Frauenanteil in der Berliner Parlamenten: Politik wird wieder Männersache
Der Anteil von Frauen in der Landespolitik ist eher rückläufig. Woran das liegt, zeigt eine neue Studie.
Gleichstellung ist ein schleichender Prozess, manchmal kaum wahrnehmbar. Mal geht es vorwärts, aber immer wieder auch zurück, wie Helga Lukoschat und Paula Schweers feststellten.
Sie untersuchten für die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF), wie sich der Frauenanteil in der Berliner Politik seit der Wende entwickelt hat. Die Studie „Frauen Macht Politik“, erstellt im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigt: Die Anteile schwanken erheblich und es gibt „keine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung“.
Nach der Wahl 2016 lag der Frauenanteil bei 33,1 Prozent. Doppelt so viele Männer wie Frauen treffen im Abgeordnetenhaus Entscheidungen, die für alle Berlinerinnen und Berliner gelten.
Zweimal hintereinander hat sich der Anteil der weiblichen Abgeordneten in Berlin verschlechtert: 2011 fiel er um fast fünf Prozent von gut 39,6 auf 34,9 Prozent, 2016 ging es wieder zwei Prozentpunkte runter.
Zur besseren Vergleichbarkeit basieren die Autorinnen ihre Studie auf den Ergebnissen der letzten Wahl. Dieser Stand stieg durch personelle Wechsel mittlerweile auf 33,8 Prozent, geringer war der Anteil aber nur 1990, 1999 und 2001.
Berlin liegt auf Platz fünf
Gleichstellung durch fortschreitende Modernisierung? Das lasse sich „weder für Berlin noch für den Rest Deutschlands bestätigen“, sagen die Autorinnen der Studie. Der durchschnittliche Frauenanteil in Landesparlamenten liegt laut Studie bei 30,5 Prozent. Berlin steht auf Platz fünf. Die beiden anderen Stadtstaaten Bremen und Hamburg führen mit respektive knapp 37 und 44 Prozent die Tabelle an, dann folgen Hessen (33,6 Prozent) und das Saarland (33,3 Prozent).
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Ein hoher oder niedriger Frauenanteil hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wichtig sei die Etablierung einer politischen Kultur, die Frauen miteinbezieht. Frauen wurden lange Zeit von der parlamentarischen Demokratie explizit ausgeschlossen. Das wirke sich weiterhin in „männlich geprägten Parteistrukturen“ aus, laut Studie etwa durch „familienunfreundliche Sitzungszeiten, hohen Zeitaufwand, wenig einladende Kommunikationsstrukturen und Umgangsformen“.
„Jeder Orts- und Kreisverband kann sich eine Menge einfallen lassen, um Frauen zu signalisieren: Ihr seid willkommen“, sagt Helga Lukoschat. Dazu gehören flexiblere Sitzungszeiten und straffer moderierte Diskussionen, die gezielte Ansprache engagierter Frauen aus der Zivilgesellschaft – und zwar „rechtzeitig und kontinuierlich“. Nicht erst, wenn mehr Frauen auf der Liste gebraucht werden.
Auch das Wahlrecht hat Einfluss auf den Frauenanteil
Auch das Wahlrecht hat Einfluss auf den Frauenanteil. In aussichtsreichen Wahlkreisen stellen Parteien eher Männer auf, in ihrer Untersuchung zeigte sich das bei der CDU und SPD.
„Sichere und wichtige Plätze werden entsprechend verteidigt“, sagt Lukoschat. Die Wahlkreise seien bei der Union, auch in anderen Bundesländern „sehr fest in männlicher Hand“.
2016 hatte die CDU im Abgeordnetenhaus einen Frauenanteil von 12,9 Prozent, im Bundestag sind es 19,9 Prozent. Mittlerweile hat die CDU-Fraktion im Landesparlament noch eine Frau weniger – jetzt sind es drei von 31 Abgeordneten.
Ein dritter Faktor ist die parteiliche Zusammensetzung des Parlaments. 1995 sprang der Frauenanteil im Abgeordnetenhaus auf 38,4 Prozent. Damals war die PDS stark und hatte eine feste 50-Prozent-Frauenquote, dazu kam ein über 50-prozentiger Frauenanteil bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
2006 unter rot-roter Regierung hatte Berlin seinen bisher besten Frauenanteil
FDP, Piraten und AfD haben dagegen einen unterdurchschnittlichen Frauenanteil. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Geschlechterverteilung, wie besonders der Einzug der AfD in den Bundestag und in die Landesparlamente zeigte.
2006 unter rot-roter Regierung hatte Berlin seinen bisher besten Frauenanteil: 40 Prozent. Das konnten die Bezirksverordnetenversammlungen 2011 überbieten: Im Schnitt waren in den zwölf Bezirken fast 42 Prozent der Verordneten weiblich.
Dieser Anteil ist 2016 auf 39 Prozent gesunken. Im bundesweiten Vergleich ist das sehr hoch, der durchschnittliche Frauenanteil in Kommunalvertretungen liegt bei 27 Prozent.
Spitzenreiter der Bezirke ist Tempelhof-Schöneberg mit einem Anteil von 45,5 Prozent. Aber selbst die Schlusslichter Reinickendorf, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf schneiden mit je 34,5 Prozent noch vergleichsweise gut ab.
Argument, dass es keinen weiblichen Nachwuchs gebe, stimme nicht
Das Argument, dass es für die Landesebene keinen weiblichen Nachwuchs gebe, sagen die Autorinnen, stimme also nicht. Grund für den hohen Frauenanteil in den Bezirken ist unter anderem, dass hier ein reines Verhältniswahlrecht gilt.
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Der Anteil der Bezirksbürgermeisterinnen hat sich stark gesteigert. 2011 gab es nur eine Frau im Rat der Bürgermeister, jetzt sind es fünf von zwölf.
Der Anteil unter den Stadträten hat sich jedoch von 33 Prozent 2011 auf 29 Prozent 2016 verschlechtert. Im Senat steht das Verhältnis 6:4 für die Frauen, unter den Staatssekretären sind 36 Prozent weiblich.
Der Frauenanteil im Parlament hängt in der Regel stark davon ab, wie viele Sitze Parteien mit interner Quotenregelung erzielt haben. Aktuell sind das die SPD (40 Prozent), Bündnis 90/Die Grünen (50 Prozent) und Die Linke (50 Prozent).
AfD lehnt Quoten und generell Maßnahmen zur Frauenförderung ab
In der CDU gilt im ersten Wahlgang jeweils ein Quorum, dass Parteiämter, Mandate und Listenplätze zu einem Drittel an Frauen vergeben werden sollen. Die FDP hat 2019 beschlossen, Zielvereinbarungen zur Erhöhung des Frauenanteils abzuschließen. Die AfD lehnt Quoten und generell Maßnahmen zur Frauenförderung ab.
Die Studie ist auch ein Plädoyer für ein Paritätsgesetz auf Landesebene, wie es in Brandenburg und Thüringen gilt. Das Gesetz gibt verpflichtende Schritte zu mehr Gleichstellung im Parlament vor.
Rot-Rot-Grün hat sich 2019 in einer Erklärung zur Einführung eines Paritätsgesetzes noch in der aktuellen Legislaturperiode verpflichtet, wobei das Gesetz erst zur Wahl 2026 gelten würde. Sowohl Grüne als auch Linke haben Gesetzesvorschläge entworfen.
Nur quotierte Listen sollen zugelassen werden und die Anzahl der Wahlkreise halbiert, um ein Tandem- oder Duo-Modell von weiblichen und männlichen Kandidaten zu ermöglichen. Die CDU lehnt die Idee ab; der wissenschaftliche Dienst im Abgeordnetenhaus nennt verfassungsrechtliche Bedenken.
Berlin könnte vorangehen, indem hier die Wahlkreise erstmals halbiert würden
In Brandenburg klagen NPD und Piraten gegen das Gesetz, in Thüringen die AfD. Doch die Autorinnen der Studie betonen, dass es auch verfassungsrechtlich „gewichtige Argumente“ für ein paritätisches Wahlrecht gebe.
Lukoschat sagt, Berlin könnte vorangehen, indem hier die Wahlkreise erstmals halbiert würden - von 78 auf 44. Den Direktmandaten werde in der Großstadt weniger Bedeutung zugesprochen als in Flächenländern. Und die Verfassung gibt den Auftrag, die Gleichstellung voranzubringen.
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