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Schluss mit Verstecken. Plötzlich klingen Spieleabende für unsere Autorin gar nicht mehr so schrecklich.
© privat

Einsamkeit in der Coronavirus-Krise: Plötzlich klingt sogar der Spieleabend verlockend

Krisenzeiten schweißen zusammen – und manchmal wird die WG zur Rettung. Unsere Autorin hat ihren Weg aus der sozialen Isolation gefunden.

Als die Coronavirus-Krise in Berlin richtig beginnt, bin ich gerade am anderen Ende der Welt. Während zu Hause die ersten Kollegen im Homeoffice durchdrehen, Kitas, Schulen und Clubs schließen müssen, hole ich mir beim Schnorcheln einen Sonnenbrand.

Die Welt, in die ich nach zwei Wochen zurückkehre, ist eine andere als die, die ich kannte. Eine, in der über eine komplette Ausgangssperre diskutiert wird. Plötzlich gilt: An die Wand starren statt im Sand scharren. Ich hatte die Nachrichten aus Berlin im Urlaub verdrängt.

Die Realität kriegt mich, als ich in Tegel den kalten Nieselregen auf meiner Haut spüre, in der fast leeren Ringbahn nach Hause fahre, meine Mitbewohnerin im Homeoffice am Küchentisch begrüße – und mit ihr die Angst. Nicht davor, mich selbst mit dem Virus anzustecken, sondern vor den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, der Überlastung des Gesundheitssystems, den Todesfällen, dem Ungewissen.

Ich mag die Einsamkeit

Welche Einschränkungen wird es geben und wie lange werden sie dauern? Wann werden Restaurants, Sportstudios und Kitas wieder öffnen? Wann kann ich meine Mutter (Risikogruppe) wiedersehen? Vor allem aber fürchte ich mich vor Social Distancing: kein Mittagessen mit den Kollegen, kein Feierabendbier mit Freunden. Stattdessen Videocalls und einsam Stullen schmieren.

Ich habe mich immer für jemanden gehalten, der gut ohne andere Menschen auskommt. Bei WG-Abenden verziehe ich mich gewöhnlich in mein Zimmer, auf Partys gehe ich vor allem der Drinks und der Musik wegen. Die Interaktion mit Menschen liegt mir nicht besonders. Ich mag die Einsamkeit der Stadt; allein unter Fremden.

Doch bei der Vorstellung, das Alleinsein auf einmal nicht mehr freiwillig zu wählen, sondern es unfreiwillig wählen zu müssen, macht sich Panik in mir breit. Plötzlich kann ich an nichts anderes mehr denken als an soziale Kontakte. Sogar Brettspiele und gemeinsames Kochen, Aktivitäten, die ich sonst furchtbar finde, klingen nun nach Spaß, oder zumindest nach etwas Ähnlichem. Ich bin an diesem ersten Wochenende so verzweifelt, dass ich zu einem Puzzleabend mit Yogi-Tee Ja gesagt hätte.

Welche drei Dinge würde man mitnehmen?

Es gibt dieses Gedankenexperiment: Man ist für unbestimmte Zeit isoliert auf einer einsamen Insel. Welche Person und welche drei Dinge würde man mitnehmen? Durch die Coronavirus-Krise erleben wir dieses Experiment seit etwas mehr als einer Woche gewissermaßen in Echt – nur, dass man statt am Strand auf dem heimischen Sofa liegt, einem statt einer Kokosnuss die Decke auf den Kopf fällt.

Zumindest die Frage nach den drei Dingen wäre nun mit Blick auf die leeren Stellen im Supermarktregal für den durchschnittlichen Deutschen geklärt (Nudeln, ein Dosengericht der Wahl und natürlich: Klopapier). Wen man mit auf die Isolationsinsel nimmt, konnte man sich allerdings nicht so richtig aussuchen. Man musste sich mit denen zufriedengeben, die schon da waren, im eigenen Haushalt.

Ein Vorteil für jene, die mit Haustieren, Partnern und Kindern zusammenleben, mit denen verbringt man – in der Regel – gerne Zeit. Ich lebe in einer Wohngemeinschaft. Und obwohl ich meine vier Mitbewohner mag, sind sie nicht die Menschen, die ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde.

Die WG als Ersatzfamilie

Trotzdem. Sie sind jetzt meine Rettung. Denn während auf Twitter und Instagram schon die ersten Pärchen ihre gemeinsame Isolation im kuscheligen Bett zelebrieren und Eltern unter der Dauerbespaßung der Kinder ächzen, kann ich nur an all die alleinlebenden Singles denken, die gerade kaum noch soziale Kontakte haben.

Das Alleinsein scheint mir in der ohnehin beängstigenden Situation noch schlimmer als sonst. Die erzwungene Präsenz anderer Menschen in meiner Wohnung ist plötzlich mein Schlupfloch aus der Isolation. Die WG, sie ist endlich zu dem geworden, was sie für mich nie sein sollte: eine Ersatzfamilie – ganz offiziell.

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Die Berliner Kontaktsperre erlaubt es, sich an der frischen Luft mit einer anderen Person aufzuhalten, zumindest, solange man sich die meiste Zeit bewegt. Die Zwei-Personen-Regel gilt nicht für Angehörige eines Haushalts – also für Familienangehörige, die zusammenwohnen, aber auch für WGs. Ansonsten sind Besuche verboten, außer bei Lebenspartnern oder Menschen, um die man sich kümmern muss. Ich habe nichts davon.

Die Vorteile des Berliner Wohnungmarktes

Noch nie war ich dem verrückten Berliner Wohnungsmarkt so dankbar dafür, dass er es mir bisher unmöglich gemacht hat, in meine eigene Wohnung zu ziehen. Die Vorteile (Klotür nicht abschließen, nackt vom Bad zum Kleiderschrank laufen) scheinen mir auf einmal nicht mehr so sehr die Vorteile einer WG (nicht aus Einsamkeit Selbstgespräche führen, nicht den Verstand verlieren) zu überwiegen.

Als ich nach meinem ersten Arbeitstag heulend auf dem Küchensofa liege, weil mich die ganze Situation so überfordert, drückt mein Mitbewohner mir ein Glas Wein in die Hand und stellt mir einen Teller Nudeln hin. Danach schauen wir eine Folge der Serie „O.C., California“ und die Welt sieht schon wieder besser aus. In den folgenden Tagen diskutieren wir über die Gestaltung des Balkons und die Anschaffung neuer Küchenutensilien, wir hören Musik und erfinden Trinkspiele. Das ist eine schöne Ablenkung vom Dauer-Corona-Thema auf der Arbeit.

Natürlich hat so eine WG auch Nachteile. Die Gefahr, sich dort mit dem Coronavirus anzustecken, ist höher als bei Alleinlebenden oder Paaren – weil wir alle jung sind, verschiedene soziale Kontakte haben, eine Infektion nicht unbedingt bemerken würden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass sich alle an die Regeln halten und Kontakte außerhalb der Wohngemeinschaft auf ein Minimum reduzieren, Abstand halten, Hände waschen. Bisher klappt das auch ganz gut: Fast alle machen Homeoffice und da meine Mitbewohner untereinander befreundet sind, gibt es wenig Kontakt zu Leuten außerhalb unseres Haushalts.

Glück im Unglück

Ich habe mit meiner Wohnsituation natürlich Glück im Unglück: Weder muss ich diese Zeit ganz allein durchstehen, noch mit vielen Menschen, um die ich mich kümmern muss – oder gar in einer gewaltvollen Umgebung. Während auf der einen Seite Menschen vereinsamen, sind die Zahlen häuslicher Gewalt seit Anfang März um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Und bestimmt kommt es auch dort, wo keine körperliche Gewalt im Spiel ist, aber Menschen seit zwei Wochen eng aufeinandersitzen, teilweise zu Spannungen.

Ein Freund fragte letztens: Wird es nach der Krise wohl mehr Kinder oder mehr Scheidungen geben? Noch ein Vorteil der Ersatzfamilie Wohngemeinschaft: Wenn wir uns irgendwann verkrachen, müssen wir uns nicht jedes Jahr an Weihnachten wiedersehen oder um die Kinder streiten.

Fast zwei Wochen sind mittlerweile so vergangen. Ich brauche nicht mehr jeden Abend jemanden, der meine Hand hält und mir Alkohol einflößt. Ich finde es wieder schön, zwischendurch meine Ruhe zu haben. Wie alle anderen weiß ich nicht, was kommen wird. Aber ich weiß: Ich bin nicht allein. Und wenn aus dieser Krise etwas Positives hervorgeht, dann vielleicht eine Art Solidarität. Sie zeigt sich schon in den Zetteln zur Nachbarschaftshilfe, die in den Hausfluren hängen, an dem Klatschen für Pflegepersonal. Darin, dass sich doch die meisten an die Einschränkungen halten.

Vielleicht schweißt diese Krise ja noch mehr Leute zusammen. Ich mache mir noch Sorgen, ja, aber ich bin froh, dass ich andere Menschen bei mir habe. Nur das Puzzeln bleibt mir hoffentlich erspart.

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