Porträt der Rapperin Juju: Liebeskummer lohnt sich
Die Berlinerin Juju wurde mit dem Krawall-Rap-Duo SXTN bekannt. Jetzt ist ihr emotionales Solodebüt „Bling Bling“ erschienen.
Deutscher Rap klingt gerade mal wieder maximal maskulin. Es wird beleidigt, geflucht und auf dicke Hose gemacht. Frauen werden als Huren bezeichnet, Feinde in den Boden gedisst, und der eigene Wohlstand zur Schau gestellt. Zelebriert wird all das allerdings nicht ausschließlich von männlichen Akteuren, sondern auch von einer zierlichen Lady mit Schneewittchen- Charme. Die Rede ist von Judith Wessendorf, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Juju.
Sie wurde vor drei Jahren als Teil des Berliner Rap-Duos SXTN bekannt und pöbelte sich an der Seite ihrer Partnerin Nura Habib Homer ins Rampenlicht: SXTN standen für sexistische Texte, enthemmte Posen und Eskalation. Dabei inszenierten sich die beiden Rapperinnen auf eine ebenso unverfrorene wie entschlossene Art, die in den USA bereits in den Neunzigern von Stars wie Lil’ Kim oder Foxy Brown kultiviert wurde, hierzulande aber neu war.
Dürfen Frauen sich selbst als Fotzen betiteln? Dürfen sie darüber fantasieren, anderer Leute Mütter zu ficken? Juju und Nura stellten sich diese Fragen nicht, sondern taten es einfach. So hielten sie ihren männlichen Kollegen den Spiegel vor, wofür sie gleichermaßen gefeiert wie angefeindet wurden.
Juju ist in Neukölln aufgewachsen
Die Bilanz des Duos: eine EP („Asozialisierungsprogramm“) sowie ein Album („Leben am Limit“), denkwürdige Shows in ausverkauften Hallen und ein Interview, das zum Desaster geriet, weil sich die Rapperinnen vor laufender Kamera in die Haare bekamen. Die noch ausstehenden Auftritte zogen die einst besten Freundinnen noch durch, bevor sie Ende 2018 ihre Trennung bekannt gaben. Man habe sich auseinandergelebt, so die offizielle Sprachregelung, künftig werde jede ihr eigenes Ding machen.
So ist es jetzt tatsächlich gekommen. Knapp zweieinhalb Monate nachdem Nura ihr Solodebüt „Habibi“ veröffentlicht hat, zieht nun Juju nach und legt mit „Bling Bling“ ( JINX/Universal Music) ihren Erstling vor. Zwölf Songs umfasst die Platte, deren Cover ein Schwarz-Weiß-Porträt der 26-Jährigen mit geschlossenen Augen ziert. Mit 33 Minuten ist es überraschend kurz geraten.
Zu sagen hat die Deutsch-Marokkanerin, die in Neukölln aufgewachsen ist, trotzdem eine Menge. Deshalb rappt sie ihre Zeilen mitunter in einer Geschwindigkeit, bei der einem schwindelig werden kann. „Paar Wörter in den Takt pressen / fällt mir leichter als essen“, warnt sie gleich im „Intro“. Dann feuert sie ihre Salven über einem Grime-Beat ab: „Ich komm’ von Dönerbrot mit Sauce und geh zu Höhenflug und Kohle“. Ausgeteilt wird natürlich auch gleich. „Opfer“, die Juju dissen, werden ebenso angegriffen wie Medienvertreter. „Die Presse kann mir ein’n lutschen / Ihre Fressen – ich will reinspucken …“ Im dazugehörigen Video, das im März veröffentlicht wurde und einen Vorgeschmack auf das bevorstehende Album gab, reckt sie während dieser Passage den Mittelfinger in die Kamera.
Spaß an der Übertreibung
Kreuzberg im Juni, ein üppig begrünter Hinterhof im Bergmann-Kiez. Irgendwo im Hintergrund läuft klassische Musik, auf einer Steinbank sitzt Juju und nestelt mit orange leuchtenden Fingernägeln an ihrem Handy herum. Sie trägt ein langes Leoparden-Kleid, dazu weiße Turnschuhe, die schwarzen Haare offen. Und anstatt einem zur Begrüßung in die Fresse zu spucken, gibt sie freundlich die Hand. Überhaupt wird schnell klar, dass man die Kunstfigur Juju nicht mit der Privatperson Judith Wessendorf verwechseln darf. Letztere weiß sich durchaus zu benehmen.
Fragt man zum Beispiel, ob sie mit dem wachsenden Erfolg nicht den Druck verspürt, Formulierungen besser abzuwägen, antwortet Judith Wessendorf: „Ich glaube an die künstlerische Freiheit. Außerdem finde ich, dass man immer das sagen sollte, was man sagen will, auch wenn das manchen Leuten nicht gefällt – gerade wenn man Rap macht.“ Zudem, fährt sie fort, habe sie Spaß an der Übertreibung. „Das ist mein Humor. Als ich angefangen habe, war mir alles scheißegal. Wir waren damals richtig broke und hatten einfach nur Bock, Musik zu machen. Ohne darüber nachzudenken, was passiert, wenn das dann rauskommt. Welche Leute dann was sagen.“
Gesagt wurde tatsächlich viel. Immer wieder wurde Juju und ihrer ehemaligen Mitstreiterin ein feministischer Ansatz unterstellt. Sie selbst sieht das eher ambivalent. „Ich muss nicht den ganzen Tag für etwas kämpfen und ich möchte auch nicht als Sprachrohr für irgendeine Sache gesehen werden. Ich finde, man kann sich auch mal dumm verhalten und trotzdem Feministin sein.“
Dieser Logik folgend kann man sich offenbar auch von seiner emotionalen Seite zeigen, ohne Angst um Imageverluste haben zu müssen. So wie in „Vermissen“, das vor knapp einem Monat als Single erschienen ist und direkt auf Platz eins der deutschen Charts landete. In dem Stück erzählt Juju erstmals von Liebeskummer und enttäuschten Gefühlen, begleitet wird sie dabei von Henning May. Der AnnenMayKantereit-Sänger ist einer von zwei Gästen auf „Bling Bling“. Der andere ist etwas ungewöhnlicher: Xavier Naidoo, der sich in den letzten Jahren durch verschwörungstheoretische und homophobe Songtexte ins popmusikalische Aus katapultiert hat. Sein Sabrina-Setlur-Duett „Freisein“ aus dem Jahr 1997 hat Juju zu einer eigenen Interpretation inspiriert, die sie mit Naidoo in Mannheim aufnahm.
Früher pleite heute Designer-Klamotten
Überhaupt gibt sich die Künstlerin auf „Bling Bling“ gefühlig wie nie. Insofern ist ihr Solodebüt Neuanfang und Weiterentwicklung zugleich. Wahrscheinlich, sagt Juju, hätte sie mit SXTN die gleichen Themen behandelt. Und trotzdem sei es für sie entspannter gewesen, zum ersten Mal ihr eigenes Ding machen zu können. „Meistens hat man eine Vorstellung von einem Song, und wenn man den zu zweit macht, verschiebt sich die Aussage immer ein bisschen. Das kann natürlich cool sein und einen Song besser machen, aber es ist natürlich auch geil, dass ich jetzt meine Message rüberbringen konnte.“
Geprotzt werden muss natürlich trotzdem. Lautete einer der Titel von SXTN noch „Kein Geld“ und handelte von der eigenen Mittellosigkeit, prahlt Juju nun damit, Designer-Kleidung zu tragen und es zu etwas gebracht zu haben. Davon handelt nicht zuletzt „Bling Bling“, das Titelstück der Platte. Darin heißt es: „Ja, ihr hättet es niemals gedacht / Aber ich hab’ geübt in der Nacht / Und am Ende hat es was gebracht / Bling-Bling, Bling-Bling…“ Wenn Juju im November auf Tour geht, wird die Kasse weiterhin klingeln.
Konzert in Berlin: 24.11., 20 Uhr, Astra
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