zum Hauptinhalt
Polizisten untersuchen den Tatort in Hellersdorf.
© dpa

Nach Polizeischuss in Berlin-Hellersdorf: Schwerverletzter war polizeibekannt und psychisch auffällig

Ein Mann wurde Samstag von der Polizei niedergeschossen. Er war mit einem Kettenschloss auf Passanten losgegangen. Am Montag nannte die Polizei Details.

Die Polizei hat am Montagvormittag weitere Details zum Schuss auf einen Randalierer in Berlin-Hellersdorf bekannt gegeben. Wie berichtet, hatte eine Polizistin am Samstagabend gegen 22.15 Uhr einen Mann niedergeschossen, nachdem dieser mit einem Motorradkettenschloss bewaffnet durch die Louis-Lewin-Straße gezogen war und Passanten bedroht hatte. Zunächst hatte es geheißen, ein männlicher Beamter hätte gefeuert.

Der angeschossene Mann ist 25 Jahre alt und in Marzahn gemeldet. Er ist in der Vergangenheit wegen des Konsums und des Handels mit Betäubungsmitteln aktenkundig geworden. Die Ermittler haben nach Angaben von Polizeisprecher Winfrid Wenzel "eindeutige Anhaltspunkte" auf eine psychische Erkrankung des Schwerverletzten; er soll unter Betreuung gestanden haben.

Auch in den Tagen vor dem Vorfall soll der Mann bei der Polizei aufgefallen sein: So soll er sich in einer Straßenbahn in der Straße Am Fennpfuhl in Lichtenberg nach Angaben von Wenzel "psychisch auffällig" verhalten haben. Drei Frauen in der Straßenbahn hatten sich von dem Mann bedroht gefühlt; sie wählten den Notruf.

Ein einzelner Schuss traf den Randalierer in den Bauch

Nach derzeitigem Ermittlungsstand der Polizei soll der Mann vom U-Bahnhof Louis-Lewin-Straße in Richtung Schwarzheider Straße gezogen sein. Mehrere Zeugen hätten ausgesagt, dass der Mann krakeelend durch die Straße gelaufen sei, dabei soll er das Kettenschloss über dem Kopf kreisen gelassen haben. Mehrere Menschen hätten daraufhin die Beamten alarmiert.

Auf seinem Weg soll sich der Mann auch mitten auf die Straße gehockt und dann versucht haben, einen Mopedfahrer - offenbar einen Pizzalieferanten - von seinem Gefährt zu schlagen. Der Mopedfahrer konnte dem Schlag aber ausweichen. Gefunden wurde der Mopedfahrer bislang nicht: "Der Zeuge hat sich noch nicht bei uns gemeldet", hieß es bei der Polizei. Die Mordkommission bittet den Mann, sich unter (030) 4664- 911 444 zu melden.

An der Kreuzung Louis-Lewin-Straße/Schwarzheider Straße sei der Mann von der Polizei gestellt worden. "Es gab mehrere Anrufe an den Mann, stehen zu bleiben und seine Waffe niederzulegen", sagte Polizeisprecher Wenzel. Der Mann habe auf die Anrufe nicht reagiert; als er sich einer Polizistin zuwandte und auf sie zuging, gab die Beamte "aus einer Nahdistanz von wenigen Metern", so Wenzel, einen einzelnen Schuss aus ihrer Dienstwaffe auf den Mann ab.

Täter nicht ansprechbar, Schützin schweigt

Der 25-Jährige erlitt einen Bauchschuss, musste notoperiert werden und liegt nun im künstlichen Koma. "Sein Zustand ist stabil. Er konnte aber noch nicht zur Tat befragt werden", sagte der Polizeisprecher. Unklar ist nach wie vor, ob der Mann auch noch ein Messer bei sich getragen hatte. "Wir haben ein Messer am Tatort sichergestellt, konnten es aber noch nicht zuordnen", hieß es bei der Polizei.

Gegen die Polizistin wird nun wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Die Beamtin hat sich noch nicht zu dem Vorfall geäußert. "Sie ist formal verdächtig und macht von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch", sagte Polizeisprecher Wenzel.

Einmal im Jahr ist Schießtraining vorgeschrieben

Polizisten müssen einmal im Jahr auf den Schießstand, um den Umgang mit der Dienstpistole zu trainieren – mit mindestens 39 Schüssen muss eine vorgeschriebene Punktzahl erreicht werden, sonst droht der Verlust der Berechtigung zum Führen der Waffe und ein Disziplinarverfahren, falls die Prüfung zweimal vermasselt wird oder sich ein Beamter weigert, am Training teilzunehmen. Festgelegt ist dieses Verfahren in einer internen Dienstanweisung – als diese geschrieben wurde konnte sich offenbar noch niemand vorstellen, dass es einen Mangel an Schießständen in Berlin geben würde.

Daher verfügte Polizeipräsident Kandt für die Jahre 2015 und 2016, dass auch das Laser-Simulationsschießen für das jährliche Training ausreiche. So konnten zumindest 2015 fast alle Berliner Polizisten ihr Schießtraining absolvieren – im letzten Jahr verpassten 763 Beamte ihr Training, teilte die Senatsinnenverwaltung Anfang Juli auf Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer hin mit. Allerdings sei kein Fall bekannt, in dem ein Polizist seine Waffe tatsächlich mangels Schießleistung abgeben musste, schrieb Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) dem Abgeordneten der Piratenfraktion. Diese Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass in der großen Behörde viele Beamte dauerhaft krank, in Elternzeit oder Mutterschutz oder gar im Sabbatjahr sind.

Nur ein Drittel der Beamten trainierte bislang mit scharfer Munition

Zuletzt hatte die Polizei mitgeteilt, dass im Jahr 2016 bislang rund ein Drittel der Beamten mit scharfer Munition trainiert habe. Ein weiteres Drittel sei zum Laser-Schießtraining geschickt worden. Der Rest wartet noch darauf, zum Schießstand beordert zu werden – aber das Jahr hat ja noch vier Monate. Ob die Beamtin, die am Samstag einen 25-jährigen Randalierer mit ihrer Waffe niederstreckte, zur letzten Gruppe gehört, ist unbekannt: Diese Information sei ein wichtiger Bestandteil der Ermittlungen, teilte die Polizei mit.

Fälle in Berlin und Brandenburg

Anfang März dieses Jahres hatte ein Zivilfahnder der Berliner Polizei einen mutmaßlichen Einbrecher bei einer Verfolgungsjagd in Marzahn erschossen. Der Hatz war eine Observierung vorausgegangen, ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) versuchte mit mehreren Autos, die verdächtigen Männer zu stoppen. Diese flüchteten mit ihrem Auto, woraufhin ein Polizist mindestens einmal schoss und den Fahrer traf.  Das Ermittlungsverfahren wegen Verdacht eines Tötungsdelikts läuft noch, sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, dem Tagesspiegel.

Anfang des Jahres war im brandenburgischen Cottbus ein Polizist wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten und einer Geldbuße verurteilt worden. Er hatte bei der versuchten Festnahme eines mutmaßlichen Wirtschaftskriminellen im August 2014  in der Cottbuser Innenstadt seine Dienstwaffe gezogen. Entgegen der Vorschrift hatte er dabei seinen Finger am Abzug und nicht parallel zum Lauf. Als er auf das Auto mit dem Verdächtigen zulief,  löste sich ein Schuss, der den damals 37-jährigen Verdächtigen in den Kopf traf. Er ist seither ein schwerer Pflegefall.

Zur Startseite