Ticket per App: Schneller als der Kontrolleur erlaubt
Ein Countdown soll Fahrgäste von U- und S-Bahnen daran hindern, mit Handy-Tickets zu tricksen. Nur weiß das kaum jemand.
Die Möglichkeiten, wie man versehentlich – oder eben doch bewusst, wer weiß das schon im Einzelfall? – zum Schwarzfahrer werden kann, sind immerwährender Gesprächsstoff für die Kundschaft von Bussen und Bahnen. Jetzt gibt es interessanten Nachschub zu diesem Thema.
Der Betroffene, Journalist bei „Bild“, schildert den Vorfall so: Sonntagabend, Flughafen Schönefeld, per Handy mit der BVG-App ein ABC-Ticket gebucht, in die S-Bahn gesprungen – und dort von einem Kontrolleur als Schwarzfahrer erwischt worden. Begründung: Er habe das Ticket nicht wie vorgeschrieben zwei Minuten vor Fahrtantritt gekauft. Der Fahrgast kannte die Regel nicht, und in den Beförderungsbedingungen der S-Bahn ist sie nicht zu finden. Zum Thema Handy-Tickets steht dort lediglich, dass sie nur in Verbindung mit einem Ausweis gelten.
Aus Kulanz wurde der Vorgang eingestellt
Der Fahrgast machte seinen Ärger über diesen Fall via „Bild“ und Twitter publik, droht der S-Bahn mit dem Anwalt und beklagt sich außerdem über den Ton des Kontrolleurs sowie über einen angeblich angebotenen Deal, bei dem er mit sieben Euro statt der regulären 60 davongekommen wäre, der aber „auf mich betrügerisch wirkte“.
Ein Bahn-Sprecher bestätigt die Zwei-Minuten-Regel am Dienstag grundsätzlich. Sie solle Fahrgäste daran hindern, ihr Handy-Ticket erst dann zu buchen, wenn Kontrolleure einsteigen. Ob man streng genommen die Bahn wegfahren lassen muss, statt sofort einzusteigen, blieb unklar. Im konkreten Fall des „Bild“-Journalisten, dessen Verlauf inzwischen nachgeprüft worden seien, habe es jedoch ein Darstellungsproblem gegeben. Wegen einer technischen Panne sei das zuvor erworbene Ticket auf dem Smartphone nicht abgebildet worden, also nicht vorzeigbar gewesen. Aus Kulanz habe die Bahn deshalb entschieden, den Vorgang einzustellen.
Auch die BVG wendet nach Auskunft von Sprecherin Petra Reetz die Zwei-Minuten-Regel an – mit derselben Begründung. Die Kontrolleure seien aber angehalten, kulant zu sein, „sofern sie nicht gerade beobachten, wie jemand im U-Bahn-Wagen noch schnell sein Ticket übers Handy bucht“.
Missverständnis oder Absicht?
Letztlich gelten für alle Verkehrsunternehmen die Beförderungsbedingungen des Verkehrsverbundes VBB, in denen ebenfalls nichts von der Regel steht. Die versteckt sich nur online in einem Untermenü: „Der 2-Minuten-Zähler ist ein kleiner Countdown auf dem Handyticket, oben rechts in der Ecke.“ Mit ihm solle das Kontrollpersonal den Kaufzeitpunkt nachvollziehen können, der bekanntlich „vor Fahrtantritt“ liegen muss. Dazu gibt’s den Tipp, dass bei rotem Countdown die Uhrzeit mit dem zentralen Server synchronisiert werden sollte, „damit keine Missverständnisse auftreten“.
Theoretisch sind solche „Missverständnisse“ auch beim Handyparken denkbar, indem beispielsweise jemand im Café mit Blick auf sein schwarzparkendes Auto sitzt – und erst dann einen Parkschein bucht, wenn das Ordnungsamt auftaucht. Die Parkraumkontrolleure geben das Kennzeichen in ihr Prüfgerät ein – und bekommen über den Systembetreiber die Rückmeldung, ob fürs jeweilige Auto bezahlt wurde. Philipp Zimmermann vom Branchenverband Smartparking kennt keine einschlägigen Streitfälle oder Betrugsversuche. Nach seinen Angaben rechnen die Systembetreiber die Parkscheine minutengenau ab, beginnend mit der Minute, während derer das Ticket gebucht wird.
Je nach Bezirk würden inzwischen bis zu 30 Prozent der Parkscheine digital gebucht. In der City, wo auch die höchsten Gebühren gelten, sei die Quote am höchsten. Das Berliner System sei technisch nicht das allerneueste, aber werde überdurchschnittlich gut angenommen. Anderswo würden die Kennzeichen parkender Autos schon direkt beim Ticketkauf vom Automaten abgefragt oder sogar von Robotern ausgelesen – etwa in den Niederlanden und in Skandinavien. Diese Technik sei allerdings so teuer, dass sie sich bei den dort üblichen Strafen eher amortisiere als in Deutschland: „Hier kostet Schwarzparken ja nur ein Zehntel von dem, was in anderen EU-Ländern üblich ist.“
Stefan Jacobs