Kohlekraftwerk in der Lausitz: Rund 3000 Teilnehmer beenden die Blockaden
Von Freitag bis Sonntag haben Klimaaktivisten die Versorgung des Braunkohlekraftwerks Schwarze Pumpe unterbrochen. Die Proteste verliefen überwiegend friedlich. Nur am Samstag gab es ein paar Mal Ärger.
Am Sonntag um 15 Uhr haben die Aktivisten des Bündnisses "Ende Gelände" die Protestaktionen in der Lausitz beendet. Allerdings waren nicht alle Aktivisten auch gleich bereit, ihre Posten an den insgesamt fünf Blockaden zu verlassen. Die Polizei gab den Aktivisten bis 16.30 Uhr, um die Gleise der Kohlenbahnen zum Kraftwerk Schwarze Pumpe zu räumen, ohne dass ihre Personalien festgestellt werden sollten. Wenn sie bis dahin ihre Aktion nicht beendet hätten, kündigte die Polizei die Räumung an. Diese zog sich allerdings noch über Stunden hin.
Aber erst sollte noch einmal gefeiert werden. 48 Stunden nach dem Beginn der Blockaden, haben die Besetzer ihre Protestaktionen nach einem Unwetter aufgehoben. Am Morgen hatten sich die Veranstalter darauf geeinigt, sagte eine der Sprecherinnen von Ende Gelände, Dorothee Häussermann, dem Tagesspiegel am Sonntag. Die knapp 3000 Teilnehmer des Klimacamps am Tagebau Welzow Süd wollten sich dann mit Bussen, zu Fuß und mit Fahrrädern auf den Weg zu den verschiedenen Blockaden machen, um dort zu feiern und die Blockaden dann gemeinsam zu beenden. Rund 1000 Demonstranten waren aus dem europäischen Ausland in die Lausitz gekommen, viele aus Schweden, aus den Niederlanden, Tschechien, Österreich und Frankreich, berichtete Häussermann.
Über den Erfolg der Aktionen sind die Meinungen naturgemäß geteilt. Dorothee Häussermann sagte: "Wir sind selbst etwas überrascht von unserem Erfolg." Für die Klimabewegung hätten die Pfingsaktionen in der Lausitz bewiesen, "dass wir den Kohleausstieg selber machen können", sagte sie weiter. Das sei "eine Nachhilfestunde für die Politik". Wenn die Klimabewegung durch zivilen Ungehorsam selbst die Kohleindustrie in die Knie zwingen könne, sei das für die Klimabewegung weltweit sehr ermutigend, findet sie. Die Aktionen von Ende Gelände gehörten zu zwei weltweit stattfindenden Aktionswochen unter dem Motto "Break free from fossil fuels" (Befreien wir uns von fossilen Energien).
Bei Vattenfall sehen sie das ganz anders. Am Sonntagnachmittag sagte Vattenfall-Sprecher Thoralf Schirmer dem Tagesspiegel: "Man hat es noch nicht geschafft, uns mit Gewalt zu zwingen, das Kraftwerk stillzulegen." Es werde weiterhin mit stark gedrosselter Leistung gefahren, sagte er, ohne ins Detail zu gehen. "Wir werden alles dafür tun, dass das nicht passiert." Schirmer wies auf die Fernwärmeversorgung für die Städte Spremberg und Hoyerswerda hin, die unbedingt aufrecht erhalten werden solle. Die Gleise zum Kohlebunker, dem Lagerplatz über den das Kraftwerk mit Braunkohle versorgt wird, seien "nach wie vor besetzt", sagte er gegen 14.30 Uhr am Sonntag. In der Nähe stünden beladene Kohlezüge, die sehr schnell auf das Kraftwerksgelände fahren könnten, "wenn die Blockade beendet würde", sagte er weiter.
Am frühen Sonntagnachmittag waren bei den beiden Gleisblockaden im Osten und Westen nach Angaben von Ende Gelände noch rund 400 Personen auf den Gleisen. An einem Kreuzungspunkt zweier Kohlegleise hielten seit mehr als 30 Stunden mehrere Kletterer der Umweltorganisation Robin Wood die Kälte und nächtliche Angriffe von Anwohnern, womöglich mit Neo-Nazi-Beteiligung, aus. Um die 20 Personen hielten mehr als 48 Stunden auf den Kohlebagger im Tagebau Welzow-Süd besetzt.
Abgeordnete aus dem Bundestag und dem Landtag in Brandenburg haben seit die Aktionen am Freitag in der Lausitz begonnen haben, die Proteste begleitet und sich als "Parlamentarische Beobachter" für Vermittlungsgespräche zwischen den Demonstranten und der Polizei zur Verfügung gestellt. Vor allem Abgeordnete der Grünen und der Linken waren daran beteiligt. Das Fazit der meisten ist positiv ausgefallen. Bis auf ein paar unschöne Szenen am Samstagabend seien die Protesttage insgesamt friedlich verlaufen. Auf beiden Seiten habe es viel Besonnenheit gegeben, sagte die grüne Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden am Sonntagnachmittag.
Ein halbes Jahr Vorbereitung
Das deckt sich mit den Eindrücken des Potsdamer Bundestagsabgeordneten Norbert Müller (Linke), der ebenfalls die lange Vorbereitung der Ende-Gelände-Aktivisten lobte. Ein halbes Jahr lang habe es einen Dialog mit örtlichen Initiativen, mit Abgeordneten, Bürgermeistern und der Polizei gegeben, berichtet er. Schließlich sei es schon klar gewesen, dass das "keine Aktion des lokalen Widerstands ist". Der Aktionskonsens "keine Gewalt gegen Personen und keine Gewalt gegen Sachen" habe bis auf den Samstagabend gehalten, sagt Müller. Die Aktivisten hätten sogar Toilettenhäuschen zu den Blockaden geschafft und Müllsäcke, damit keine Beschädigungen hinterlassen würden. Eine der Bahnstrecken wurde dann trotzdem beschädigt. Auf sächsischer Seite hatten sich einige Aktivisten an eine Gleis angekettet. Es dauerte nach Polizeiangaben fünf Stunden, bis es gelang, die Kette zu lösen. Dabei soll es zu einer Beschädigung der Gleise gekommen sein. Bei den anderen Blockaden dagegen kam es zu keinen Beschädigungen.
Beim besetzten Kohlebagger, erzählt der grüne Landtagsabgeordnete Benjamin Raschke, hätten besorgte Vattenfall-Mitarbeiter eigentlich erwartet, dass die Maschinen beschädigt worden seien. Stattdessen hätten die Aktivisten Luftballons steigen lassen und dort oben Volleyball gespielt. Er berichtet zudem von "sehr ernsthaften Diskussionen zwischen Aktivisten und Vattenfall-Mitarbeitern in luftiger Höhe auf dem Kohlebagger". Er werde das "bestimmt nicht mehr vergessen", erzählt er. Da sei es um die Ängste vor dem wirtschaftlichen Absturz der Region gegangen aber auch um die Alternativen mit erneuerbaren Energien, Speichertechnologien und dem Tourismus.
In der Region kam der Protest gemischt an
In der Lausitz kamen die Aktionen "gemischt" an, meint Raschke. Es habe Anwohner gegeben, die zum Protest-Camp gekommen seien, um ihre Zustimmung zu äußern. Manche hätten etwas zu essen mitgebracht. Andere haben sich ziemlich geärgert. Nachdem am Samstagnachmittag etwa 300 Demonstranten das Werksgelände des Kraftwerks Schwarze Pumpe gestürmt hatten und sie das Gelände wieder verlassen wollten, griff die Polizei das einzige Mal an diesem Wochenende ein. Eine Gruppe von rund 120 Personen sei eingekesselt worden, erzählt Julia Verlinden. Nicht weit davon entfernt sei es dann zu einer Gegendemonstration von Kohlebefürwortern gekommen, an der auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Uli Freese teilgenommen hat. Nach ihrer Kundgebung seien sie entgegen der Bitte der Organisatoren der Gegendemonstration "sehr dicht an den Eingekesselten vorbeigelaufen". Im Kessel "haben sie gesungen und so Slogans gerufen wie: Wir lieben Euch, aber nicht die Kohle", sagte sie weiter. Die Kohlebefürworter hätten Beleidigungen gerufen. Und aus der Gruppe heraus sei auch ein Feuerwerkskörper in den Kessel geflogen. Ein junger Mann sei am Bein verletzt worden und habe sich Verbrennungen zugezogen. Die Polizei, die mit relativ wenigen Einsatzkräften vor Ort gewesen sei, habe die beiden Gruppen mit ihren Fahrzeugen getrennt, berichtet die Abgeordnete. Die Pro-Kohle-Leute seien dann widerstrebend gegangen. Als einige der Kohlegegner das Kraftwerksgelände wieder verlassen wollten und den Zaun überkletterten, haben sich zwei von ihnen schwer verletzt.
Die "Tageszeitung" berichtet von weiteren Zwischenfällen mit Kohlebefürtwortern. So seien die Kletterer von Robin Wood mit Böllern beworfen worden. Einige hätten "Auto-Korsos organisiert", berichtet Norbert Müller. Einige hätten ein Dienstfahrzeug der "taz" von der Straße abzudrängen versucht, berichtet die Zeitung weiter. Eine Gruppe von Pro-Kohle-Leuten, die Fahnen der Bergbaugewerkschaft IG BCE schwenkten, sollen an einer Blockade Böller geworfen und den Demonstranten gedroht haben. Die IG BCE distanzierte sich noch in der Nacht und schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, das seien nicht ihre Mitglieder gewesen, womöglich seien die Fahnen gestohlen worden.
130 Festnahmen - am Sonntag waren alle wieder frei
Die Polizei der Polizeidirektion Süd in Brandenburg hielt ihr deeskalierendes Konzept das ganze Wochenende durch. Sie hatte zuvor angekündigt, nur dann einzugreifen, wenn höherwertige Güter oder Menschen in Gefahr gerieten. Das sah sie im Fall der Kraftwerksstürmung als gegeben an. 130 Personen nahm die Polizei nach Cottbus und Dresden mit, um ihre Personalien festzustellen. Ihnen wird schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Am frühen Sonntagnachmittag wurden alle wieder aus dem Gewahrsam entlassen.
Der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall Europe Mining und Generation, Hartmuth Zeiß, meldete sich am späten Samstag mit einer Erklärung zu Wort, die ganz anders klingt: „Entgegen der Aussagen von Klimacamp und Ende Gelände differenzieren sich die Gruppen nicht in gewaltbereite und friedliche Demonstranten, sondern haben sich mehrheitlich in einem Gewaltkonsens zusammengefunden, der sich gegen unser Unternehmen und unsere Aufgabe als Energieerzeuger richtet“, heißt es in der Vattenfall-Presseerklärung. Und weiter: „Es ist eine absolut neue Qualität, dass durch gewaltsamen Druck ein Kraftwerk gezwungen werden soll, seine Produktion einzustellen und damit direkt in das deutsche Stromversorgungssystem einzugreifen. Das betrifft längst nicht mehr nur die Lausitz.“ Tatsächlich wurde das Kraftwerk Schwarze Pumpe für die Stromversorgung am Pfingstwochenende ohnehin nicht gebraucht. Womöglich hat die Aktion der Klimagegner sogar die Stromleitungen entlastet. Den Rest tat das schlechte Wetter. Mit relativ viel Windstrom im Netz aber wenig Solarstrom war die Stromversorgung jedenfalls nirgendwo gefährdet. Im Verlauf des Tages rutschte der Strompreis auch ohne den Kohlestrom des Kraftwerks Schwarze Pumpe sogar für vier Stunden ins Negative. Ein Zeichen dafür, dass es keinen Strommangel gegeben hat.
Die SPD verteidigt die Kohle
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) meldete sich auch am Sonntag mit Blick auf die Ereignisse am Samstagabend noch einmal zu Wort: "Wenn Aktionen in Gewalt und Nötigung umschlagen, ist eine rote Linie erreicht. " Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) ging weiter. Die Nachrichtenagenrur dpa zitiert ihn mit der Einschätzung, die Aktivisten seien "aus ganz Europa anreisende Rechtsbrecher“. Gerber sagte zudem: „Natürlich steht es jedermann frei, für Unsinn und Unfug zu demonstrieren. Aber es darf nicht sein, dass in unserem Land Gewalt und Selbstjustiz um sich greifen.“ Gerber betonte: „Jeder vernünftig denkende Mensch weiß, dass wir die Braunkohle in der Energiewende noch für lange Zeit brauchen. Aus Kostengründen und aus Gründen der Versorgungssicherheit. Die illegalen Aktionen in Form einer anmaßenden Form von Selbstjustiz sind vollkommen inakzeptabel und müssen mit der vollen Härte des Rechtsstaats geahndet werden.“
Der stellvertretende Vorsitzende der Linken in Brandenburg, Sebastian Walter, antwortete darauf im sozialen Netzwerk Facebook so: "Das billigste Polemik Herr Gerber!" Man könne zu den Protesten, die er für legitim halte, stehen, wie man wolle, "aber solche Diffamierungen sind das Letzte". Weiter schreibt er: "Wer so etwas sagt und über die Angriffe von Nazis auf friedliche Mahnwachen schweigt, sollte solche Äußerungen einfach unterlassen." mit axf