Tödliche Hetzjagd: Prozess gegen Verfolger von Giuseppe M. beginnt am Montag
Giuseppe M. lief auf der Flucht vor U-Bahnschlägern vor ein Auto und starb. Am Montag beginnt der Prozess um den Tod des 23-Jährigen. Die Vorwürfe gegen den Angeklagten Ali T. wiegen schwer.
Giuseppe M. entschied sich zur Flucht. Er kannte die Bilder von Prügelorgien auf U-Bahnhöfen, von Tritten und Schlägen gegen wehrlose Passanten. Er rannte in seiner Panik die Treppen hoch und lief auf die Fahrbahn. Ein Autofahrer konnte nicht mehr bremsen. Giuseppe M. starb vor dem U-Bahnhof Kaiserdamm. Einer der mutmaßlichen Angreifer soll den 23-Jährigen in den Tod gehetzt haben. Ali T. sitzt ab Montag auf der Anklagebank.
Eng wird es werden auf den Zuschauerreihen im Saal 500, einem der größten im Moabiter Kriminalgericht. Hunderte hatten sich einen Tag nach Giuseppe M.s Tod in Charlottenburg zu einer Mahnwache versammelt. Der junge Mann hatte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Seine Welt hatte nichts mit Schlägereien zu tun. Er hatte viel vor im Leben. Gerade war er seiner Ausbildung zum Koch fertig geworden und wollte demnächst bei den Gebirgsjägern der Bundeswehr anfangen, später Politik studieren.
Am 17. September 2011 aber begegneten Giuseppe M. und sein Freund Raoul S. jungen Männern, die den Ermittlungen zufolge sofort aggressiv auftraten. Die beiden Freunde kamen von einer Feier, als sie um 4.35 Uhr auf dem U-Bahnhof Kaiserdamm von Ali T. und Baris B., 21 und 22 Jahre alt, angesprochen wurden. Sie sollen Zigaretten gefordert haben. Zur Vermeidung von Konfrontation habe Raoul S. welche hingeworfen, heißt es in der Anklage. Ali T. und Baris B. aber hätten Giuseppe M. angegriffen – mit „jeweils einen heftigen Schlag gegen den Kopf.“ Giuseppe M. und Raoul S. sollen sich kurz durch je einen Schlag gewehrt haben. Dann rannten sie los.
Giuseppe M. war sportlich und in Selbstverteidigung trainiert. Für seine Mutter steht fest: „Wenn sich Giuseppe also zur Flucht entschieden hat, dann nur, weil die Situation für ihn und Raoul sehr, sehr bedrohlich gewesen sein muss.“ Sie liefen die Treppe hoch, flüchteten dann in verschiedene Richtungen. Während sich Raoul S. in Sicherheit bringen konnte, rannte Giuseppe M. auf die Straße.
Er wurde von einem VW Sharan erfasst, gegen einen Ampelmast geschleudert und blieb reglos liegen. Raoul S. kehrte sofort um. Er versuchte noch, den Freund wiederzubeleben. Er sah ihn sterben.
Die Angreifer gestehen keine Schuld ein.
16 Stunden später stellten sich Ali T. und Baris B. der Polizei. Zwei Kumpels aus Neukölln, türkischstämmig, ohne Beruf, arbeitslos, der Polizei wegen früherer Vorfälle bekannt. Sie machten umfangreiche Angaben. Schuld aber hätten sie nicht eingestanden, hieß es. Nach ihrer Version schlugen nicht sie zuerst zu. Eine Hetzjagd habe es nicht gegeben. Ali T. will Giuseppe M. zwar kurz verfolgt, aber bereits auf der Treppe aufgegeben haben. Den Unfall sah er angeblich nicht.
Die Ankläger aber gehen von einer Kausalität zwischen Körperverletzung im U-Bahnhof und dem Unfall aus. Ali T., der sich noch immer in Untersuchungshaft befindet, wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Dass Giuseppe M. starb, sei eine unmittelbare Folge der Nachstellung durch T. gewesen. Baris B. soll nichts mit der mutmaßlichen Hatz zu tun haben. Er wurde im September aus der Haft entlassen und kommt wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht.
Wieder geht es um Gewalt in Bahnhöfen, die fassungslos macht. Vor knapp zwei Monaten wurden vier Schüler, die in Lichtenberg einen Handwerker fast zu Tode getreten hatten, wegen versuchten Mordes zu Jugendstrafen bis zu sechs Jahren verurteilt. Nach einem Gewaltexzess auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße bekam ein 18-Jähriger, der einem schon am Boden liegenden Opfer mehrfach gegen den Kopf trat, zwei Jahre und zehn Monate Haft wegen versuchten Totschlags.
Es fiel kein Wort über die mutmaßlichen Täter, als fast 300 Verwandte, Freunde und Bekannte am 7. Oktober auf dem Waldfriedhof Dahlem Abschied nahmen von Giuseppe M. Inzwischen gibt es unter dem Namen des in Charlottenburg aufgewachsenen Mannes mit italienischen und bulgarischen Wurzeln eine Stiftung gegen Gewalt. „Seinem tragischen und sinnlosen Tod möchten wir gute Taten entgegensetzen“, heißt es dort.
Kerstin Gehrke