Um über Corona zu diskutieren: Sächsische „Querdenker” überraschen Kretschmer zuhause
Sachsens Ministerpräsident wird vor seinem Privatwohnsitz von „Querdenkern” konfrontiert. Diese hatten sich offenbar zuvor über Telegram dazu verabredet.
Inmitten der verschneiten sächsischen Provinz steht eine Frau mit einem Schild: „Wer Völkermord betreibt, hat das eigene Lebensrecht verwirkt”, steht darauf und weiter: „Rücktritt und Verhaftung sofort!”. Ihr gegenüber stützt sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in grüner Winterjacke auf eine rote Schneeschaufel und verteidigt die Corona-Politik seiner Landesregierung.
Etwa 30 „Querdenker” haben am Sonntagvormittag den Ministerpräsidenten des Freistaats an seinem privaten Wohnort Nahe der Gemeinde Großschönau im Landkreis Görlitz einen ungebetenen Besuch abgestattet. Die Leugner und Verharmloser der Pandemie hatten sich offenbar vorher über den Messengerdienst Telegram koordiniert.
Schon im Dezember wurde sich regelmäßig in sächsischen Telegram-Gruppen der sogenannten „Corona-Rebellen” über die Privatadresse des Ministerpräsidenten ausgetauscht. Kurz vor Weihnachten fragt ein User: „Gibt es Waltersdorfer, die in Erfahrung bringen können, wann Michael Kretschmer in den vergangenen Tagen seinen Wanst im dortigen Quirle Häusl gefüllt hat?”
Am Sonntagvormittag überraschen die „Corona-Rebellen” Kretschmer beim Schnee schippen vor seinem Zweitwohnsitz im Zittauer Gebirge. Bis auf den CDU-Politiker trägt keiner der Anwesenden während der 20-minütigen Diskussion eine Mund-Nasen-Bedeckung. Stattdessen tragen mindestens zwei Personen Kleidungsutensilien in schwarz-weiß-rot, die bei Reichsbürgern beliebten Farben des Deutschen Kaiserreichs. Das zeigt ein Video, das die Gruppe später veröffentlichte.
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Nach Tagesspiegel-Informationen sind einige Beteiligte der Aktion dem Protest an der Bundesstraße B96 zuzurechnen, bei dem seit dem Frühling Rechtsextreme, Coronaleugner und Verschwörungsideologen jeden Sonntag gemeinsam am Straßenrand zwischen Zittau und Bautzen demonstrieren.
Gleich zu Beginn der Kontroverse fordert ein Mann Kretschmer auf, den Lockdown „sofort zu beenden” und vergleicht die weltweite Pandemie mit den Gefahren einer Grippe-Erkrankung. Kretschmer berichtet daraufhin von seinen Erfahrungen auf einer Corona-Intensivstation in seinem Bundesland. Im weiteren Verlauf des Gesprächs geht es um die Impfung gegen Covid-19, die nach Aussagen der Anwesenden nicht „zuverlässig” und „ausreichend getestet worden” sei.
Kretschmer bricht Gespräch nach rund 20 Minuten ab
Nach zehn Minuten wird Kretschmer lauter, als ein Mann behauptet in Deutschland „sei keine einzige Person bisher an Corona gestorben”. Der Ministerpräsident entgegnet: „Gibt es hier noch ernsthafte Fragen oder nur Schreihälse?” Schließlich bietet der Politiker Einzelnen an, sich ihre Telefonnummern zu notieren, um weiter im Gespräch zu bleiben.
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Nach ungefähr zwanzig Minuten bricht Kretschmer die Debatte dann relativ plötzlich ab, als er einen Mann mit „Reichsbürgermaske” in der Gruppe entdeckt. Auf dem Video ist am Ende das Eintreffen von zwei Polizeibeamten zu sehen. In einer Pressemitteilung der Behörde heißt es, die Polizei hätte Personalien einiger Anwesender im Alter zwischen 45 und 50 Jahren aufgenommen und zusätzlich Anzeigen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz angefertigt.
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Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer war in den vergangenen Monaten immer wieder für seinen Umgang mit Verharmlosern und Leugnern der Corona-Pandemie kritisiert wurden.
Im Mai suchte er das Gespräch mit Demonstranten auf einer Corona-Demonstration in Dresden. Im August traf er sich als einziger Landeschef der Bundesrepublik mit dem Arzt Sucharit Bhakdi, der das Coronavirus für keine große Gefahr hält. Die verbreiteten Thesen in seinem Buch „Corona Fehlalarm?” wurden unter anderem von Vertretern der Universitäten Mainz und Kiel scharf zurückgewiesen und als „irreführend bis falsch” beschrieben.
Sachsen gilt weiterhin als Hotspot der Corona-Infektionen in Deutschland. Nach Angaben des Robert Koch-Institutes liegt die landesweite Inzidenz im Freistaat bei 358 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner.