klassen. In ganz Berlin begann für diese Jahrgangsstufe an diesem Tag wieder der Unterricht.

Jede Klasse wird in vier Gruppen aufgeteilt

Eine Art Experiment natürlich. Wie funktioniert der Unterricht vor Ort unter Corona-Bedingungen? Çatik hat 800 Schutzmasken organisiert. „Nicht jeder hat ja eine zu Hause“, sagt er. Vier zehnte Klassen gibt es an der Johanna-Eck- Schule, es sind 105 der insgesamt 430 Schüler der Lehranstalt. Sie werden im Schichtsystem unterrichtet. Jede Klasse wird in vier Gruppen aufgeteilt, jeweils sechs bis sieben Schüler und ein Lehrer sitzen in einem Raum. Rund 50 Schüler kommen am Vormittag, der Rest am Nachmittag. Anders geht es nicht.

Auf den Fluren der Johanna-Eck-Schule markieren Pfeile die Wegrichtung, auf der sich die Schüler bewegen sollen.
Auf den Fluren der Johanna-Eck-Schule markieren Pfeile die Wegrichtung, auf der sich die Schüler bewegen sollen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Sechs Schüler tauchen gar nicht auf, weil sie entweder selber zur Risikogruppe zählen oder jemanden in der Familie haben, der infiziert war oder ist. Bei den Lehrern ist an diesem Tag die Situation entspannter. Alle, die eingeteilt sind, werden auch unterrichten. Die Johanna-Eck-Schule hat viele jüngere Lehrer. Nur wenige fallen wegen ihres Alters in die Risikogruppe.

[Was ist los in Ihrem Bezirk? Steht in unseren Tagesspiegel-Newslettern für die Berliner Bezirke. Kompakt, kostenlos - und haben schon 200.000 Haushalte im Abo: leute.tagesspiegel.de]

Çatik hat am Haupteingang auf die Schüler gewartet, voller Vorfreude. Er wollte aber auch sehen, ob sie sich an die Regeln zu Corona-Zeiten halten. „Haben sie“, sagt der Schulleiter. „Normalerweise kommen sie in Gruppen oder händchenhaltend, aber diesmal tauchten sie einzeln auf, sie hatten sich auch nicht vor der Schule unterhalten.“

"Die Schüler müssen ja einen Jetlag haben"

Für einige Schüler ist dies auch das Ende einer psychischen Leidenszeit. „Einige Familien leben in kleineren Wohnungen oder die Arbeitsbedingungen sind schlecht“, sagt Çatik. „Wenn vier Kinder gleichzeitig am Laptop arbeiten wollen, dann wird das natürlich zu einem Problem.“ Und die Lehrer, die permanent mit ihren Schülern in Verbindung waren, besetzten nicht bloß die Rolle der Pädagogen, sie gaben auch ganz praktische Tipps für den Alltag. „Was meine Lehrkräfte geleistet haben war der Wahnsinn“, sagt Çatik. Kein Wunder, dass er seine Kollegen ermuntert hatte, in den ersten zwei Tagen Raum für Gespräche mit den Schülern zu lassen, über ihre Erfahrungen, ihre Sorgen.

Florian Bruns unterrichtet Mathematik und Kunst, an diesem Vormittag steht er unter anderem vor sechs Schülern der 10/2. „Die müssen ja einen Jetlag haben“, sagt er später, außerhalb des Unterrichts. Vielleicht haben seine Schüler deshalb „lange gebraucht, um aufzutauen“. Sie wollten erstmal nicht groß über die vergangenen Wochen reden.

Zwei dieser Schüler sind Samantha Steinecke und Philipp Thiel. Der 15-Jährige Philipp sagt: „Die Nerven waren am Ende.“ Zu Hause machte es zunehmend weniger Spaß zu arbeiten. „Wir haben auch sehr viele Aufgaben erhalten. Hier finde ich es besser.“ Und natürlich, die sozialen Kontakte hätten gefehlt. Samantha Steinecke, 16 Jahre alt, dagegen hat sich „nur mittelmäßig auf die Schule gefreut“. Zu Hause lernte sie gerne, es war ruhiger als in der Schule.

Dumm nur, dass die Prüfungen zum Mittleren Schulabsschluss (MSA) abgesagt wurden, jetzt hat die 16-Jährige das Gefühl, „dass ich vergeblich gelernt habe“. Hat sie nicht, die Noten können noch verbessert werden, sie will ohnehin in die Oberstufe wechseln. Auch Philipp Thiel sagt, er wolle konzentriert weiter arbeiten, „die Noten können noch verbessert werden“.

Nächste Woche kommen auch die Neuntklässler zurück

Florian Bruns geht davon aus, „dass die alle noch mitziehen“. Er zieht aus den vergangenen Wochen interessante Erfahrungen. „Wir wollen mit dem Lernraum unbedingt weitermachen, er hat sich bewährt. Die Kommunikation mit den Schülern ist viel besser als früher.“ Zur Erfahrung gehört aber auch, dass digitale Lernformen allein nicht optimal sind. „Ich kann da niemanden an die Tafel holen und sagen: ,Du kannst den Stoff doch, zeig’ mal den anderen, wie es geht.’“

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

Die Schulleitung dürfte sehr bald die Erfahrung machen, wie sie eine ganz besondere Herausforderung bewältigt. Denn von der nächsten Woche an kommen die Schüler der neunten Klassen zurück. „Dann“, sagt Axel Jürgs, der Verwaltungsleiter der Schule, „wird es knirsch.“ Bedeutet? „Man bekommt den Unterricht schon noch hin, aber bei den Räumen wird es eng. Da muss man dann Fachräume zu Unterrichtsräumen umfunktionieren, oder in der Aula unterrichten.“

So richtig knirsch wird es aber, wenn – irgendwann in nächster Zeit – auch die Schüler der Klassen sieben und acht durch die Eingangstür gehen. „Dann“, sagt Jürgs, „müssen wir alle Räume, die irgendwie zur Verfügung stehen nützen, auch das Arbeitszimmer der Lehrer.“ Aber weil dies allein nicht reichen wird, denkt der Verwaltungsleiter noch an eine weitere Lösung: „Dann könnte der Samstag Schultag werden.“

Die Johanna-Eck-Schule hat seit Beginn der Schulschließungen ein Online-Tagebuch geführt. Im Tagesspiegel-Leute-Newsletter Tempehof-Schöneberg veröffentlichen wir daraus Auszüge. Die Leute-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de

Zur Startseite