Hasskommentare im Internet: Schäuble kritisiert Landgericht und nimmt Künast in Schutz
Der Bundestagspräsident mahnt an, den politischen Wettstreit vor Gewalt zu schützen. Gegen Hassbotschaften brauche es Konsequenz.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich in die Debatte um die Straflosigkeit beleidigender Äußerungen über die Grünen-Politikerin Renate Künast eingeschaltet. "Wenn uns an der Demokratie gelegen ist, muss der politische Wettstreit vor Gewalt geschützt werden", teilte Schäuble mit. "Dazu reicht der Appell an den gesunden Menschenverstand und zu Anstand allein nicht aus. Es braucht auch das Vertrauen in einen Rechtsstaat, der gegen menschenfeindlichen Hass und Hetze als Nährboden von Gewalt konsequent vorgeht, auch in der digitalen Welt." Die Grenze zwischen zulässiger zugespitzter Meinungsäußerung und Hassbotschaft sei nicht immer einfach zu ziehen, aber: "Es gibt diese Grenze - das zeigen nicht zuletzt die Reaktionen auf die Gerichtsentscheidung."
Schäuble bezieht sich auf einen Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. September, mit dem geschmacklose Äußerungen über Künast für zulässig erklärt wurden. Es ging um eine Äußerung Künasts aus dem Jahre 1986. Die Berliner Grünen befassten sich damals gerade mit ihrer Haltung zur Pädophilie, und eine grüne Fraktionskollegin von Künast sprach zum Thema häusliche Gewalt, als ein CDU-Abgeordneter die Zwischenfrage stellte, wie sie zum Beschluss der nordrhein-westfälischen Grünen stehe, Geschlechtsverkehr mit Kindern zu entkriminalisieren. Laut einem Zeitungsbericht rief Künast dann dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“
Auf Facebook war diese Aussage von einem User um „...ist Sex mit Kindern doch ganz ok“ ergänzt worden, und viele weitere Kommentatoren äußerten sich dazu in herabwürdigender und beleidigender Weise.
Das Gericht sieht bei "Stück Scheiße" einen Bezug zur Sache
Künasts Antrag beim Landgericht hatte zum Ziel, dass Facebook Auskunft über die insgesamt 22 Personen erteilen darf, die diese Äußerungen bei Facebook gepostet hatten. Künast machte geltend, diese enthielten strafbare Inhalte. In einer zweiten Stufe hätte sie dann von Facebook Auskunft verlangen und im Erfolgsfalle gegen die Urheber der Äußerungen zivilrechtlich vorgehen können. Das Gericht kam aber gar nicht zu der zweiten Stufe, da es die Strafbarkeit der Äußerungen ablehnte.
Nach Auffassung des Landgerichts waren die Äußerungen zwar geschmacklos, aber zulässig: Da sich Künasts Zwischenruf ebenfalls im sexuellen Bereich befinde und erhebliches Empörungspotenzial berge, „ist die Kammer der Ansicht, dass die Antragstellerin als Politikerin sich auch sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen muss“. Unter den Äußerungen waren solche, in denen Künast unter anderem als "Stück Scheiße", "Drecksfotze", "altes grünes Drecksschwein" und "Alte perverse Drecksau" bezeichnet wurde. Das Gericht erkannte in allen diesen Äußerungen einen Bezug zur Sache und sah sie deswegen nicht als beleidigend im Sinne einer Straftat.
Künasts Anwalt Severin Riemenschneider hält den Richterspruch nicht nur deshalb für abwegig, weil dies seiner Position als Parteivertreter entspricht, sondern auch aus Überzeugung. "Das sind die schwersten Beleidigungen, die das deutsche Vokabular hergibt, so etwas sollte sich niemand anhören müssen", sagte er dem Tagesspiegel am Freitag. Er habe die Beschwerde zum Kammergericht bereits in Arbeit und sei der Ansicht, dass es sich bei der Auffassung des Landgerichts um eine Minderansicht handele.
Fäkalbegriffe und Tiernamen sind in der Regel strafbar
Im Strafrecht sind speziell Begriffe aus der Fäkalsprache regelmäßig als beleidigend gewertet werden. Maßstäbe setzte auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen 1963, mit der einer Fernseh-Ansagerin, die als „ausgemolkene Ziege“ beleidigt worden war, eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Mark zugesprochen wurde.
Sawsan Chebli: "Urteil ist ein fatales Signal"
Dass das Berliner Landgericht die Fäkalbegriffe und Tiernamen, mit denen Künast geschmäht wurde, durchgehen ließ, stieß im politischen Raum auf Unverständnis, zum Beispiel bei der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, die selbst ebenfalls ständigen und massiven Hass-Attacken ausgesetzt ist.
„Ich finde es unglaublich, welche abscheulichen Kommentare sich Renate Künast gefallen lassen muss. Das Urteil ist ein fatales Signal an alle, die sich stark machen für unsere Demokratie und besonders an Frauen, denn es bedeutet, dass sie sexistische Diffamierungen der übelsten Sorte einfach hinnehmen sollen“, sagte Chebli. „Auch ich erlebe täglich Beleidigungen, Anfeindungen, Diffamierungen und Drohungen in den Sozialen Medien. Zu oft bekomme ich von den Gerichten den Hinweis, dass Verfahren eingestellt werden müssen, weil kein hinreichender Tatverdacht oder keine strafrechtlich relevanten Inhalte erkennbar sind. Deshalb ist es gut, dass Frau Künast Beschwerde einlegt." Das Verfahren von Frau Künast war zivilrechtlicher Natur; Strafanträge hatte sie nicht gestellt.
Göring-Eckardt: "Meinungsfreiheit hat Grenzen"
Der Deutsche Richterbund wies auf die erwartete Prüfung des Urteils hin. „Renate Künast hat eine Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts angekündigt, was eine Überprüfung der in Rede stehenden Rechtsfragen durch das Kammergericht ermöglicht“, sagte Geschäftsführer Sven Rebehn in Berlin.
Die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag): „Dieses fatale Urteil, welches eines Rechtsstaats unwürdig ist, berührt uns alle.“ Sprache sei Ausdruck von respektvollem, kultiviertem Miteinander. „Wenn diese Kultur nicht mehr juristisch geschützt wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis den Worten Gewalt folgt.“
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt erklärte: „Bei allem Respekt vor unseren Gerichten: Was Renate Künast hier an widerlichen Beleidigungen erhalten hat, sollte niemand ertragen müssen.“ Meinungsfreiheit habe Grenzen, wenn zu Gewalt gegen Personen aufgerufen oder widerliche Hetze betrieben werde. Linksparteichefin Katja Kipping sagte: „Diese Form von Hass wird noch immer zu sehr verharmlost.“ Das müsse aufhören.
Die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig, sagte, Gewaltschutz sei ein Thema, das alle Ebenen des Staates angehe. „Und wir reden bei den genannten Beispielen verbaler Übergriffe über nichts anderes als über Gewalt.“ (mit dpa)