Rigaer Straße in Berlin: Polizist schickte Drohbriefe an die linke Szene
Über das Polizeisystem kam er an die Daten und verschickte Drohbriefe an die linke Szene in der Rigaer Straße. Nun erging ein Strafbefehl gegen ihn.
Dieser Fall wirft erneut ein Schlaglicht auf den Datenschutz bei der Berliner Polizei. Ein Polizist hat im Dezember 2017 Drohbriefe an vermeintliche Angehörige der linksextremen Szene aus dem Umfeld der Rigaer Straße geschickt. Das berichtet der rbb. Eine Justizsprecherin bestätigte, dass wegen Verstoßes gegen das Berliner Datenschutzgesetz ein Strafbefehl über eine Geldstrafe in Höhe von 3500 Euro ergangen sei.
Der Mann soll demnach die Daten für seine Drohbriefe aus dem Polizeisystem entnommen haben. Ob der Mann Beamter ist, konnte die Justizsprecherin nicht bestätigen. Dem rbb zufolge, der sich auf zwei mit dem Fall befasst Anwälte beruft, soll der Beamte die Taten gestanden haben. Die Polizei selbst konnte sich auf Anfrage noch nicht zu dem Fall äußern.
Unfassbar, dass solche Leute an ihrem Arbeitsplatz verbleiben und noch dazu weiterhin Zugriff auf die Datenbank haben. Wer diese Befugnisse missbraucht hat, gehört in die Kleiderkammer oder die Registratur versetzt.
schreibt NutzerIn AdeleSandrock
Die Drohbriefe waren Ende Dezember 2017 bekannt geworden. Diese waren bei Treffpunkten der linksextremen Szene und bei Privatpersonen gelandet, aufgeführt waren 42 namentlich benannte Personen mit Wohnanschrift und einige mit Fotos, die bei der erkennungsdienstlichen Behandlung durch die Polizei entstanden sein sollen. Von Beginn an bestand der Verdacht, dass die Daten für die Drohbriefe aus der Polizei stammen. Als Absender war ein „Zentrum für politische Korrektheit" angegeben – eine Anspielung auf das „Zentrum für politische Schönheit".
In dem Briefen hieß es: "Eure Gesichter, Namen, Adressen, Fahrzeuge, Eltern, Geschwister sind sehr lange schon bekannt." Der Verfasser hatte gedroht, die Daten - Wohnanschriften und Fotos - unter anderem an Rechtsextreme weiterzuleiten, "an die Identitären", an Autonome Nationalisten "oder die Bullen oder wen auch immer".
Drohbriefe gingen nicht ausschließlich an linksextreme Szene
Die Drohbriefe waren als Reaktion auf das Vorgehen der linken Szenen gewertet worden. Die hatte 54 Porträtfotos von Polizeibeamten veröffentlicht, die an der Räumung eines Hauses – einem Treffpunkt der linksextremen Szene - in der Rigaer Straße 94 beteiligt waren. Doch die von dem Polizisten verschickten Drohbrief landeten zum Teil bei Personen, die nach einem Bericht der Zeit zum Teil gar nicht zur linksextremen Szene gehören. Unter den Empfängern waren ein SPD-Mitglied, ein Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten und ein Mann, der Jahre mal mit einer Bewohnerin des besetzten Hauses eine Beziehung hatte.
Die Berliner Polizei konnte sich am Freitag zunächst nicht zu dem Fall äußern. Entsprechende Informationen zu dem Fall lägen noch nicht vor, sagte eine Sprecherin. Sollte ein Strafbefehl vorliegen, werde sicherlich auch disziplinarrechtlich gegen den Beamten vorgegangen. Laut Justizsprecherin gilt der Beamte trotz des Strafbefehls nicht als vorbestraft. Vorbestraft wäre er nur bei einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Angesichts der verhängten Geldstrafe und der sich am Nettogehalt bemessenen Tagessätze dürfte es sich um einen Beamten im mittleren Dienst handeln. Von 2014 bis zum ersten Halbjahr 2018 sind 54 Disziplinarverfahren gegen Berliner Polizisten wegen Verstößen gegen das Datenschutzgesetz eingeleitet worden.
Missbrauch des Datensystems Poliks
In diesem Jahr ist bekannt geworden, dass die Berliner Polizei massive Probleme beim Datenschutz hat. Dabei geht es um Sicherheitslücken im Datensystem Poliks. In dem System, auf das 16.000 Polizisten Zugriff haben, sind die Daten der Berliner Bürger gespeichert. Zudem steht der Verdacht im Raum, dass Verstöße von Beamten nur zögerlich oder gar nicht geahndet werden. In mehreren Fällen haben Polizisten illegal Daten aus Poliks für private oder kriminelle Zwecke genutzt - etwa als Kopf einer Autoknacker-Bande.
In einem anderen Fall hatte ein Beamter eine Bande von Drogendealern mit Informationen versorgt und so vor Razzien gewarnt. Andere Beamte haben Daten über eine Kollegin abgefragt, um herauszufinden, ob sie sich von ihrem Mann getrennt hat. Und eine Beamtin hat ihre Nachbarn ausspioniert. Zudem soll es bei Poliks eine Sicherheitslücke gegeben haben, mit der der Passwortschutz geknackt werden kann. Löschfristen sollen wegen Personalmangels nicht eingehalten werden, Verstöße bei Stichproben nur unzureichend erkannt werden.
Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk hat allein 2017 insgesamt 17 Strafanträge gestellt. Laut Polizei sind 2017 in zwei Fällen Geldstrafen in Höhe von jeweils 6.000 Euro gegen Beamte verhängt worden. In den meisten Fällen jedoch kommt es gar nicht dazu: Von Spähattacken Betroffene oder die Datenschutzbeauftragte können zwar eine Strafanzeige stellen, doch dafür müssten beide vom Verstoß erfahren. Das aber geschieht offenbar nur selten. Es steht der Vorwurf im Raum, dass die internen Ermittler des LKA die Betroffenen nicht informieren.
Smoltczyk sah sich 2017 sogar genötigt, die Generalstaatsanwaltschaft an die Pflicht zu erinnern, zumindest die ausgespähten Personen zu informieren. Die Datenschutzbeauftragte kritisierte wiederholt, dass sie aus der Presse von Datenschutzverstößen bei der Polizei erfahren hat. Die Polizei müsste nach dem Gesetz die Datenschutzbeauftragte von sich aus informieren, mahnte Smoltszyk zuletzt.
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