Parteitag der Linken: Rückendeckung für Andrej Holm
Die Linke steht in der Stasi-Diskussion hinter dem künftigen Staatssekretär. Die SPD nimmt den Vorgang gelassen, die CDU spricht von Affront.
Zum Auftakt des Linken-Parteitags am Sonnabend stellte sich Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) hinter ihr Team – auch hinter ihren designierten Staatssekretär Andrej Holm, um dessen frühere Stasi-Tätigkeit eine Diskussion entbrannt ist. Im Bunsensaal der Wista in Adlershof sagte Lompscher, dass Holm zur Zeit des Mauerfalls 18, 19 Jahre alt gewesen sei. „Wir alle haben ein Recht auf Irrtum und Korrektur und allemal gilt das für junge Leute.“
Danach sprach auch Holm selbst zu den gut 150 Delegierten – unter großem Beifall. Bei jedem Politikwechsel, der glaubwürdig ist, gebe es „Gegenwind“, der sich mit Personalien beschäftige und persönlich werde. Er sei als Jugendlicher in einem „antifaschistischen Haushalt“ groß geworden und mit der starken Überzeugung, dass die DDR eine Alternative sei. Als 16-Jähriger habe er keinen Widerspruch gesehen. Er habe „unterschrieben“, sich keine Gedanken gemacht. 1989 sei er in die Grundausbildung im Wachregiment Feliks Dzierzynski gegangen – mit der Perspektive, „in der Stasi zu bleiben“. Nach der Wende sei er „extrem erleichtert gewesen, dass ich aus meinem Dilemma entlassen worden bin“.
Auf der Bühne ergänzte er: „Geschichte muss aufgearbeitet werden. Aber wir können unsere Biografie nicht ablehnen. Ich habe mich immer offen dazu bekannt.“ Seine Erfahrung aus der DDR sei, dass Gesellschaft von oben nach unten nicht funktioniere. „Politik gemeinsam zu gestalten, heißt auch mit Kritik zu tun zu haben, mit Protesten auf der Straße.“ Die Regierungsaufgabe werde sein, Protest als Schwung zu begreifen. Im Koalitionsvertrag sehe er eine Chance, dem sozialen Wohnungsbau Vorrang vor privaten Interessen zu geben.
Katina Schubert: Es war nur Dienst in der Schreibstube
Die neu gewählte Parteichefin Katina Schubert sagte, die Partei sei „immer solidarisch mit Andrej“ gewesen – „jetzt auch“. Er sei bei der Staatssicherheit in einer Schreibstube gewesen. Auch die MfS-Geschichte müsse differenziert betrachtet werden. Von der CDU, die gefordert hatte, auf Holm als Staatssekretär zu verzichten, „lassen wir uns nicht jagen“, sagte sie und nannte den Fall Danny Freymark, jetzt parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, der vor zehn Jahren „Nazi-Symbole geschmiert“ habe.
Damit bezog sich Schubert auf Bilder aus dem Jahr 2005, die schon 2008 und im April dieses Jahres wieder thematisiert wurden, nachdem ein Video aufgetaucht war, das Geschmacklosigkeiten, Nazi-Sprüche, ein Hakenkreuz-Abzeichen und junge Männer zeigte, allesamt Teilnehmer einer Riga-Reise der damaligen Schüler-Union. Danny Freymark und andere zogen daraus politische Konsequenzen. Freymark sagte auf Anfrage, er habe vor zehn Jahren keine Nazi-Symbole geschmiert. Im Frühling hatte er erklärt, er bereue das damalige Geschehen sehr.
Müller und die Grünen waren informiert
Nach Tagesspiegel-Informationen war der Parteispitze der Linken bewusst, dass es Diskussionen um die Personalie Holm geben würde. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sowie die Grünen seien darüber in Kenntnis gesetzt worden. Spitzengenossen haben sich demnach auch noch einmal bei der auf DDR-Geschichte spezialisierten Robert-Havemann-Gesellschaft informiert.
Der frühere Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) sagte, Holm sei eine „gute Personalentscheidung“, er sei ein profilierter Kritiker der bisherigen Wohnungspolitik und ein ausgewiesener Gentrifizierungsexperte. Auch die zur Wendezeit in der Bürgerbewegung Aktiven sähen in der kurzen Bezirksverwaltungstätigkeit von Holm bei der Stasi kein Problem.
Wolf kritisierte die Aussagen von Hubertus Knabe, Chef der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Holm sei „hauptamtlicher Mitarbeiter“ der Stasi gewesen. Knabe sei bisher nicht dadurch in Erscheinung getreten, „Differenzierungen bei Biografien zu machen“. Holm selbst bezweifelt, hauptamtlicher Mitarbeiter gewesen zu sein. Als 18-Jähriger habe er die Abwicklung der Behörde miterlebt und vor allem Berichte von Betriebsversammlungen zusammengefasst. Mitte Februar 1990 sei er ausgeschieden.
In den Reihen der SPD gab es am Sonnabend verschiedene Kommentare zum Disput. Der rechtspolitische Sprecher der Fraktion im Abgeordnetenhaus, Sven Kohlmeier, sagte, er könne verstehen, dass Angehörige seiner Partei, die in der DDR gelebt haben, „über diese Personalie nicht erfreut sind“. Andererseits gehöre es zur Fairness und zum Respekt gegenüber dem Koalitionspartner, dass man man die Entscheidungen eines Senators nicht benote. „Es ist dessen Sache, sich Staatssekretäre auszusuchen.“
Recht entspannt sieht hingegen der Innenpolitik-Experte der SPD-Fraktion, Frank Zimmermann, das Thema. „Wenn es denn eine Jugendsünde von Holm war, sollte man sie auf sich beruhen lassen“, sagt er. Der designierte Staatssekretär sei zur Wendezeit noch unter 20 gewesen, da müsse man einem Menschen zugestehen, dass er sich ändere, und ihm eine Chance geben. Der neue stadtentwicklungspolitische Sprecher der SPD, Daniel Buchholz, wollte sich am Sonnabend zu Holms Stasi-Vergangenheit nicht äußern. Fachlich hält er ihn aber für eine gute Wahl. Holm habe sich als Stadtsoziologe wissenschaftlich auch mit dem Thema Mietenanstieg auseinandergesetzt. „Ich bin gespannt, wie er seine Erkenntnisse nun in die Praxis umsetzt“, sagt Buchholz.
Die CDU bezeichnete Holms geplante Ernennung als „Affront“. Zum einen wegen dessen Stasi-Mitarbeit, zum anderen wegen seiner „linksextremen Aktivitäten“ nach der Wende. Noch 2007 habe der Bundesgerichtshof festgestellt, Holm sei linksextremistisch eingestellt. Davon habe er sich dieser bislang nicht distanziert. Die Grünen betonten, laut Koalitionsvertrag wolle man „DDR-Unrecht aufarbeiten“. Die Berliner AfD verkündete zum Fall Andrej Holm, man sei „erschüttert“.