Berlin-Mitte: "Palais"-Bau am Holocaust-Mahnmal macht Anwohnern Sorge
Am Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte verschwinden die Pommesbuden. Ein Neubau soll besser zum Ort des Gedenkens passen. Doch nicht alle Anwohner sind zufrieden.
Ein wichtiger Teil der Berliner Mitte erhält jetzt ein neues Gesicht: Die touristenfreundliche Ess- und Trinkmeile aus Holzlatten gegenüber dem Holocaust-Mahnmal wird gerade ausgeräumt und danach dem Erdboden gleichgemacht. Dann soll auf dem Gelände entlang der Cora-Berliner-Straße ein „Palais an den Ministergärten“ entstehen.
Dieses Gebäude „wird einen würdigen, unaufgeregten Platzabschluss für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas bilden“, sagt ein Sprecher der MUC Real Estate München, die für die Planung, Entwicklung und Umsetzung des Projekts zuständig ist.
Mit der Adresse Cora-Berliner- Straße 2 sollen Mietwohnungen und Gewerbeeinheiten entstehen. Diese entwickelt die MUC für zwei Familien als Eigentümer des Geländes, das einst der Wohnungsbaugesellschaft Mitte gehörte und wegen klammer Senatskassen verkauft wurde.
Das Haus soll langfristig in Familienbesitz bleiben, ganz im Gegensatz zum bisherigen Wechsel der Investoren, die mehrfach geplant, aber nie gebaut hatten. Auch die Architekturmodelle von damals landeten im Papierkorb.
Luftschutzbunker von Joseph Goebbels
Nun soll noch im Januar beim Bezirksamt ein Bauantrag eingereicht werden. Dem Abriss der Baracken folgen Erkundungsarbeiten; der Boden in den einstigen Ministergärten birgt vielleicht noch Überraschungen – beim Bau des Mahnmals wurde, wenige Meter vom künftigen Baufeld entfernt, der Luftschutzbunker von Joseph Goebbels entdeckt. Heute bedecken die Beton-Stelen des Mahnmals den einstigen Zufluchtsort des NS-Propagandaministers.
Wann die Ausschachtungen und der Bau beginnen, hängt von allerlei Imponderabilien ab, deshalb möchte der Investor auch noch kein Modell zeigen. Nur so viel: „Ohne architektonische Selbstdarstellung verfolgen wir das Ziel, einen hochwertigen, klassischen Baukörper zu bilden, der auch in Jahrzehnten als zeitgemäß gelten kann“, heißt es.
Hinter den geplanten „Gewerbeeinheiten“ verbergen sich auch dem Vernehmen nach Restaurants, Geschäfte und Cafés für die Touristen, auch soll es im ersten Geschoss eine Art Aussichtsplattform zum Fotografieren des Mahnmals aus besonderer, erhöhter Sicht geben. Jedenfalls wird eine „hohe Aufenthaltsqualität“ angestrebt.
„Meinetwegen kann der Baubeginn noch Jahre dauern“
Handel und Versorgung für die Besucher des Mahnmals haben ihre eigene Geschichte. Kaum waren das Denkmal und sein viel besuchter Ort der Information fertiggebaut, erforderten die Bedürfnisse der Besucher besondere Maßnahmen. Als erster erkannte dies der Besitzer einer Wurstbude.
Als die Fragen immer drängender wurden, ob Bratwurstdüfte mit der Würde des Ortes und der Political Correctness überhaupt vereinbar seien, verschwand der Bratwurst-Maxe, und es entstand jenes 115 Meter lange Pavillon-Gebäude aus Holzlatten, in und vor dem bis zum letzten Sommer nicht nur Würstchen verzehrt, sondern auch Souvenirs verkauft wurden.
Von einer Aussichtsterrasse gab es zu Wein und Bier einen staunenswerten Sonnenuntergang. Nun ist damit endgültig Schluss. Die Touristen müssen ihren Hunger in der Nähe stillen – oder ihre Stullen auspacken.
Die Verlierer beim Neubau des „Palais“ sind die Bewohner der Plattenbauten an der Ecke der Behren- und Wilhelmstraße. Ihnen wird ein Gebäuderiegel vor die Nase gesetzt. Der Untergang der Sonne hinter Funkturm, Gedächtniskirche und Siegessäule findet nun ohne sie statt, auch der Tiergarten ist verschwunden.
Man lebt plötzlich im Hinterhof und blickt in die Schlafzimmer der neuen Nachbarn in den 125 Mietwohnungen. „Meinetwegen kann der Baubeginn noch Jahre dauern“, tröstet sich ein Mieter, „aber wir wussten ja, was auf uns zu kommt“. In allen Stadtmodellen ist der Lückenschluss seit Langem bereits Realität.
Leichtigkeit im Umfeld der "Platte"
Dabei wollte der Architekt der Wohnanlage, für die in den achtziger Jahren der „Führer-Bunker“ gesprengt wurde, eine gewisse Auflockerung und Leichtigkeit im Umfeld der „Platte“ erreichen – als Erinnerung an die einstige Gestalt der Palais entlang der früheren Regierungsmeile Wilhelmstraße.
In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gab es vor zwei Jahren eine öffentliche Auslegung für das Bebauungsplanverfahren 1-202 a. Da stand geschrieben, dass das Gebäude bis zu 29 Metern hoch werden darf. Einwände konnten geltend gemacht werden. Wer das tat, erhielt freilich nie eine Antwort.
Zu den Mietern, die die Baupläne gelassen verfolgen, gehört der Dichter und Dramatiker Rolf Hochhuth. Er war nach der Wende der erste Mieter im Haus, später kamen unter anderen Angela Merkel und Treuhand-Chefin Birgit Breuel dazu. „Wir hatten eine freie Sicht auf den Reichstag und das Brandenburger Tor.
Weder Adlon noch amerikanische Botschaft versperrten den Blick. Alles ist längst zugebaut. Und so geht es weiter“. Das ist der Lauf der Dinge in einer Hauptstadt. „Wer im April 87 Jahre alt wird, der bleibt da, wo er ist“.