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Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) nach einer Pressekonferenz zur Gründung der HateAid GmbH.
© Soeren Stache/dpa

Onlinehetze vor Gericht: Renate Künast gewinnt erneut in Hate-Speech-Verfahren

Das Berliner Kammergericht hat einen Beschluss des Landgerichts teilweise revidiert – und stuft zwölf von 22 Onlinekommentaren als Beleidigung ein. 

Äußerungen wie "alte perverse Drecksau" und "altes grünes Dreckschwein" über die Grünen-Politikerin Renate Künast sind jetzt doch strafbare Beleidigungen.

Zu dieser Bewertung kam das Berliner Kammergericht. Es war der dritte Spruchkörper, der über die Sache zu entscheiden hatte. Unterm Strich sind damit zwölf von 22 diffamierenden Äußerungen gegen Künast als Beleidigungen anerkannt.

Das war ein langer Weg. Die Vorgeschichte: Es ging um eine Äußerung Künasts aus dem Jahre 1986. Die Berliner Grünen befassten sich damals gerade mit ihrer Haltung zur Pädophilie, und eine grüne Fraktionskollegin von Künast sprach zum Thema häusliche Gewalt, als ein CDU-Abgeordneter die Zwischenfrage stellte, wie sie zum Beschluss der nordrhein-westfälischen Grünen stehe, Geschlechtsverkehr mit Kindern zu entkriminalisieren. Laut einem Zeitungsbericht rief Künast dann dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“

Auf Facebook war diese Aussage von einem User um „...ist Sex mit Kindern doch ganz ok“ ergänzt worden, und viele weitere Kommentatoren äußerten sich dazu in herabwürdigender und beleidigender Weise.

Facebook darf die Klarnamen nur verraten, wenn Äußerungen strafbar sind

Um sich gegen die Schmähungen zu wehren, musste Künast zuerst herausfinden, wer sich hinter den Absendernamen verbarg, von denen sie kamen. 

Die Rechtslage dazu ist allerdings wie folgt: Facebook darf nur Auskunft über Schmierfinken erteilen, wenn ein Gericht dies anordnet, und das Gericht muss dafür prüfen, ob es sich um rechtswidrige Inhalte im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) handelte. 

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Bei dieser Prüfung befanden die ersten Richter, es sei in dem Zusammenhang von Frau Künast hinzunehmen, dass sie als „Stück Scheiße“, „Drecks Fotze“ oder „alte perverse Drecksau“ bezeichnet werde. Ein entsprechender Beschluss des Landgerichts erging am 9. September 2019.

"Pädophilen Trulla", "Pädodreck" und "Gehirn Amputiert" sind weiter erlaubt

Danach war die Kammer der Ansicht, "dass die Antragstellerin als Politikerin sich auch sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen muss“. Das Gericht erkannte in allen diesen Äußerungen einen Bezug zur Sache und sah sie deswegen nicht als beleidigend im Sinne einer Straftat. Dies wäre aber nötig gewesen, damit Künast ihre Anprüche nach dem NetzDG geltend machen kann.

Das Landgericht wurde für diesen Beschluss massiv öffentlich kritisiert, unter anderem von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Künast legte Beschwerde ein und errang einen Teilerfolg: Das Landgericht erließ im Januar einen Abhilfebeschluss, mit dem es sechs der Schmähungen als Beleidigungen anerkannte.

Auf die Beschwerde zum Kammergericht beendete dieses den Rechtsstreit mit Beschluss vom 11. März rechtskräftig und gab Künast in sechs weiteren Punkten Recht. Danach sind neben den eingangs erwähnten jetzt unter anderem folgende Äußerungen doch strafbar: "Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird" und "Der wurde in den Kopf geschi... War genug Platz da kein Hirn vorhanden war/ist".

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ließ das Kammergericht nicht zu.

 Kammergericht wertet zwölf Kommentare als strafbare Beleidigung

In den anderen zehn Fällen wies das Gericht die Beschwerde der Politikerin allerdings zurück und bestätigte damit für diese zehn Äußerungen den Abhilfebeschluss des Landgerichts vom Januar. Zu den zehn Schmähungen, die nun noch als zulässige Meinungsäußerung gelten, gehören "Pädophilen Trulla", "Pädodreck" und die Aussage, Künast sei "Gehirn Amputiert".

Renate Künast äußerte sich auf Twitter zu dem erneuten Urteil. "Ich freue mich über einen weiteren Erfolg gegen #HassImNetz!", schrieb sie.  Doch solange im Netz gezielte Bedrohung und Beleidigungen passieren würden, werde sie weiter kämpfen.

Anwalt beklagt Frauenhass im Netz

Ihr Anwalt Severin Riemenschneider sagte: „Erfreulich ist, dass das Kammergericht entgegen dem Landgericht klar kommuniziert, dass nicht jeder noch so weit hergeholte und über Umwege konstruierte Sachzusammenhang ausreicht, um eine herabsetzende Äußerung zu legitimieren."

Künast kündigte an: "Wir werden prüfen, ob wir mit einer weiteren Beschwerde vor das Bundesverfassungsgericht gehen können!" 

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