Verbrechen von Frauen im Holocaust: Hitlers willige Helferinnen
Die Geschichtsschreibung zum Holocaust hat die Verbrechen von Frauen lange ausgeblendet. Dabei gingen sie zu Hunderttausenden in die besetzten Gebiete in Osteuropa - als integraler Bestandteil der Vernichtungsmaschinerie.
Zu den Mythen der Nachkriegszeit gehört der von der unpolitischen Frau. Nach dem Krieg sagten viele Frauen vor Gericht aus – oder erklärten in oral histories – , dass sie nur Büroangelegenheiten erledigt oder sich um die sozialen Aspekte des Alltagslebens gekümmert hätten. Sprich: um die Pflege oder um die Pflichten anderer, im Osten stationierter Deutscher.
Fast schien es, als hätten Frauen im NS-Männerstaat keine aktive Rolle gespielt – so wie das 1936 von Adolf Hitler vorgegebene Frauenbild sie an Heim und Herd verbannte. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie Irma Grese, der „SS-Megäre“ aus Bergen-Belsen und „Hyäne von Auschwitz“, oder von Hermine Braunsteiner, der „Stute“ von Majdanek. Diese auch in der Forschung verbreiteten Porträts aber waren Karikaturen, oftmals pornografisch verzerrt. Die starke Fokussierung auf die schlimmsten KZ-Aufseherinnen hat lange eine nuancierte Diskussion über die Beteiligung und das schuldhafte Verhalten von Frauen an den Verbrechen der NS-Zeit verhindert.
Dabei waren schon in den Prozessen der Nachkriegszeit Hunderte von Frauen als Zeuginnen geladen. Viele von ihnen waren höchst auskunftsfreudig. Die Strafverfolger interessierten sich indes in erster Linie für die Verbrechen ihrer männlichen Kollegen und Ehemänner. Ihre eigene Beteiligung wurde nicht hinterfragt. Viele wirkten bei ihren Schilderungen dessen, was sie gesehen und erlebt hatten, erstaunlich gleichgültig. So sprach eine ehemalige Kindergärtnerin von dieser „Judensache während des Zweiten Weltkrieges“. Als sie und ihre Kolleginnen 1942 die Grenze Deutschlands zu den besetzten Gebieten im Osten überquerten, habe ein NS-Beamter ihnen versichert, sie müssten keine Angst haben, wenn sie Gewehrfeuer hörten. Da würden „lediglich ein paar Juden erschossen“.
Erna Petri sprach von dem Wunsch, sich gegenüber den Männern zu profilieren
Wenn die Erschießung von Juden kein Grund zur Aufregung sein sollte, wie reagierten die Frauen, als sie auf ihrem Posten eintrafen? Schauten sie weg, wollten sie mehr sehen oder tun? Unzählige Quellen, Akten und Prozessunterlagen lassen darauf schließen, dass hunderttausende deutscher Frauen in die von den Nazis besetzten Gebiete in Osteuropa gingen: im Sozialbereich, als Sekretärinnen, Übersetzerinnen und Rotkreuzschwestern. Dort waren sie ein integraler Bestandteil von Hitlers Vernichtungsmaschinerie.
Ein Fall ist der von Erna Petri. Im United States Holocaust Memorial Museum finden sich auch Akten der früheren DDR-Staatssicherheit. Darunter sind die Vernehmungs- und Prozessprotokolle des Gerichtsverfahrens gegen Erna Petri und ihren Mann Horst, denen man vorwarf, auf ihrem Privatgrundstück im besetzten Polen Juden erschossen zu haben. Glaubhaft detailliert schilderte Erna Petri, wie die halb nackten jüdischen Jungen wimmerten, als sie ihre Pistole zückte. Als der Vernehmungsbeamte fragte, wie sie als Mutter diese Kinder habe ermorden können, sprach Petri vom Antisemitismus des Regimes und ihrem eigenen Wunsch, sich gegenüber den Männern zu profilieren.
Die Frauenfrage wurde im Nationalsozialismus neu gestellt
Hier hatte keine gesellschaftliche Außenseiterin gemordet. Erna Petri war eine ganz gewöhnliche Vertreterin einer verlorenen Generation deutscher Frauen, der Babyboomer nach dem Ersten Weltkrieg. Geboren Anfang der 1920er Jahre, wurden sie in den 30ern erwachsen. Sie wuchsen inmitten der der Unsicherheit einer galoppierenden Inflation sowie mit den verwirrenden Perspektiven der Moderne auf. In Hitlers faschistischer Diktatur reiften sie zu einer Gründergeneration von Idealistinnen, Karrieristinnen und Revolutionärinnen des Dritten Reichs heran.
Die „Frauenfrage“ wurde in der NS-Zeit nicht beiseitegeschoben, sondern neu gestellt. Das Private wurde politisch. Der Zugriff der Bewegung reichte bis ins traute Heim: Frauen und Mädchen holte man zu öffentlichen Versammlungen und Paraden auf die Straße, sie wurden zu Arbeitseinsätzen aufs Land geschickt, sie wurden zu Marschierübungen, Hauswirtschaftskursen und medizinischen Untersuchungen und Fahnenappellen versammelt. In ihren Memoiren und in Gesprächen erzählten viele von ihren Ambitionen: „Ich wollte etwas werden“, „ich wollte mehr“ – Aussagen, die sich so oder so ähnlich immer wieder finden.
Seit 1941 kamen mehr Frauen zum Einsatz
Mit Kriegsausbruch im Herbst 1939 erhielt der Reichsarbeitsführer den Auftrag, „ledige Mädchen im Alter von 17 bis 25 Jahren, die nicht berufstätig sind, nicht in beruflicher oder schulischer Ausbildung stehen und als mithelfende Familienangehörige in der Landwirtschaft dringend benötigt werden, zur Erfüllung der Reichsarbeitsdienstpflicht heranzuziehen“. Als Hitlers Truppen im Sommer 1941 die Sowjetunion überfielen, wurde der Arbeitsdienst dahingehend ausgeweitet, dass mehr Frauen in kriegswichtigen Industriezweigen, Ämtern und Lazaretten zum Einsatz kamen. Krankenschwestern etwa, die in Frontlazaretten arbeiteten, assistierten bei medizinischen Versuchen und verabreichten tödliche Spritzen. Als selbst ernannte überlegene Herrscherinnen hatten deutsche Frauen in Osteuropa die Erlaubnis, diejenigen, die – wie eine Sekretärin aus der Nähe von Minsk nach dem Krieg es formulierte – als „Abschaum“ der Gesellschaft galten, zu misshandeln und auch zu töten.
"Über Judenaktionen wurde kein Schriftverkehr geführt"
Ein anderes Beispiel ist die 1922 geborene Liselotte Meier, die persönliche Sekretärin des Gebietskommissars Hermann Hanweg in der Stadt Lida im heutigen Weißrussland. Nach dem Krieg betonten mehrere Aussagen zu den von der Kommissariatsverwaltung in Lida verübten Verbrechen, dass Meier „bestens informiert“ gewesen sei, „besser als mancher Beamte in der Dienststelle“. Von ihrem Schreibtisch aus kontrollierte sie den Zugang zum Büro ihres Chefs. Sie wurde häufig gebeten, Befehle zu formulieren und sich um den „Schreibtischkram“ mit anderen lokalen Vertretern der NS-Verwaltung zu kümmern.
Als Liselotte Meier nach dem Krieg zu entsprechenden Vorwürfen befragt wurde, gab sie an, sie könne sich nicht an einen schriftlichen Befehl erinnern, der die Erschießung von 16 Juden, die zu spät zur Arbeit erschienen waren, anordnete: „Über Judenaktionen wurde kein Schriftverkehr geführt. Das war ja wohl geheim“, sagte sie.
Und so hielten zahllose Frauen die NS-Massenmordmaschinerie am Laufen. 30 000 wurden von Himmlers SS und Polizei als Hilfskräfte in Polizeidienststellen, Gestapo-Hauptquartieren und Gefängnissen rekrutiert. In der Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten waren weitere 10 000 Sekretärinnen beschäftigt. Diese Behörden waren für die Verteilung der einheimischen Bevölkerung und damit auch der Juden in Ghettos und Zwangsarbeitseinrichtungen zuständig. Sekretärinnen erstellten oft die Deportationslisten und entschieden so maßgeblich mit, wer deportiert wurde und wer nicht.
Vom Balkon der Dienstvilla auf jüdische Zwangsarbeiter geschossen
Wie aber sah es mit den deutschen Frauen aus, die nicht zu „Schreibtischmörderinnen“ wurden, sondern die mit ihren Ehemännern und Liebhabern nach Osteuropa kamen? Offiziell hatten sie in den Ghettos nichts zu suchen und sollten sich nicht in die NS-Politik einmischen, das war schließlich Männersache.
Wie sich zeigt, gehörten die Frauen und Geliebten von SS-Männern oder Kommandeuren der Polizeibataillone neben den am Euthanasieprogramm beteiligten Krankenschwestern zu den schlimmsten Täterinnen. Liesel Willhaus folgte ihrem Mann, dem Kommandanten des Lagers Janowska, in die Ukraine. Vom Balkon ihrer Dienstvilla aus schoss sie auf jüdische Zwangsarbeiter, „einfach nur zum Spaß“, wie ein Augenzeuge später aussagte. Auch Josefine Block begleitete ihren Mann in die Ukraine, wo er als Chef der Gestapo von Drohobytsch Karriere machte. Auf eigene Faust ordnete sie Erschießungen an und tötete in mindestens einem Fall ein jüdisches Kind – vor den Augen seiner Mutter.
Was passieren kann, wenn Frauen für Kriegszwecke mobilisiert werden
In den „Holocaust and Genocide Studies“ besteht Konsens darüber, dass Systeme, die Massenmord möglich machen, ohne die breite Beteiligung der Gesellschaft nicht funktionieren würden. Gleichwohl lassen so gut wie alle Darstellungen des Holocaust die Hälfte dieser Bevölkerung außen vor, so als hätte sich die Geschichte der Frauen anderswo abgespielt. Das ist ein nicht nachvollziehbarer Ansatz und eine irritierende Ausklammerung. Die dramatischen Geschichten dieser Frauen enthüllen die dunkelsten Seiten weiblichen Tuns. Sie zeigen, was passieren kann, wenn Frauen für Kriegszwecke mobilisiert werden und den Genozid billigen.
Die Autorin ist Professorin für Geschichte am Claremont McKenna College, Kalifornien. Von ihr ist das Buch „Hitlers Helferinnen“ (Hanser Verlag, München 2014) erschienen. Der Text (übersetzt von Andreas Wirthensohn) basiert auf einem Vortrag, der unlängst auf der 5. Internationalen Holocaust-Konferenz in Berlin gehalten wurde (organisiert von der Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Humboldt-Universität und der Universität Flensburg).
Wendy Lower