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Trauer um Giuseppe Marcone.
© dpa

Zum Prozessbeginn: Giuseppe Marcones Eltern wollen Zeichen gegen Gewalt setzen

Sechs Monate nach dem Tod eines 23-Jährigen stehen die mutmaßlichen U-Bahn-Schläger vor Gericht. Ein Mahnmal soll am Tatort an Giuseppe Marcone und alle anderen Opfer von Gewalt erinnern.

Der Fall erinnert an den in den Tod gehetzten Giuseppe Marcone: In der Nacht zu Sonntag rannte ein Mann auf der Flucht vor einer Gruppe von Schlägern auf die stark befahrene Straße Hasenheide und wurde von einem Auto erfasst. Mit schweren Verletzungen kam der 29-Jährige in eine Klinik. Zeugen, die die Hatz bemerkten, alarmierten gegen 22 Uhr die Polizei. Zuvor soll einer aus der Gruppe dem Opfer mit einer Baseballkeule gegen den Kopf geschlagen haben. Die Gruppe entkam unerkannt.

Auch der 23-jährige Giuseppe Marcone war in der Nacht zum 17. September vergangenen Jahres auf der Flucht vor Schlägern überfahren worden. Er starb auf dem Kaiserdamm – nachdem er von zwei jungen Männern im U-Bahnhof angegriffen worden war.

Der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Täter beginnt am heutigen Montag. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 21-jährigen Ali T. und dem 22-jährigen Baris B. vor, Giuseppe Marcone und seinen Freund auf dem U-Bahnhof Kaiserdamm massiv mit Fäusten geschlagen zu haben. Das Opfer und dessen Freund hätten sich zunächst zu verteidigen versucht und seien dann weggerannt. Der Haupttatverdächtige T. habe jedoch Giuseppe Marcone aus dem U-Bahnhof hinaus verfolgt, worauf dieser „aus Angst und Panik“ auf die Fahrbahn gelaufen sei, so die Anklage.

Giuseppe Marcones Mutter Vaja und sein Bruder Velin treten als Nebenkläger auf. „Das sind wir ihm schuldig“, sagt Vaja Marcone: „Schlimm ist nur, dass ich nun im Gerichtssaal das Sterben von Giuseppe noch einmal durchleben muss.“

Die 50-Jährige hat in den vergangenen sechs Monaten wie ihr Mann Antonio, ihre beiden anderen Söhne sowie viele andere Verwandte und Freunde versucht, das Geschehen irgendwie zu verarbeiten. Weil sie Giuseppe als tolerantem und liebevollem Menschen gerecht werden wollen, versuchen sie auch, sich nicht vom Hass auf die mutmaßlichen Täter überwältigen zu lassen. Die hatten sich bei der Polizei gestellt, bestreiten aber, ihr Opfer in den Tod getrieben zu haben.

Entschuldigt hat sich bis heute keiner bei der Familie, sagt Vaja Marcone: „Ich will auch keine Entschuldigung hören, das wäre sowieso nur Blablabla und nicht ernst gemeint.“ Wichtiger sei ihr und allen Freunden von Giuseppe, dass mehr gegen die alltägliche Gewalt getan werde. „So viele Opfer gibt es inzwischen“, sagt sie, „so viel sinnloses Leid – dagegen muss man etwas tun.“

Am U-Bahnhof Kaiserdamm soll ein Mahnmal entstehen.

Am U-Bahnhof Kaiserdamm, gleich neben der Stelle, wo ihr Sohn in jener Septembernacht starb, soll deshalb künftig an Giuseppe Marcone und alle anderen Opfer von Gewalt erinnert werden. Nicht mit einem toten Stein oder Schild sondern mit einer lebenden Pflanze, sagt seine Mutter. Die Bezirksverordnetenversammlung hat dem Projekt schon zugestimmt, ein Künstler wird das Mahnmal gestalten.

Unmittelbar nach dem Tod von Giuseppe Marcone haben Angehörige und Freunde eine Stiftung gegründet und unter www.giuseppemarcone.de eine Internetseite für den Kontakt mit Gleichgesinnten eingerichtet. Dort findet sich auch eine Petition an das Berliner Abgeordnetenhaus gegen Gewalt in U- und S-Bahn und für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen. „Im Berliner Nahverkehrssystem darf nicht das Gesetz des Dschungels gelten“, heißt es darin. Innerhalb weniger Wochen haben die Petition mehr als 4000 Menschen unterschrieben.

Auch an diesem Wochenende meldete die Polizei wieder mehrere Gewalttaten in der U-Bahn. In der Nacht zu Sonntag griff ein 18-Jähriger nacheinander einen Fahrgast, der ihn an das Rauchverbot im Waggon erinnert hatte, dann zwei BVG-Wachschützer und schließlich bei der Festnahme einen Polizisten an. In der Nacht zuvor hatte es bei zwei Schlägereien zwischen Fahrgästen drei Leichtverletzte gegeben. In der U2 in Prenzlauer Berg stritten sich zwei junge Männer mit vier anderen und bekamen dann Faustschläge. Auf dem Bahnsteig der U9 am U-Bahnhof Kurfürstendamm war ein 21-Jähriger von einer etwa fünfköpfigen Personengruppe nach einem Streit mit Schlägen zu Boden gebracht und dann getreten worden. In beiden Fällen konnten die Angreifergruppen flüchten.

Nach Angaben der Polizei geht die Zahl der registrierten Straftaten in Bussen und Bahnen aber seit mehreren Jahren zurück, auch die Zahl der Gewaltdelikte ist gesunken. Nach zwei besonders brutalen Attacken im vorigen Jahr – in den Bahnhöfen Lichtenberg und Friedrichstraße – hatte es dennoch intensive politische Diskussionen über mehr Sicherheit im Nahverkehr gegeben. Polizei und BVG hatten daraufhin angekündigt, zusätzliche Mitarbeiter für gemeinsame Streifen in der U-Bahn einzustellen.

Dem gestern in der Hasenheide überfahrenen Mann hätten diese Streifen wenig helfen können – die Tat geschah nicht in der Nähe einer Bahnstation. Außerdem sollen ihr Auseinandersetzungen im Drogenmilieu vorangegangen sein. Das Opfer, ein Ausländer ohne festen Wohnsitz in Berlin, ist der Polizei durch mehrere Straftaten bekannt. Bei den Angreifern soll es sich um Drogenhändler aus der Hasenheide gehandelt haben. Dort streiten Dealer unterschiedlicher ethnischer Herkunft um die Herrschaft im Park.

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