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Friedrich Kautz, alias Prinz Pi, ist in Zehlendorf aufgewachsen und hat zwei Kinder.
© Ricarda Kautz

Prinz Pi erklärt Eltern den Gangster-Rap: „Rap ist progressiver als Helene Fischer“

Eltern sollten sich für die Playlist ihrer Kinder interessieren, statt pauschal eine ganze Jugendkultur schlechtzureden, meint der Berliner Rapper Prinz Pi.

In Elternforen liest man manchmal diesen Satz: „Mein Kind ist jetzt 14 und hört Gangster-Rap! Dieses ganz schlimme Zeug, mit Beleidigungen und so“. Herr Kautz, Sie haben selber zwei Kinder, machen unter dem Namen „Prinz Pi“ Rap-Musik. Was würden Sie dieser besorgten Mutter oder dem Vater sagen?

Ich würde den Eltern sagen: Interessiere dich dafür. Es gibt fast keine bessere Chance, zu verstehen, wie das eigene Kind oder der Jugendliche tickt, als wenn man sich mit der Musik, die ihr oder ihm wichtig ist, auseinandersetzt. Die Generation meiner Eltern hat das abgelehnt. Ich würde es unbedingt anders machen.

Und wenn man sich dafür interessiert und das, was man hört einem widerspricht?
Wenn man als Elternteil die Musik fragwürdig findet, kann man ja interessiert nachfragen: Was gefällt dir daran? Stimmst du überhaupt jenen Aussagen zu? Das ist etwas anderes, als wenn man die Musik einfach kategorisch ablehnt. Eltern können ja sagen, mir gefallen diese Elemente, aber andere Sachen mag ich weniger. Sie können auch klarstellen, das ist eine Kunstform, im echten Leben laufen bestimmte Dinge allerdings anders.

Würden Sie Ihre Kinder alles hören lassen?
Nein. Natürlich sollte man die Altersbeschränkung, also den FSK-Stempel beachten. Es gibt ganz klar Sachen, die sind erst ab 18. Das ist dann auch die Verantwortung für mich als Elternteil dafür zu sorgen, dass das nicht gehört wird. Es ist Chance und Pflicht zugleich, Inhalte für Kinder in einen verarbeitbaren Kontext zu setzen.

Können Eltern das denn kontrollieren?
Meine Tochter ist bald elf und ich kenne die Musik, die sie hört. Ich mag nicht alles. Wenn sie oder ihr jüngerer Bruder mal ein Smartphone haben, könnte ich relativ komfortabel technisch beschränken, auf welche Inhalte sie Zugriff haben. Aber ich finde, es ist eine generelle Frage, interessiert mich das, was mein Kind macht oder nicht? Wenn das Kind in seinem Zimmer verschwindet und die Tür immer zu ist, würde ich früher oder später nachgucken, was da so passiert.

Was hat Ihre Eltern, an der Musik, die Sie früher gehört haben, gestört?
Ich habe als Jugendlicher amerikanischen Gangster-Rap gehört. Meine Eltern haben gesagt, das ist Müll, das ist keine Kultur, sondern Krach. Kultur war für sie eher der Konsens der Bildungsbürger. Mein Vater hat viel klassische Musik gehört, dann kamen vielleicht noch die Beatles. Alles, was neuer war, war für ihn Quatsch. Und Interesse, sich damit auseinander zu setzen hatte er während meiner Jugend nicht sonderlich. Was schade ist und sicher das gegenseitige Verständnis verbessert hätte.

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Das klingt, als ob Sie das wirklich verletzt hat, was Ihre Eltern dazu gesagt haben.
Selbstverständlich hat mich das verletzt. Es hat auf jeden Fall unser Verhältnis negativ beeinflusst. Für einen Jugendlichen ist Musik fast das Wichtigste auf der ganzen Welt. Sie hilft einem, sich zu finden. Man möchte den Gleichaltrigen und allen anderen zeigen, wer man ist. Als Erwachsener definiert man sich vielleicht über seinen Beruf, über ein Hobby, die Ernährung, die politische Einstellung oder was auch immer. Aber wenn man erst 13 oder 15 Jahre alt ist, hat man sich noch nicht definiert, wie sollte man auch. Die meisten Jugendlichen suchen händeringend nach Fixpunkten. Das ist dann nicht nur die Musik, sondern eine Subkultur, Klamotten, die bestimmte Codes haben. Es geht mitunter gar nicht darum, dass man die Musik selber zu hundert Prozent versteht oder nachfühlen kann.

Worum geht es dann?
Es geht einfach darum, was es bei den anderen um einen herum hervorruft. Wenn jemand früher Black Metal gehört hat, haben die Eltern auch gesagt: Oh, ist der jetzt Satanist? Wird er jetzt Schwarze Messen feiern? Es ist natürlich sehr selten so, dass man das, was man hört auch umsetzt. Aber die Black-Metal-Kids wollten vor allem anderen Leuten zeigen, ich bin jetzt ein krasser Typ. Es ist total wichtig, sich irgendwo zugehörig zu fühlen, sich verstanden zu fühlen. Ich grenze mich bewusst ab von Teilen der Gesellschaft.

Deutscher Gangster-Rap gehört bei den Jugendlichen momentan zur beliebtesten Musikrichtung. Die gab es in ihrer Jugend so noch nicht. Warum haben Sie sich als jemand, der in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, ausgerechnet mit amerikanischem Gangster-Rap identifiziert?
Wenn ich mit 15 Snoop Dogg gehört habe, war das eine spannende Welt, um darin einzutauchen. Es war ein kompletter Gegensatz zu meiner Realität, meiner heilen Vorstadtwelt in Zehlendorf. Mich hat diese Coolness beeindruckt, dieses Spiel mit der Sprache, wie er die Wörter einfach so lässig klingen lassen hat. Mich hat beeindruckt, wie jemand, der so viele krasse Sachen erlebt hat, in einer Ghetto-Gegend aufgewachsen ist, trotzdem über so viel Positives wie Freundschaft rappen konnte. Aber ich wollte natürlich nie selbst so sein. Aufwachsen zwischen Gangs, Drogen, Gewalt und vor allem auch rassistischen Cop. Das wollte ich nicht, und so ist es bei den meisten deutschen Jugendlichen, die Gangster-Rap hören, doch auch. Sicherlich gibt es auch junge Leute, denen das aus der Seele spricht, weil sie aus ähnlichen Verhältnissen kommen wie die Straßenrapper. Aber der größte Teil der Hörer kennt persönlich keine Kokain-Dealer oder Getto-Superstars. Das ist für die meisten fern von ihrer Lebensrealität und deswegen umso interessanter.

Jugendliche finden Gangster-Rap oft spannend, weil sie der Gegensatz zu ihrer ruhigen Vorstadtwelt beeindruckt.
Jugendliche finden Gangster-Rap oft spannend, weil sie der Gegensatz zu ihrer ruhigen Vorstadtwelt beeindruckt.
© eclipse_images/iStock

Es ist ja das eine, wenn Eltern solche Musik als nervige Geräuschkulisse empfinden. Aber manche Eltern machen sich Sorgen, was das Kind für ein Weltbild vermittelt bekommt, wenn es solche rückwärtsgewandten Liedtexte hört, die schlimmstenfalls homophob oder frauenverachtend sind. Können Sie das als Vater und Rapper nachvollziehen?
Aber sind nicht alle Eltern in ihrer Summe zusammengenommen genau die Generation, die diese Welt zusammengezimmert hat, in der Leute dann so etwas singen? Ich möchte nichts schönreden. Aber haben nicht die Eltern eine Situation erschaffen, mit ihrer Politik, ihren Entscheidungen und Haltungen, bevor die ganzen Rapper geboren wurden?

Was für eine Welt ist das Ihrer Meinung nach?
Nehmen wir als Beispiel den Vorwurf an die Rapmusik, alles zu glorifizieren, was teuer ist – eine ultra materialistische Weltsicht. Es geht viel um Marken, um teure Autos oder Uhren. Aber welcher Jugendliche hat Mercedes-AMG-Autos konstruiert oder erdenkt diese Rolex-Uhren? Es sind keine Rapper, die in diesen Firmen die Entscheidungen treffen. Und dann regen sich die Leute darüber auf, dass die Jugendlichen die Produkte cool finden. Das ist doch schizophren. Die Jugendlichen sehnen sich nach konkreten Werten, an denen sie sich festhalten können - aber es ist die Aufgabe der Generation vor ihnen, diese zu vermitteln und vorzuleben.

Das Materialistische ist ja das eine, aber homophobe, frauenfeindliche oder antisemitische Einstellungen gibt es eben auch, weshalb sich viele Eltern sorgen, wenn ihr Kind solche Musik hört. Wie stehen Sie zu diesen Texten?
Antisemitische, frauenfeindliche oder homophobe Inhalte treiben einen Keil in die Gesellschaft, verbreiten Hass und werden darum auch aus gutem Grund verboten – ob die nun jemand als Rapper von sich gibt oder als Privatperson. Rap hat aber anders als Popmusik, den Anspruch, dass das, wovon der Künstler erzählt, authentisch sein muss. Wenn man diese Authentizität einerseits einfordert, dann ist es andererseits total unwahrscheinlich, dass einer, der aus einer Gegend kommt, in der Gewalt das probateste Mittel zum Lösen von Konflikten ist und Frauen objektiviert werden, dass der dann in seinen Songs vom Feminismus nach Judith Butler erzählt. Von Gender-Studies hat er noch nie gehört. Ich will das nicht verteidigen, ich bin weder der Pressesprecher für diese Leute, noch einer von denen, aber es ist ein Fakt, dass in sozial schwachen Gegenden mit hoher Kriminalitätsrate mitunter auch ein anderes Frauenbild existiert. Wenn ein Straßen-Rapper nicht in so einem Umfeld aufgewachsen wäre, dann würde er auch nicht darüber rappen. Ich finde bestimmte Inhalte auch persönlich bedenklich – aber ich sitze hier in Grunewald in meinem Elfenbeinturm voller Bücher und es ist leicht für mich, das zu kritisieren und zu erkennen.

Was ist denn für einen Jugendlichen der Reiz daran, Musik zu hören, in der Frauen auf eine besonders sexistische Weise dargestellt werden?
Ich bin kein Jugendlicher mehr. Ich persönlich finde es nicht gut, wie Frauen teilweise in der Hip-Hop-Musik dargestellt werden. Aber war das Frauenbild in amerikanischer Rock- und Popmusik jemals anders? Ich finde auch in Deutschland nicht, dass Helene Fischer – als Beispiel für eine unserer einflussreichsten und erfolgreichsten Frauen in der Musik – ein besonders fortschrittliches Frauenbild vermittelt. Sie präsentiert doch ganz klassische Rollenbilder. Da gibt es in der Rapmusik wesentlich progressivere Künstlerinnen als in Schlager, Pop und Rock. Die sich sicherlich nicht irgendeinem Mann unterordnen würden.

Werden die auch von Männern gehört?
Künstlerinnen wie Juju, die kommt übrigens aus Berlin, Shirin David oder Loredana sind momentan sehr präsent und haben auch viele männliche Fans. Man sollte auch nicht immer die ganze HipHop-Szene über einen Kamm scheren. Sie ist hierzulande riesengroß und hat ein sehr breites Farbspektrum. Es gibt auch viele männliche Rapper, die Frauen nicht als Schlampen bezeichnen. Einer davon sitzt gerade vor Ihnen. Es ist natürlich für die Medien nur super leicht, die Finger genau auf die Leute zu legen, die das eben machen oder in ihrer Jugend mal gemacht haben.

Gangster-Rapper sind also vielschichtige Wesen?
Wie alle anderen Menschen auch. Capital Bra ist vielleicht vor allem bekannt als ein klassischer Straßenrapper. Aber als ich letztes Jahr zusammen mit dem Singer-Songwriter Bosse einen Song über Mobbing machen wollte, wollte Capital Bra auch dabei sein. Es hat ihn interessiert, weil er früher in der Schule auch gemobbt worden ist. Und so haben wir den Song „Messer“ aufgenommen. Rapper können vielschichtige Charaktere sein, die unterschiedliche Themen ansprechen wollen und sich ziemlich viele Gedanken machen und auch weiterentwickeln.

Woher kommt der Wunsch der Jugend sich in eine surreale Welt wegzuträumen?
Die Jugend ist in der Regel das Jahrzehnt der unerfüllten Sehnsüchte. Du willst lauter Sachen machen, die Du nicht machen kannst. Du willst teure Klamotten – kriegst du nicht. Autofahren, Alkohol trinken – darfst du nicht. Du willst Sex haben – bekommst du nicht. Von den Erwachsenen werden die ganze Zeit Dinge verboten. Der Weg raus aus dieser Ohnmacht führt über die Musik oder Freunde, die dich verstehen, weil es ihnen genauso geht. Manchmal kann das eine ganze Szene sein, manchmal sind die Peergroup aber auch nur drei Leute. Es gibt in den diversen Jugendkulturen so viele Unterschiede, selbst innerhalb des Mainstreams, die nach außen kaum erkennbar sind. Es gibt so viele Codes. Einen Kapuzenpullover kann man auf so viele unterschiedliche Weise tragen. Es gibt zig Möglichkeiten, seine Schnürsenkel zu binden, seinen Kragen hochzustecken oder eben nicht. Man kann dadurch nach außen gut zeigen, wer man ist. In jedem Fall geht es auch darum, sich einen Raum zu schaffen, wo man sich wohl fühlt. Auch wenn das die gefährliche Welt des Gangster-Rap ist – diese Welt ist simpler, als die Realität draußen, wo auch die Erwachsenen nicht wissen was jetzt was ist. Schauen Sie doch auf die Politik. Es ist schwerer zu wissen, wohin jetzt die CDU in Zukunft geht und wofür sie steht oder eben auch nicht, als zu wissen, welcher Rapper für was steht und mit wem er Stress hat.

Für einen Erwachsenen gibt es ja das Ideal, möglichst individuell zu sein. Wollen das die jungen Leute nicht irgendwann auch?
Irgendeiner Gruppe ordnet man sich immer zu, vielleicht ohne sich selbst darüber bewusst zu sein. Als Erwachsener wird man dann halt Mitglied im Yachtclub, kauft nur noch bei Manufactum ein oder wird zum Veganer. Auch die Individuellen sind eine Gruppe. Innerhalb seiner Gruppe fühlt man sich wohl, vielleicht auch überlegen.

Sie nannten sich am Anfang Ihrer Karriere Prinz Porno und haben auch wesentlich härteren Rap gemacht als heute. Gibt es Lieder, die Sie mittlerweile bereuen?
Meinungen und Einstellungen ändern sich ja im Laufe des Lebens. So manche Dinge, die würde ich heutzutage nicht mehr sagen. Aber genau das müssen wir eben auch unseren Kindern zugestehen, dass sie vielleicht mit 14 oder 16 nicht so aufgeklärt und überlegt sind wie wir im Erwachsenenalter. Sie müssen selber ihre Erfahrungen und Fehler machen.

Ist es sinnvoll, wenn Eltern ihren Teenagern Vorschläge machen? Wenn eine Mutter zu ihrem Sohn sagt, hör doch lieber diese feministische Rapperin oder Prinz Pi, der rappt nicht so böses Zeug?
So etwas geht meistens leider schief. Das funktioniert viel besser andersherum. Immer wenn ich meinen Kindern etwas vorschlage, machen sie am liebsten das Gegenteil davon. Wenn ich sage, das Gemüse hier auf gar keinen Fall essen, dann machen sie es vielleicht noch am ehesten. Sagen Sie doch darum eher: Hör auf gar keinen Fall Prinz Pi, das verbiete ich dir strikt.

Das Interview führte Saara von Alten.

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