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Nachfolge von Klaus Wowereit: Raed Saleh: "Wir brauchen mehr Mut zum Aufstieg"

SPD-Fraktionschef Raed Saleh spricht über seinen Kampf um Wowerereits Nachfolge, seine Ziele für Berlin – und seine Erfahrungen als Arbeiter und Unternehmer.

Herr Saleh, was spricht gegen Neuwahlen?

Wir haben 2011 den Regierungsauftrag bekommen. Die SPD wurde stärkste Kraft. Der Auftrag geht bis 2016 und wir wollen ihn erfüllen. Die Koalition hat in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet. Wir haben Schwerpunkte gesetzt, etwa bei der Wirtschaft, der Stadtentwicklung und der Bildung. Wir haben einen Koalitionsvertrag. Den wollen wir abarbeiten.

Sie sind 37 Jahre jung. Warum wollen Sie schon Regierender Bürgermeister werden?

Alter ist kein Kriterium. Schon als ich Fraktionsvorsitzender werden wollte, haben viele gefragt, ob ich dafür nicht zu jung sei. Heute bestätigen alle, dass meine Arbeit die notwendige Stabilität in die Koalition gebracht hat. Es ist uns gelungen, wichtige Themen voranzubringen, zum Beispiel den Rückkauf der Wasserbetriebe, den Wohnungsneubau, den Arbeitsmarkt. Wir haben solide Regierungsarbeit geleistet und dafür stehe ich.

Was machen Sie dann mit 50?

Mir ist es wichtig, die Kraft, die ich habe, voll einzusetzen für meine Heimatstadt Berlin. Ich bin dankbar für die Chancen, die ich hier habe. Dabei frage ich mich nicht, was ich mache, wenn ich 50 bin. Ich frage mich: Wo soll die Stadt hin in zehn oder zwanzig Jahren? Ich habe Erfahrung in der Politik, ich habe Erfahrung als Fraktionschef. Ich weiß, was es heißt, aus einem Kiez zu kommen, wo es die Menschen nicht so leicht haben. Ich weiß, wie es ist, sich seinen Platz erkämpfen zu müssen. Darum weiß ich sehr genau, dass wir wieder mehr Aufstieg in Berlin brauchen, und mehr Mut zum Aufstieg.

Werben Sie für sich, indem Sie auf Ihre Person verweisen, als Beispiel für eine gelungene Integration? Oder braucht die Integrationspolitik einen neuen Anlauf?

Ich bin ein deutscher Sozialdemokrat, ein Berliner und habe zufällig einen Migrationshintergrund. Ich kam als Fünfjähriger nach Berlin und wuchs am Stadtrand Berlins in einer Plattenbausiedlung auf. Ich habe schon in jungen Jahren gearbeitet, ich kenne die Sichtweise eines Arbeiters. Dann bin ich Unternehmer geworden. Ich bin, so glaube ich, ein Angebot für die Stadt, und zwar die ganze Stadt.

Nennen Sie uns ein Beispiel.

Ich habe zum Beispiel ein Brennpunktschulprogramm durchgesetzt. 200 von 800 Schulen in Berlin sind solche Brennpunktschulen. Dort sagen Lehrer: Wir fühlen uns oft von der Politik allein gelassen. Darum haben wir dort politisch gehandelt. Die Menschen sollen wieder das Gefühl bekommen: Egal wo ich geboren bin, ich mache meinen Weg. Da müssen wir Angebote machen und gleichzeitig Mitarbeit einfordern. Deshalb will ich eine hinschauende Integrationspolitik. Berlin ist eine multikulturelle Stadt. Ich will ein gutes Miteinander mit klaren Regeln.

Jetzt können wir uns vorstellen, wie Ihre Bewerbungsrede klingen wird …

War das gerade eine Bewerbungsrede?

Wie kommt es, dass Sie in den bisherigen Umfragen hinter Jan Stöß und Michael Müller liegen?

Ich kenne es gar nicht anders! Ich musste für meine Ziele immer hart arbeiten, meistens von unten nach oben. Ich freue mich auf die nächsten Monate, auch auf den intensiven Austausch mit der Stadt.

Der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky hat sich zuerst für Sie ausgesprochen und ist dann zu Michael Müller gewechselt. Hat Ihnen das wehgetan?

Heinz Buschkowsky und ich sind enge Vertraute. Ich schätze ihn sehr, auch weil er seit vielen Jahren einen mutigen Weg in der Integrationsdebatte geht. Seine Botschaft war immer: Wenn wir eine Stadt für alle haben wollen, in der Herkunft und Ethnie keine Rolle mehr spielen, brauchen wir Liberalität und klare Regeln. Diesen Weg unterstütze ich.

Das war keine Antwort auf die Frage nach Buschkowskys unverhofftem Schwenk.

Heinz Buschkowsky und ich sind, wie gesagt, enge Vertraute. Ich gehe davon aus, dass er weiterhin meinen Weg und meine Arbeit unterstützt.

{"Die Bürger wollen einen Bürgermeister, der die Stadt versteht"}

Manche, auch in Ihrer Partei, sehnen sich nach einem Bundespolitiker, der die SPD rettet. Was halten Sie davon?

Ich denke, dass die Bürger einen Bürgermeister wollen, der die Stadt versteht und der die Stadt nicht nur aus Sitzungssälen kennt. Einen Bürgermeister, der hier Erfahrung mit dem echten Leben gemacht hat. Sie wollen jemanden, der genau weiß, wo die gemeinsame Entwicklung hinführen soll. Ich möchte als Regierender Bürgermeister die Wahl 2016 gewinnen. Mit den Themen, die ich skizziert habe, und mit meiner Person kann die SPD gewinnen.

Welche sind Ihre besten Eigenschaften?

Ich habe in meinem Leben gelernt zuzuhören. Meine Lehrerin sagte immer: Man muss lernen, mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen. Eine andere Eigenschaft, die mir nachgesagt wird, ist, hart für Ziele zu kämpfen. Und ich bin ein loyaler und geduldiger Mensch.

Was sind Ihre Fehler?

Ich bin jemand, der gern sagt: Schwamm drüber. Vielleicht müsste ich konsequenter sein.

Welche drei wichtigsten Aufgaben hat der Nachfolger Wowereits zu lösen?

Eine klare Perspektive für mehr Gerechtigkeit schaffen. In vielen Situationen geht es nicht gerecht zu. Nicht alle Kinder haben die gleiche Chance auf Bildung und Erfolg. Viel hängt von der Herkunft und dem Elternhaus ab. Mit der Kita beginnt schon der Zugang zu Bildung und die ungleiche Verteilung von Chancen. Darum sollen wir noch mehr Geld für frühkindliche Bildung ausgeben.

Zweite wichtige Aufgabe?

Ein friedliches Miteinander zu organisieren. Wir brauchen eine hinschauende Integrationspolitik. Zu lange sind Probleme nicht angesprochen worden. 50 Prozent der in Berlin geborenen Kinder haben einen Migrationshintergrund. Das sind Berliner Kinder, unsere Kinder. Ich möchte, dass sie gleiche Chancen haben. Dazu gehört, dass es klare Regeln gibt: Schuleschwänzen ist nicht akzeptabel. Wer die Schule schwänzt, verpasst die Möglichkeit, seinen Aufstieg zu organisieren. Deshalb haben wir die Gesetze geändert. Es wird jetzt früher gemeldet, wenn ein Schüler schwänzt. Und wir arbeiten mit Bußgeldern. Es gibt Sprachtests, und wenn ein Kind nicht zum Sprachtest kommt, dann muss es zur Kita. Wenn Eltern ihre Kinder nicht zu Kita oder zur Schule schicken, weil sie nicht die Kraft dazu haben, dann muss man sie aber auch pädagogisch unterstützen.

Und die dritte?

Wirtschaft und Arbeit. Wirtschaftspolitik braucht in Berlin einen Botschafter. Ich kenne aus meiner Lebenserfahrung beide Seiten, die des Arbeiters und die des Unternehmers. Die Stadt hat sich wirtschaftlich sehr gut entwickelt. Das müssen wir fortsetzen.

Dass Sie auch Unternehmer sind, wissen die meisten Berliner nicht. Können Sie uns dazu etwas erzählen?

Ich habe vor neun Jahren zusammen mit Freunden ein kleines Medienunternehmen gegründet, in Spandau auf der Ínsel Eiswerder. Mit einem Dutzend Mitarbeitern, ich bin da Teilhaber, die Firma läuft erfolgreich. Aber, bitte, ich will keine Werbung dafür machen. Die Menschen sollen mich an meiner politischen Arbeit messen.

Wenig bekannt ist auch, dass Sie Medizin studiert, aber das Studium abgebrochen haben. Warum?

Ich habe während des Studiums entschieden, unternehmerisch tätig zu werden. Es war wohl eines der frühen Start-ups in Berlin.

Landarzt in Brandenburg, das war nicht Ihr Ding?

Nein, eher nicht. Aber wer weiß (lacht). Sie fragten mich ja vorhin, was ich mit 50 mache. Ich will zu meiner Biografie noch Folgendes sagen: Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet, und zwar gern. Schon in der Schule, später in der Fastfood-Gastronomie, dann als Unternehmer und in der Politik. Harte Arbeit wartet auch auf den nächsten Regierenden Bürgermeister.

Auch der neue Regierende Bürgermeister wird vor einem nicht eröffneten Flughafen stehen. Würden Sie den Vorsitz des Aufsichtsrats übernehmen?

Ich konzentriere mich jetzt auf die Kandidatur für das Amt des Regierenden Bürgermeisters. Alles andere sieht man dann.

Dann fragen wir anders. Finanzsenator Nußbaum und BER-Chef Mehdorn haben gefordert, dass die Arbeit des Aufsichtsrats durch unabhängige Experten entpolitisiert werden sollte. Fänden Sie das richtig?

Experten sind immer gut.

"Wicht ist: Meine Bilanz als Fraktionschef stimmt"

Nun wird in der Berliner SPD diskutiert, mehr Geld für die wachsende Stadt Berlin auszugeben. Wie verträgt sich das mit einer Fortsetzung des Sparkurses?

Diese Debatte habe ich selbst angestoßen. Wir müssen wieder mehr Geld in Straßen, Brücken, Schulen und andere Infrastruktur investieren. Gemeinsam mit dem CDU-Fraktionschef Florian Graf habe ich vorgeschlagen, einen Investitionsfonds aus den Haushaltsüberschüssen der nächsten Jahre zu bilden. Die eine Hälfte soll investiert, die andere Hälfte in die Schuldentilgung gehen. Das ist eine seriöse Haushaltspolitik.

Was wäre es für ein Signal, wenn Sie Regierungschef würden? Dass ein Aufsteiger mit migrantischem Hintergrund ganz nach oben kommt – und dies für alle möglich ist? Das ist auch eine Gefahr. US-Präsident Obama wird inzwischen gefragt, was er denn für die Schwarzen in seinem Land tut.

Ich möchte der Regierende Bürgermeister für alle Berlinerinnen und Berliner sein. Das kann ich, mit meiner Biografie und Lebenserfahrung. Und wichtig ist, dass meine Bilanz stimmt. Als Fraktionschef habe ich drei Jahre gearbeitet für eine seriöse, stabile und krisenfeste Regierungspolitik.

Ihr Mitbewerber Jan Stöß hält die Zusammenarbeit Berlins mit Brandenburg für unbefriedigend. Wie sehen Sie das? Würden Sie den Brandenburgern beispielsweise beim Nachtflugverbot entgegenkommen?

Ich bin seit Jahren mit den Kollegen in Brandenburg in engem Austausch und werde als Regierender Bürgermeister die Zusammenarbeit intensivieren. Aber bei den Nachtflugzeiten muss es bei dem bleiben, was zwischen Berlin, Brandenburg und dem Bund verabredet ist.

Bliebe das Kulturressort bei Ihnen, wenn Sie Regierungschef werden?

Wir haben in Berlin eine wunderbare Kulturlandschaft, die sich dank der Fürsorge Klaus Wowereits sehr gut entwickelt hat. Gehen Sie davon aus, dass die Kulturpolitik hohe Priorität behalten wird.

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