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Tel Aviv Museum, Februar 1936, der erste Standort.
© Meir Dizengoff's Personal Collection, Eretz-Israel Museum, Tel Aviv

Tel Aviv Museum of Art: Pionier in einem kunstfernen Land

1932 gründete der damalige Bürgermeister Tel Avivs Meir Dizengoff das Tel Aviv Museum of Art. Gründungsdirektor war der Berliner Kunsthistoriker Karl Schwarz. Als er im Sommer 1933 seine neue Wirkungsstätte am Mittelmeer betrat, war er zunächst entsetzt. Von einer musealen Sammlung konnte keine Rede sein.

24. Januar 1933: Jeder, der im Kulturleben der Stadt etwas galt, fand sich an diesem Nachmittag in der Oranienburger Straße 31 gleich neben der Neuen Synagoge ein, um das Jüdische Museum zu eröffnen. Eine Woche später übernahm Adolf Hitler die Macht und die über 2000-jährige Geschichte der Juden in Deutschland wurde für beendet erklärt.

Tatsächlich fand am 30. Januar 1933 eine der kreativsten Epochen jüdischer Kultur in Deutschland ein jähes Ende, eine Jüdische Renaissance mit Zentrum Berlin, wo sich auch die Idee eines Jüdischen Museums der Moderne entwickeln konnte, mit eigener Sammlung, getragen von bürgerlichem Engagement. Jüdisches Kunstschaffen von den Anfängen bis zur Gegenwart sollte hier erlebbar sein. Konzept und Leitung dieses einzigartigen Unternehmens lagen in den Händen des Berliner Kunsthistorikers Karl Schwarz.

Was sollte jedoch nach dem 30. Januar 1933 damit geschehen? Karl Schwarz gab sich keinen Illusionen hin. Ihm war klar, dass die Juden in Deutschland bestenfalls ein geduldetes Ghettodasein fristen dürften, nur in Eretz Israel, im jüdischen Palästina, konnte er eine neue Wirkungsstätte finden. Tatsächlich wurde in Tel Aviv ein Museumsfachmann dringend gesucht, um in der ersten jüdischen Stadt der Neuzeit ein Kunstmuseum aufzubauen. Ohne zu zögern entschloss sich Schwarz, das Jüdische Museum für die neue Aufgabe in Tel Aviv aufzugeben, stieß dabei allerdings auf Unverständnis: „Wie können Sie sich nur so unüberlegt in Ihr Unglück stürzen. Wir können Sie nur bedauern“, hieß es vonseiten des Berliner Gemeindevorstands.

Es sollte das Nationalmuseum des Landes werden

Und tatsächlich – Museumsmann Schwarz war reichlich entsetzt, als er im Sommer 1933 seine neue Wirkungsstätte am Mittelmeer betrat, das Tel Aviv Museum bestand aus drei Zimmern im Privathaus des Tel Aviver Bürgermeisters Meir Dizengoff. Zwar gab es einige gute Kunstwerke, doch von einer musealen Sammlung konnte keine Rede sein.

Wie schon in Berlin praktiziert, wandte sich Schwarz an Künstler und Sammler, um für das Museum zu spenden. „Das Museum ist“, schrieb er an den Berliner Kunstsammler Erich Goeritz, „kein jüdisches Museum wie z. B. das Berliner, sondern ein allgemeines, das als erstes des Landes Gemälde, Plastiken, Graphik … aller Länder sammelt. Es soll das Nationalmuseum des Landes werden.“

Schwarz hatte Erfolg: Erich Goeritz sandte einen Großteil seiner Sammlung von Berlin nach Tel Aviv, darunter Skulpturen von Reneé Sintenis, Ernst Barlach und Wilhelm Lehmbruck, Gemälde von Max Liebermann und Jakob Steinhardt, eine seltene Bronze von Edgar Degas, expressionistische Grafik sowie fast das gesamte grafische Werk von Lovis Corinth. Bis heute gehören die mehr als 30 Werke aus dem Frühwerk von Alexander Archipenko, einem Wegbereiter der Skulptur des 20. Jahrhunderts, aus der Sammlung Goeritz zu den Glanzstücken des Tel Aviv Museum of Art.

Die Sammlung wuchs: Leonard Tietz, ehemals Chef eines der größten Kaufhausimperien aus Köln, nun in Jerusalem, schenkte einen Chagall. Jankel Adlers Gemälde „Purim-Spiel“ (1931) stifteten jüdische Kunstfreunde aus der Freien Stadt Danzig. Vor allem Werke von Max Liebermann und Lesser Ury, Lieblingsmaler des deutsch-jüdischen Bürgertums, gelangten in das Museum, so auch Lesser Urys Landschaftsbild „Holsteinische Schweiz“ aus der Sammlung des Psychoanalytikers Max Eitingon, einst enger Weggefährte Sigmund Freuds und Gründungsdirektor des Berliner Psychoanalytischen Instituts, der 1943 in Jerusalem verstorben war. In dem Unternehmer Arie Shenkar fand Schwarz einen großzügigen Spender, auch darin war Karl Schwarz erfolgreich.

Immer mehr Hilferufe erreichten das Museum

Ende 1938 unternahm Schwarz eine Werbetour in den noch freien Teil Europas. In Amsterdam versprach ihm Walter Feilchenfeldt ein Selbstporträt von Max Liebermann, seinem langjährigen Galeristen Paul Cassirer gewidmet. Es war eines der letzten Kunstwerke, das Tel Aviv noch erreichte. Resigniert musste Schwarz im Frühjahr 1939 konstatieren, „dass ein großer Teil der Kunstschätze Europas unwiederbringlich zu Grunde geht. Der große Anteil der Juden wird überall ausgemerzt, ihre Namen geraten in Vergessenheit. Und wo heute noch mancher Besitz gesichert erscheint, ist er morgen bereits vernichtet“, wie er an den Berliner Secessionsmaler Eugen Spiro schrieb, der nun in ärmlichsten Verhältnissen in Paris lebte.

Immer mehr Hilferufe erreichten das Museum. Für die Aussicht eines rettenden Zertifikats für Palästina boten Sammler und Kunsthändler dem Tel Aviv Museum ihre Sammlungen und sich selbst als Kuratoren an, wie der Wiener Zahnarzt Dr. Heinrich Rieger, einer der wichtigsten Sammler österreichischer Moderne. „Diese Sammlung kann ich hier derzeit nicht verwerten“, schrieb der alte Herr am 28. Mai 1939, „Auktion wird mir nicht gestattet; die paar seriösen Kunsthändler wollen oder dürfen sie nicht in Kommission nehmen.

Mein sehnlichster Wunsch ist, eine Einreisebewilligung nach Palästina zu bekommen“. Doch Karl Schwarz konnte nicht helfen. Heinrich Rieger und seine Frau Berta wurden ermordet. Um seine Klimts und Schieles streiten sich Erben und Museen bis heute.

Schwarz hat Berlin nie wiedergesehen

Das Leben in Palästina verlief vergleichsweise ruhig. Das Tel Aviv Museum am Rothschild Boulevard wurde mehrmals erweitert und umgebaut – ein glatt geputzter weißer Kubus, durch dessen schmale Fensterbänder gedämpftes Licht in die Museumsräume gelangte. Würdig und repräsentativ zugleich war es über viele Jahre das kulturelle Zentrum der „Weißen Stadt“ und konnte als das bedeutendste Museum der europäischen Kunst der ganzen Region gelten, mit einer einzigartigen Graphiksammlung deutscher Kunst des 20. Jahrhunderts. Sein zentraler Ausstellungssaal im Erdgeschoss war einer der größten und repräsentativsten öffentlichen Räume von Tel Aviv. Von hier aus rief am 24. Mai 1948 David Ben Gurion den Staat Israel aus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Mord an den europäischen Juden, war jedoch ein Kunstmuseum europäischer Prägung nicht mehr zeitgemäß, stattdessen standen die zeitgenössischen Künstler Israels im Mittelpunkt. Nicht ohne Enttäuschung verließ Karl Schwarz nach 14 Jahren das Museum.

Er starb am 22. Oktober 1962 in Tel Aviv. Berlin hat er nie wiedergesehen. Somit ist die Ausstellung des Tel Aviv Museum of Art „Jahrhundertzeichen – Tel Aviv visits Berlin“, die Werke der Moderne und zeitgenössische Medienkunst aus Israel in sich vereinigt, eine späte Hommage an seinen ersten Direktor, der 1933 Berlin verließ, um das erste Kunstmuseum im Nahen Osten aufzubauen.

Dr. Chana Schütz ist Kunsthistorikerin und stellvertretende Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum.

Chana Schütz

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