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Höhepunkt. Alle Routen der Fahrradsternfahrt führen über eine Autobahn – Avus oder A 100 – und führen dann um die Siegessäule zum Umweltfestival.
© picture-alliance / dpa/dpaweb

40. Fahrrad-Sternfahrt in Berlin: Ein großer Tritt für die Menschheit

Aus Ernst wurde Spaß: Zum 40. Mal kreuzt die Sternfahrt der Radler durch Berlin. Ein Pionier erzählt von den Anfängen der größten Demo des Jahres.

Unter den hunderten größeren Demos, die übers Jahr im Berliner Universum auftauchen, ist die Fahrrad-Sternfahrt gewissermaßen das Zentralgestirn: so viele Menschen sind bei keiner anderen unterwegs – je nach Wetter um die 100.000. Das dürfte erst recht für die Jubiläumstour am heutigen Sonntag gelten, die 40. ihrer Art.

Wer hat das Ganze eigentlich erfunden? Die Suche führt nicht hinter den Mond, sondern nach Schöneberg in den verkehrsberuhigten Crellekiez, wo in einem etwas verrumpelten, angenehm kühlen Ladenbüro mit Anti-Stuttgart-21- Schild im Fenster Norbert Rheinländer arbeitet: 68 Jahre alt, Architekt, Stadtplaner, Unruheständler und so schlank, wie eigentlich nur Leute sind, die kein Auto besitzen und keine Pausen kennen. An seinem Schreibtisch lehnt gerahmt der Aufruf zur Premiere von 1977: Ein aus aufgeklebten Druckzeilen gebasteltes A3-Plakat mit dem Aufruf „Sternfahrt zum Tiergarten mit Fahrrädern am 5. Juni“ und der Zeichnung eines Radlers, der ein Schild „Stop dem Autobahnbau“ umgeschnallt trägt wie seine modernen Artgenossen die Warnweste.

Autofahrer wurden handgreiflich

Auf elf Routen aus allen Teilen der westlichen Halbstadt ging es an jenem 5. Juni zur Großen Querallee – einem von vielen damals autobahnbedrohten Flecken. Die Idee zur Sternfahrt war in der Bürgerinitiative (BI) gegen die Westtangente entstanden, jenen wegen massiver Bürgerproteste abgebrochenen Bau eines Autobahnzubringers ins Herz der Stadt. Rheinländer glaubt sich zu erinnern, dass sein Mitstreiter Bernd Herzog-Schlagk, später langjähriger Vorsitzender des Fachverbandes Fußverkehr (FUSS e.V.), die Idee aus den Niederlanden mitgebracht hatte, wo damals auch das Gefühl aufkam, dass die Entwicklung der Städte zur Autobahnrandbebauuung ein, nun ja, Holzweg ist.

Norbert Rheinländer in seinem Büro in Schöneberg. Hier bewahrt er auch das Plakat zur ersten Sternfahrt von 1977 auf.
Norbert Rheinländer in seinem Büro in Schöneberg. Hier bewahrt er auch das Plakat zur ersten Sternfahrt von 1977 auf.
© Georg Moritz

Als es dann soweit war, fuhren kaum für möglich gehaltene 8000 Leute mit – und erlebten den Aha-Effekt, „dass man sich als Radfahrer mal nicht bedroht fühlte“, erzählt Rheinländer. Wobei es durchaus einzelne Handgreiflichkeiten gegeben habe, weil die Polizei nur spärlich präsent war und die Schlange der Radfahrer länger war als der Geduldsfaden manches aufgehaltenen Automobilisten. „Es gab ja damals nur drei Arten von Fahrrädern“, nämlich Klapp-, Touren- und Rennräder: Das Fahrrad war Freizeit- oder Sportartikel, aber kein Verkehrsmittel zu jener Zeit, als die Tempo-30-Zone noch nicht erfunden und ein Radweg, sofern vorhanden, ein fahrradlenkerbreites Stück rot getünchter Gehweg war.

Der Trend geht zum "Schönwettermotto"

Nach dem Auftakterfolg nahmen an der zweiten Sternfahrt noch ein paar mehr Leute teil – diesmal mit Ziel Messegelände, wo auf dem Parkplatz am Funkturm ein mehrwöchiges Umweltfestival lief. Damit war die Sache zur Institution geworden – vorerst weiter organisiert von der BI, dann von den Grünen Radlern, bis in den 1990ern der ADFC die Sache an sich zog, indem er die stadtweite Demo einfach zuerst anmeldete.

Rheinländer war bei jeder einzelnen dabei, allerdings oft nicht per Rad, sondern als Standbetreuer auf dem großen Umweltfestival am Brandenburger Tor. Hier wird er diesmal am Stand von „Berlin 21“ stehen, einem aus der Lokalen Agenda 21 hervorgegangen Verein. Rheinländer ist nicht der Typ, der Dinge abhakt: Der Autobahn-Unsinn passiere jetzt eben nicht mehr in Schöneberg, sondern in Neukölln und Treptow, und auch anderswo wie bei der sechsspurigen Neuplanung des Molkenmarktes würden die Fehler früherer Jahrzehnte wiederholt, als wäre man nicht klüger. Auch die BI Westtangente bestehe aus guten Gründen weiter: zwecks „Wächterfunktion“ und um dem Senat „nicht den Triumph zu lassen, dass er uns überlebt hat“.

Anekdoten aus den frühen Jahren gäbe es bestimmt, aber bei Norbert Rheinländer sind keine zu bekommen: Dafür ist ihm das Thema – es geht ja um nicht weniger als die menschengerechtere Stadt – zu ernst. „Wir wollten ziemlich bald auf die Autobahn“, erinnert er sich. Vom ersten Ablehnungsbescheid der Polizei habe man sich noch überrumpeln lassen, aber in den Folgejahren sei die – auch mit juristischem Sachverstand reichlich ausgestattete – BI auf die kurzfristige Ablehnung am Freitag vor dem Termin jeweils schon vorbereitet gewesen auf das dann jeweils fällige Eilverfahren vor Gericht. Fast immer ging es zu Gunsten der Demo aus.

Darf man überhaupt von einer Demo reden, wenn ein bunt gemischtes Riesenrudel klingelnd und johlend das Echo im Britzer Autobahntunnel testet? Rheinländer gönnt es den Leuten, aber bedauert den Trend zum „Schönwettermotto“; in diesem Jahr: „Fahr Rad in Berlin!“ Daran gefällt Rheinländer eigentlich nur das Ausrufezeichen. Wäre er auch nur ein bisschen eitel, könnte er immerhin konstatieren, dass die aktuelle Spaßveranstaltung auch auf seiner ernsthaften Vorarbeit beruht.

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