Nach Kopftuch-Urteil: Rot-Rot-Grün will Streit um Neutralitätsgesetz richterlich klären lassen
Berliner Koalitionsparteien warten auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Zudem steht ein Gutachten für die zuständige Bildungsverwaltung aus.
Die rot-rot-grüne Koalition hat sich darauf geeinigt, den politischen und juristischen Streit um das Neutralitätsgesetz höchstrichterlich klären zu lassen. Unmittelbarer Anlass ist ein Urteil des Landesarbeitsgerichts vom November 2018, das einer Bewerberin auf das Lehramt eine Entschädigung zubilligte, weil sie ihr Kopftuch auch im Klassenraum tragen wollte und deshalb nicht in den Schuldienst übernommen wurde.
Das Arbeitsgericht hatte in erster Instanz der Senatsbildungsverwaltung Recht gegeben, die auf das seit 2005 geltende Neutralitätsgesetz verwies. Diese Entscheidung wurde einkassiert. Es war nicht der erste Fall.
Nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts hatte sich Bildungssenatorin Sandra Scheeres vorbehalten, „nach Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung in Revision zu gehen“. Juristisch vertreten durch die Rechtsanwältin Seyran Ates, die als Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee weit über Berlin hinaus bekannt geworden ist. Zuständig für die Revision ist das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Ob dessen Entscheidung noch an das Bundesverfassungsgericht weitergereicht werden könnte, ist zwischen Experten strittig. In jedem Fall wäre der Weg geebnet, die Rechtmäßigkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes abschließend zu klären.
Bildungssenatorin hatte ein verfassungsrechtliches Gutachten in Auftrag gegeben
Bislang blieb offen, ob Bildungssenatorin Scheeres tatsächlich Revision einlegt. Offenbar will sich ihre Behörde noch juristisch vorbereiten. Schon im vergangenen Jahr wurde ein verfassungsrechtliches Gutachten in Auftrag gegeben, das die Vereinbarkeit des Neutralitätsgesetzes mit dem Grundgesetz, bezogen auf den Schuldienst, erforschen soll. Für das Gutachten stellte der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses 20 000 Euro zur Verfügung, als Gutachter benannte die Bildungsverwaltung „Herrn Prof. Dr. W. B.“ Das Ergebnis werde für Anfang Februar 2019 erwartet, steht in der Antwort der Bildungsbehörde auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Bettina Jarasch und Sebastian Walter.
Zweck des Gutachtens sei es, so die Verwaltung, „die Rechtsfragen für den Schulbereich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung Europäischer Gerichte zu klären“. Die beiden Grünen-Abgeordneten haben inzwischen Akteneinsicht verlangt, um herauszufinden, wer der geheimnisvolle Professor ist, der beauftragt wurde. Es waren auch die Grünen, die vor einer Woche im Koalitionsausschuss darauf drängten, dass der Revisionsantrag nicht weiter hinausgezögert wird. Alle drei Koalitionsparteien verständigten sich nach kurzer Diskussion darauf, das Problem nun abschließend gerichtlich klären zu lassen. Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller sicherte zu: „Die Verabredung steht.“
Grüne und Linke wollen eine Reform des Neutralitätsgesetzes
Vor allem Grüne und Linke setzen sich seit Jahren für eine Reform des Neutralitätsgesetzes ein, zu dem es schon mehrere widersprüchliche Gerichtsurteile gibt, allerdings nur auf Landesebene. Aber auch in der SPD gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob das in Berlin geltende Verbot religiöser Symbole und religiös geprägter Kleidungsstücke an Schulen, bei der Polizei und der Justiz verfassungsrechtlich haltbar ist – oder ob es eine ungerechtfertigte Diskriminierung darstellt. Über den Gang nach Erfurt sei „noch nicht abschließend entschieden“, sagte ein Sprecher der Bildungsverwaltung dem Tagesspiegel. „ Aber es ist wahrscheinlich, dass wir in Revision gehen.“
Die Justizverwaltung des Senats verwies darauf, dass nur die Bildungsbehörde entscheide, ob Revision beantragt werde. Wenn sie es täte, würde es der Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) begrüßen, sagte ein Sprecher. Aus Sicht des Senators sei aber „eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Neutralitätsgesetzes durch das Abgeordnetenhaus wünschenswert und wesentlich schneller, um diesen Konflikt nicht länger auf dem Rücken der Frauen auszutragen.“
Gemeint sind jene Lehrerinnen, die auf ihr Kopftuch auch im Unterricht nicht verzichten wollen und berufliche Nachteile in Kauf nehmen müssen. „Wenn das Neutralitätsgesetz in Erfurt scheitert, müssen wir es ändern“, forderte auch der Grünen-Landesvorsitzende Werner Graf.
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