Legendäres Terrassenlokal: Potsdam streitet um "Minsk"-Abriss
Potsdam streitet nach dem barocken Wiederaufbau der Stadtmitte über den Abriss eines Terrassenrestaurants. Namhafte Fürsprecher mischen sich ein.
Ausgemacht war ein Spaziergang über den Brauhausberg, die bewaldete Bergkuppe gegenüber des Potsdamer Hauptbahnhofs, deren Nordflanke Karl-Heinz Birkholz in den 70ern bebaute. Doch Birkholz schüttelt nur den Kopf. „Zu deprimierend“, sagt er.
Viel ist von Birkholz’ Bauten dort nicht übrig. Die Kaskade aus Treppen, Terrassen und Springbrunnen, die er damals anlegen ließ und die den Architekturkritiker der „Süddeutschen Zeitung“ an den Weinberg von Schloss Sanssouci erinnerte, ist bereits seit Jahren abgetragen. Vom alten Schwimmbad, das Birkholz zwar nicht entwarf, aber so geschickt platzierte, dass sein konkav geschwungenes Dach wie eine Sprungschanze in den Himmel ragte, sind nur noch Trümmer übrig. Stattdessen steht da das neue Bad „blu“, ein wuchtiger, weißer Quader, den Birkholz nicht näher kommentieren will. „Kein Respekt vor der Hanglage“, sagt er knapp.
Karl-Heinz Birkholz ist ein drahtiger, 88-jähriger Mann, der am Waldrand von Geltow wohnt und gerade von seinem morgendlichen Bad im Schwielowsee zurückgekommen ist. Auf dem Brauhausberg in Potsdam ist von seinem Ensemble nur sein Terrassenrestaurant Minsk stehen geblieben. Auch das ist zurzeit kein schöner Anblick. Der letzte Pächter ist in den 90ern ausgezogen, die Scheiben sind eingeschlagen, das Interieur ist geplündert. Auf den Terrassen wuchert Unkraut. Am Mittwoch will die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung über seinen Abriss entscheiden.
Doch dieser hohle Zahn hat in letzter Zeit richtige Fans gewonnen. Während sich vor wenigen Jahren noch vor allem die Linkspartei für den Erhalt einsetzte, wobei ihr DDR-Nostalgie unterstellt wurde, wird heute auch von bürgerlicher Seite „die hochwertige Gestaltungsqualität“ des Terrassenrestaurants gelobt.
Karl-Heinz Birkholz, nach dem Krieg Stahlarbeiter in Hennigsdorf, Architekturstudent im kleinen Neustrelitz, dann jahrelang im VEB Landbauprojektierung für die Gestaltung von Schweineställen zuständig, findet seinen Namen in den überregionalen Feuilletons wieder. Der „Spiegel“ nennt das Minsk „Unikat der Ostmoderne“, und die „Süddeutsche“ lobt, wie Birkholz den Hang „zur Tribüne mit Blick über die Stadt und Havel“ gemacht habe.
Über die ästhetische Bewertung hinaus ist das Minsk auch außerhalb von Brandenburg zum Symbol geworden, wie weit Städte bereit sind, ihr Gesicht und ihre Struktur Verwertungsinteressen zu opfern. SPD und CDU, die in Potsdam regieren, wollen, dass die Stadtwerke, denen die Hanggrundstücke gehören, sie für 27 Millionen an einen Investor verkaufen, der das Minsk abreißen will. Wer es ist und wie genau seine Pläne aussehen, ist geheim. Auf der Hand liegt, dass sich ein so hoher Kaufpreis nur bei hohen Gewinnmargen lohnt: wenn also Luxuswohnungen entstehen. Auf Potsdams Tribünenplätzen sitzen dann die Superreichen.
Karl-Heinz Birkholz bittet in sein Arbeitszimmer. An den Wänden hängen Aquarellbilder von Strandlandschaften, die er in Ostsee-Urlauben gemalt hat. „Dass nicht gezeigt wird, was die Investoren da vorhaben, halte ich für gefährlich“, sagt er. Generell hat Birkholz nichts gegen Potsdams oft barocke Umgestaltung, wie man vielleicht denken könnte von einem, der 40 Jahre lang in der DDR als Architekt arbeitete. Den Blick auf die Knobelsdorff-Fassade des Landtags als wiederaufgebautes Stadtschloss findet er „wunderschön“. Birkholz erzählt, dass er dabei war, wie die Garnisonskirche gesprengt wurde. Wegen der Erschütterung mussten seine Kollegen und er raus aus ihren Büros. „Ich sah, wie das Ding runterging“, sagt er. „Das wühlt mich heute noch auf.“
Dreißig Jahre nach der Wende scheint sich der ästhetische Glaubensstreit, Preußen gegen DDR, der Potsdam so lange prägte, aufzulösen. So spricht beispielsweise die „FAZ“ Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs in Bezug auf den Minks-Abriss, den Jacobs vorantreibt, das „ästhetische und geschichtsdidaktische Verständnis“ dafür ab, dass es Gründe geben könne, „die Ostmoderne zu erhalten“. In einem offenen Brief werben 35 Kulturschaffende – von Martin Bredenbeck vom Verband Deutscher Kunsthistoriker über Oliver Elser, Kurator des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, bis Christian Keller, Präsident der Brandenburgischen Architektenkammer – für eine „Perspektive für das Minsk“ als „vermittelndes Bindeglied über 120 Jahre Baugeschichte“. Mittlerweile favorisiert einer Forsa-Umfrage zufolge eine Mehrheit der Potsdamer den Erhalt.
Doch je mehr die Unterstützerfront wächst, desto mehr drängt die Stadt auf die Abrissentscheidung. In der Stadtverordnetenversammlung lagen die Minsk-Gegner zuletzt knapp vorne. Dabei gibt es Vorschläge von Investoren, das Minsk zu erhalten und zugleich Wohnungen zu bauen – doch für einen niedrigeren Kaufpreis. Als Konzession hat sich die Stadt vom meistbietenden Investor die Zusage geben lassen, zwanzig Prozent Sozial- und Studentenwohnungen zu errichten – gegen einen Preisnachlass. Oppositionspolitiker unken, da eine stark befahrene Straße den Brauhausberg begrenze, könne man ahnen, wo die billigen Wohnungen liegen werden.
Karl-Heinz Birkholz sagt, dass er – falls die Stadt dem Grundstücksverkauf an den Meistbietenden zustimmt – wenigstens hier draußen in Geltow die Demontage des Minsk nicht täglich mitansehen müsse. Tröstlich ist für ihn vielleicht eine Potsdamer Besonderheit: Das Minsk wäre jedenfalls nicht das erste Gebäude, das hier Jahre nach dem vollständigen Abriss wieder aufgebaut würde.