CSD in Berlin: Raven im DDR-Funkhaus
Vor zwei Jahren kaufte Uwe Fabich das DDR-Funkhaus an der Nalepastraße. Am Samstag wird dort die Abschlussparty des Christopher Street Day gefeiert.
Eines darf es am Samstagabend in Oberschöneweide auf keinen Fall geben: Starkregen. Dann würden die ravenden CSD-Abschlussparty-Besucher in der Shedhalle auf dem Funkhausgelände nämlich ganz schön nasse Füße bekommen – stand die Halle doch bereits beim Starkregen im Juni komplett unter Wasser, und das einen Tag vor der Eröffnung einer Modemesse. Dieses Risiko ist der Preis, den die Veranstalter für eine authentisch schäbig-schicke Halle im Ostberliner Lagerhallenstil bezahlen.
Drei Tage vor der Veranstaltung bauen Arbeiter Leuchtkugeln und Boxen zwischen abgenutzten Ziegelsteinsäulen und dem charakteristischen Dach mit seinen Viertelkreiswölbungen auf, damit Samstagabend die Besucher der „Unity“-Party den rauen Betonboden der Tanzfläche stürmen können.
Historische Kulisse
Während es drinnen mit dem groben Aufbau losgeht, sind draußen die Chefs mit den Einzelheiten beschäftigt: Das Veranstaltungsteam der Party und der Funkhaus-Besitzer Uwe Fabich sitzen mit ihren Mitarbeitern auf Bierbänken an der Spree und beugen sich über die Veranstaltungspläne. Der medienscheue Geschäftsmann hat die Führung durch das historische DDR-Gebäude aus den Fünfzigerjahren an einen seiner Eventmanager delegiert.
Nico Heymann, 27, hornbebrillt und minimalistisch tätowiert, redet und läuft durchs Funkhaus wie im Club-Mate-Rausch – zuerst durch das sogenannte „Hörnchen“, einen gebogenen Gang mit deckenhohen Fenstern mit Spreeblick, die ein magisches Licht auf die Studiotüren werfen, dann durch das mit Marmor geflieste Foyer mit den roten Sesseln aus dem Staatsratsgebäude und hinauf zu den Konzertsälen.
Stück für Stück wird renoviert
Er spricht von der Funkhaus-Familie, die hier in den letzten zwei Jahren entstanden sei, von den Künstlern, die in den rund hundert Proberäumen arbeiten. Auch wenn der Mief des Leerstands noch in den Polstern und schweren Holzvertäfelungen hängt – langsam, aber sicher übernehmen Fabich und seine Leute die rund 27 000 Quadratmeter Gebäudefläche. Im Archiv stehen neben massiven Aktenschränken zwei Skateboards, der fünfte Stock des A-Blocks wurde entkernt und soll als Coworkingspace dienen. Das Highlight ist wohl die Penthouseetage im achten Stock mit ihren Schachbrettfliesen, der gläsernen Zwischendecke und dem 360-Grad-Blick über Berlin.
Sound für Kenner
Im Herzstück des Funkhauses, dem Konzertsaal 1 mit seiner atriumartigen, in den Boden eingelassenen Bühne spielten in den vergangenen zwei Jahren Künstler wie Depeche Mode oder José Gonzalez. Der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson mietete ihn kurzerhand für drei Monate, um den Soundtrack für den neuesten „Bladerunner“-Film einzuspielen. Für „High-end-Produktionen“ sei das Funkhaus damals gebaut worden, zu einer Zeit, als das Radio noch ein entscheidendes Instrument der Regierung zur Beeinflussung ihrer Bevölkerung war, erzählt Jean Philipp Dusse, Eigentümer des Funkhaus-Studios.
Diesen qualitativen Anspruch habe er auch, er produziert Künstler wie Clueso, Cro und Max Herre, in seinem Studio stapelt sich Schlagzeugequipment und Bassgitarren reihen sich aneinander. Stundenlang könnte er vom Funkhaus und seiner Geschichte erzählen, von der Grundlagenarbeit der DDR-Tontechnikforscher, die den Vorläufer von Dolby Surround erfunden hätten, von der soliden Grundsubstanz des Gebäudes. Er ist froh über den Besitzerwechsel. „Der gepflegte Zerfall, der beim vorherigen Eigentümer betrieben wurde, wurde gestoppt.“
Gezielte Aussiebung von Mietern
Er erinnert sich an die Zeiten vor Fabich, als er mit wichtigen Kunden über das Gelände ging und ihm leere Bierflaschen aus dem Gebüsch oder Biomüll aus einem der Galeriefenster an den Kopf flogen. Als er das ehemalige Hörspielstudio vor sieben Jahren übernahm, grillte darin gerade eine Band ihr Abendessen.
Dusse beschreibt Fabichs Strategie so: „Es gibt keinen Platz für Mittelmäßigkeit. Also alles, was nicht zeitgemäß am Markt funktionierte, wurde aussortiert.“ Fabichs Stellungnahme dazu: „Wir hatten einige Mieter, die das als Lager genutzt haben. Da konnten wir natürlich die Verträge nicht verlängern.“
Für seine Vision vom Funkhaus als dem wichtigsten Anlaufpunkt für die europäische Musik- und Produktionsszene wird er einen langen Atem benötigen, denn bis er die zwölf Millionen Euro für das Gelände und die nach oben hin offenen Renovierungskosten (Schätzungen liegen bei 50 Millionen) wieder eingespielt hat, wird noch viel Wasser vor dem Gelände die Spree entlangfließen.
High-end Mieter, gepflegte Gastronomie
Geblieben sind die, die weitere Künstler und Produzenten anziehen, etwa der Electrosoulsänger Liam X, der Crossoverpianist Nils Frahm oder die Kalkbrenners. Zum Konzept gehört auch die Gastronomie in Gestalt von Kevin Elias, dem Betreiber des Friedrichshainer Lokals „Schneeweiß“. Er betreibt hier die „Milchbar“, vor der sich gerade Philipp Dusse und sein Team an „gut interpretierter gutbürgerlicher Küche“ – in diesem Fall Käsespätzle – gütlich tun.
Bei Uwe Fabich war es das Schnitzel, das ihn überzeugte, dem Gastronomen die Bespielung des Funkhauses, einschließlich des Caterings für die meisten Events, anzubieten. Seit November 2015 ist die „Milchbar“ mit einem Mittagstisch geöffnet, bald soll es auch eine etwas anspruchsvollere Karte für den Abend geben. Elias, der in Ostberlin geboren wurde und nur 700 Meter vom Funkhaus entfernt wohnt, ist überzeugt: „Der Space ist im Kommen.“