Gala "Cinema for Peace" in Berlin: Pannen für den guten Zweck
Betrunkene Öko-Aktivisten, eine spurlos verschwundene Laudatorin und kaum Stars: Die Gala "Cinema for Peace" war dieses Jahr Schauplatz von Pannen und Störungen. Nebenbei wurde Til Schweiger ausgezeichnet und Pussy Riot kämpfte für Ai Weiwei.
Zwei Menschen im Eisbärenkostüm werden die Treppen zum Konzerthaus am Gendarmenmarkt hinaufgehievt, sie protestieren für den Schutz der Arktis. Im Hintergrund posieren Frauen aus dem Privatfernsehen im Glitzerkleidchen auf dem roten Teppich. Ein Autogrammjäger: „Kennen Sie da jemanden? Ich kenne da keinen.“
Til Schweiger läuft vorbei. Eine Autogrammjägerin: „Der Schweiger! Na, einen kennt man zumindest.“
Stars sind auf der diesjährigen "Cinema For Peace"-Gala vor allem eines: abwesend. Obwohl die Gala mit der Berlinale rein gar nichts zu tun hat, profitierte sie in den vergangenen Jahren immer von der hohen Schauspielerdichte in Festivalzeiten.
Nur irgendwie nicht in diesem Jahr.
Diejenigen, die gekommen sind, müssen sich artig in eine lange Schlange vor dem Eingang des Konzerthauses einreihen. Beim Einlass gibt es offenbar Schwierigkeiten. Gänsehaut und genervte Gesichter auf dem Roten Teppich. Endlich drinnen im Konzerthaus, duftet es nach Kohl.
Natalie Portman nutzt das Chaos zur Flucht
Sir Christopher Lee hält eine Eröffnungsrede, dann kündigt der Moderator Natalie Portman an. Tosender Applaus. Die zierliche Oscar-Gewinnerin vergibt den Preis in der Kategorie „Green International Award“ an „Virunga“ von Orlando von Einsiedel und Joanna Natasegara.
Da stürmt ein Aktivist der Gruppe „The Yes Men “ auf die Bühne. „Wir müssen aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen! In diesem Raum haben Sie genug Geld und Macht das zu ändern...“
Das Sicherheitspersonal versucht, den Mann von der Bühne zu führen. Doch der offensichtlich Betrunkene fällt die Treppe runter und kugelt unter den ersten Tisch.
Irgendwie hat unterdessen ein mexikanischer Mitstreiter, der auch irgendetwas sagen möchte, den Weg zum Mikrofon gefunden. Natalie Portman nutzt das Chaos, um still und heimlich von der Bühne zu verschwinden. „Cinema For Peace“-Gründer Jaka Biziljs sagt nur: „Wir haben leider nicht so viel Sicherheit an der Tür“.
Bizilj unterbicht Laudatio von Katja Riemann
Als die Aktivisten abtransportiert sind, kann Preisträgerin Joanna Natasegara endlich ihre Rede halten. Über Skype soll der Regisseur Orlando Einsiedel zugeschaltet werden.
Nichts passiert. "Orlando, are you there?", fragt Natasegara ein bisschen verzweifelt.
Eine Stimme auf dem Off sagt: "Sorry, he is not there. We could not get him". Wieder Stille.
Natasegara beendet ihre Rede und geht irritiert von der Bühne. Jetzt wird Katja Riemann angekündigt. Musik, dann wieder Stille auf der leeren Bühne. Der Einspieler beginnt von vorne.
Stimme aus dem Off: "Während wir auf sie warten, spielen wir einfach weiter Musik." Im Hintergrund dreht die Musik aus der Box ihre dritte Runde.
Dann endlich kommt Katja Riemann gezogen von Jaka Biziljs auf die Bühne und beginnt ihre Laudatio auf Til Schweiger. Der erhält für seinen Film "Honig im Kopf" zum Thema Alzheimer einen Sonderpreis. Warum, weiß niemand so genau, denn mitten in ihrer Rede wird Riemann von Bizilj unterbrochen: „Wir zeigen jetzt einen Trailer.“ Dann ist Pause.
Während die Promis zum Hauptgang greifen, versteigert eine Auktionatorin von Christies, Treffen mit Hollywoodgrößen. Einer der Angepriesenen ist James Franco, Hauptdarsteller aus „The Interview“, der eigentlich als Ehrengast geladen war, aber nicht erschienen ist. Auch bieten will auf ihn keiner so recht. Schlappe 6000 Euro bringt der Hollywood-Schönling am Ende. Auch die anderen Gebote müssen den Gästen eher aus den Rippen geleiert werden.
Als drei Originalfotografien von Nobelpreisträgern versteigert werden sollen, fehlt eines. "Wo ist Gorbatschow?" ruft die Auktionatorin in Richtung Backstage. Eine Antwort bleibt aus. Der unfreiwillig auf die Bühne gezerrte Fotograf schaut gequält.
Für einen der wenigen berührenden Momente an diesem Abend sorgt der Klezmer-Star Giora Feidman, als er auf seiner Klarinette wunderbar poetisch die Nationalhymnen von Deutschen, Israelis und Palästinensern mischt. „Sie haben mir auch einen Zettel gegeben, was ich sagen soll“, sagt der 78-Jährige, „aber sie haben vergessen, dass ich fast blind bin.“
Pussy Riot ehren Ai Weiwei
Nach der Pause stehen dann endlich Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina von der russischen Punk-Band Pussy Riot auf der Bühne, auf deren Auftritt alle gewartet haben. In ihrer Laudatio ehren die Aktivistinnen, die selbst wegen ihrer Putin-kritischen Auftritte zwei Jahre im Gefängnis saßen, den chinesischen Künstler Ai Weiwei als Symbolfigur für den Kampf um Meinungsfreiheit.
In einem Video ruft Ai dazu auf, Kunst- und Redefreiheit als Grundrecht zu verteidigen. "Ich glaube, wenn wir alle daran arbeiten, unsere Menschenrechte zu verwirklichen, hilft das nicht nur mir, sondern jedem", sagt Ai, der über Skype gerade die Regie eines Filmes in Berlin führt.
Auch die folgende Verleihung des „Award of Justice“ für den Film "Three windows and a hanging" durch Fatou Bensouda, Chefanklägerin des internationalen Gerichtshofs in Den Haag und Bundesjustizminister Heiko Maas kommt ohne weitere Pannen aus.
Doch der Moment der Würde währt nur kurz. Schon ist "Cinema For Peace" - Botschafterin Bianca Jagger zur Stelle und verteilt an die bösen Regierungen dieser Welt mit der Gießkanne ein paar Ermahnungen. Von Pakistan bis Mexiko, von Palästina bis Russland bleibt niemand unbedacht. Krieg wollten schließlich immer nur die Regierungen, die Menschen seien doch eigentlich Freunde. Sagt's und schwebt in ihrer Leopardentunika davon.
"Wir werden hier auch nicht informiert"
Während beim zweiten Teil der Auktion vorne noch "Cinema For Peace" - Handtaschen verramscht werden, wird hinten schon ein Schlagzeug hereingerollt. Dann steht zum Abschluss des Abends die russische Garage-Rock-Band Jack Wood, schwarz, düster, Saxofongejammer, auf der Bühne. Pussy Riot haben sie mitgebracht und inmitten der Kronleuchter und Abendkleider wirkt ihre Musik wie Marilyn Manson auf einem Kindergeburtstag.
"Hello, mostly rich people! You must be tired", sagt der Sänger, doch es hört kaum noch jemand zu. Die Mädels von Pussy Riot sind mittlerweile verschwunden. Interviews zu politischen Inhalten wollen sie schon gar nicht mehr geben. Die Pressesprecherin der Gala sagt verzweifelt. "Wir werden hier auch nicht informiert. Als ich Pussy Riot das letzte Mal gesehen habe, saßen sie irgendwo im Treppenhaus und waren angepisst." Vielleicht haben sie aber auch nur das einzig Richtige gemacht und sind mit Natalie Portman auf ein Bier in die nächste Kneipe geflohen.
Korrektur: Entgegen früherer Darstellung hielt Sir Christopher Lee lediglich eine Begrüßungsrede und war nicht Moderator des Abends.
Die Initiative „Cinema for Peace“ hatte sich nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York 2001 gegründet. Sie will mit den Mitteln des Films gegen Krieg und Ungerechtigkeit kämpfen. In Berlin feiert sie traditionell am Rande der Berlinale eine Spenden-Gala, hat aber mit dem Festival nichts zu tun.
Pascale Müller