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Hier Kalaschnikows, da Namen – so wird in „Nineties Berlin“ an die Mauertoten erinnert. Die Grenze war in den Neunzigern zwar schon offen, dafür liefen die Mauerschützenprozesse. Stefan Wolle ist der wissenschaftliche Leiter.
© Kai-Uwe Heinrich

Ausstellung „Nineties Berlin“: Von Techno, Clubs und Zwischennutzung

Eine neue Multimedia-Ausstellung in Mitte feiert das Berlin der neunziger Jahre. Die Räume schwanken zwischen originell, gewöhnungsbedürftig und teils fragwürdig.

Berlin in den Achtzigern – das hatten wir schon. Inzwischen wird sich verstärkt an die Neunziger erinnert, als goldenes Jahrzehnt, in dem sich noch nicht andauernd über hohe Mieten unterhalten hat - und die Clubs, für die es heute in der Innenstadt immer enger wird, erst gegründet wurden. Passend dazu gibt es nun in der Alten Münze am Molkenmarkt in Mitte die Ausstellung „Nineties Berlin“, die eine vergangene Zeit, in der man noch in Telefonzellen telefonierte, der Generation Smartphone näher bringen möchte.

Multimedia Exhibition – mit dem Handy in der Hand durch die 90er

Am besten mit dem Handy in der Hand sollte man auch die Ausstellung durchwandern. Man kann sich einen Guide herunterladen und dann zusätzliche Informationen abfragen. Interaktive Bildschirme sehen zudem aus wie die Benutzeroberfläche eines Smartphones und lassen sich auch so bedienen.

Die Neunziger in Berlin: Wiedervereinigung, neue Freiräume im Osten der Stadt, Zwischennutzungskonzepte, Loveparade und Techno. All diese Punkte arbeitet die Ausstellung brav ab, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Subkulturen prägten die Zeit, weiß man zu berichten, wichtige Orte wie der Eimer oder das Tacheles werden genannt. Doch die einzigartigen Wochenbars, die es zu der Zeit gab oder die legendäre Galerie Berlintokyo direkt am Hackeschen Markt bleiben weitgehend unerwähnt.

„Nineties Berlin“ nennt sich selbst eine „Multimedia Exhibition“. Und was das bedeutet, erfährt man gleich am Anfang. Man geht erst durch einen langen schwarzen Tunnel, der das Betreten eines Clubs simulieren soll. Dann landet man vor einer gewaltigen Panorama-Leinwand, auf der eine mehrminütige Filmcollage kurz die wichtigsten Schlagwörter der Zeit erklärt und Bilder eines Nineties-Berlin im Um- und Aufbruch zeigt.

Häuserbesetzungen, Mitte noch komplett unsaniert und ohne Flagship-Stores, Raver bei der Party, alles prasselt im Schnelldurchlauf, wie ein nervöses Zapping durch ein vergangenes Jahrzehnt, auf einen ein. Dazu wird man von einem ohrenbetäubenden, grollenden Sound überwältigt. Berlin in den Neunzigern – welch Spektakel! Das Gefühl von Melancholie bei der Erinnerung an damals oder auch bloß ein zarter Duft von eingebildetem Kohleheizungsaroma will sich da nicht einstellen.

We are one family. Auf Knopfdruck erklingen die Hymnen der Loveparade.
We are one family. Auf Knopfdruck erklingen die Hymnen der Loveparade.
© Kai-Uwe Heinrich

Es gibt durchaus Originelles in dieser Ausstellung. Irgendwann etwa steht man in einem Spiegelsaal, einer Art Loveparade-Schrein und kann sich selbst auf einer Soundbank in Form eines echten Technics-MK II-DJ-Plattenspielers durch die Hymnen der jeweiligen Loveparaden klicken.

Und dazu tanzen, wenn man mag. Den „Berlin Heads“, diversen Persönlichkeiten, die die Zeit geprägt haben und die in Videos Geschichten von damals erzählen, werden dagegen Exponate beigestellt, auf die man wahrscheinlich nach fünf Sekunden Nachdenken gekommen ist. Westbam spricht zu einem alten Plattenkoffer, der ehemalige Clubbetreiber und Fotograf Ben De Biel neben einer analogen Fotokamera.

„Berliner Mauer Manufaktur“ produziert Reliquien

Gewöhnungsbedürftig ist auch der überdeutliche Schulterschluss von ernsthafter Information und Kommerz. Eine „Berliner Mauer Manufaktur“ ist anwesend und bearbeitet ganze Klötze aus Resten der Grenze, die irgendwo aufgetrieben wurden. Die Klötze wurden nachträglich bemalt und dann wurden in echter Maucherspecht-Tradition kleine Reliquien daraus gehämmert, die man käuflich erwerben kann.

Wie sehr der Verkauf von Krimskrams in das Ausstellungskonzept mit eingebunden wurde, zeigt auch allein die Tatsache, dass ein Exponat, ein einst feuerspeiender Drachenkopf aus der 1997-Bühnenshow von Band Rammstein, im Verkaufsraum gelandet ist.

Bei manchem fragt man sich auch, was das thematisch hier zu suchen hat. Der Raum „Fear The Wall“ etwa ist gut gemeint, er erinnert an die 140 Todesopfer, die an der Mauer in irgendeiner Weise umgekommen sind. Man durchläuft einen Gang, in dem linker Hand namentlich die Mauertoten genannt werden, während rechts die Münder von 140 Kalaschnikow-Imitaten auf einen gerichtet sind.

Das fühlt sich angemessen beklemmend an, bloß gab es in den Neunzigern keinen Schießbefehl mehr an der Mauer. Ein Team des DDR-Museums hat die gesamte Ausstellung kuratiert. Vielleicht liegt es daran, dass diese Episode aus der Geschichte der DDR, die vor ihrem Ende nur noch ein paar wenige Monate der Neunziger miterlebte, einfach noch mitgenommen werden musste in die „Nineties“ von Berlin.

Nineties Berlin, 4. August bis Februar 2019, täglich 10 bis 20 uhr, Alte Münze, Molkenmarkt 2, Eintritt 12,50 Euro, ermäßigt 8,50 Euro, nineties.berlin

Andreas Hartmann

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