Junge Kreative zieht's nach Brandenburg: Out of Neukölln
Immer mehr Berliner Künstler zieht es raus aus der Hauptstadt. Wird Brandenburg jetzt etwa hip? Eine Rundfahrt.
Eine verlassene DDR-Platte auf einem Dorfhügel mitten in der Uckermark. Die alten Böden sind herausgerissen, an den Wänden sind keine Tapeten mehr. Die Aussicht: Felder und Obstbäume. Künstler und Freischaffende zieht es hierher. Als Denk- und Produktionsraum bezeichnet die Berlinerin Larissa Rosa Lackner das riesige Areal mit jeder Menge alter Garagen und teils noch verwilderten Gartenparzellen. Mit anderen Kunst- und Kulturschaffenden aus Berlin und Leipzig baut sie hier eine Künstlerresidenz auf, ansonsten lebt sie in Berlin-Neukölln.
Warum hat sie sich ausgerechnet die Uckermark ausgesucht? „Hier bist du leer, Berlin ist überfüllt an Ideen“, sagt die 29-Jährige, die Kunst studierte und zuletzt als Regisseurin für eine Tanzperformance arbeitete. „Hier hast du Luft für Neues.“ Viele Berliner ziehe es hierher, sagt Mitorganisatorin Theresa Pommerenke. „Weil sie Konzentration und Freiraum suchen.“ Darunter seien Theaterleute und Performance-Künstler. Es gebe immer mehr Anfragen für Übernachtungen. Das Interessante an dem gepachteten Areal sei, dass sich mit der DDR- Platte mitten in der Idylle Uckermark der Kontrast Stadt-Land widerspiegele.
Das Gebäude selbst erinnert an eine Kunst-Installation
Hier in dem kleinen Dorf ist kaum etwas los. Doch nach einer Weile gibt es ein wenig Aufregung: Ein bepackter Esel kommt die Landstraße entlanggerannt – er ist Wandertouristen ausgebüxt. Seit fast zwei Jahren renovieren die Initiatoren des Vereins Libken und Helfer das Gelände in dem Ort Böckenberg. In einer der Garagen, an denen zum Teil noch alte Gardinen hängen, ist ein „Inspirationsraum“ entstanden.
Demnächst soll auf dem Areal ein Tanzboden in dem ehemaligen Wasserwerk eingebaut werden. Und seitdem sich hier eine Hacker-Gruppe einige Tage zurückgezogen hatte, gebe es auf dem gesamten Gelände Internet, sagt Lackner. Die Wohnungen bleiben ohne Böden und Tapeten, die Möbel sind zusammengesammelt, oder Leute aus dem Ort haben etwas gespendet. Das Gebäude wirkt selbst wie eine Kunst-Installation.
So wie in der Uckermark blitzt vielerorts in Brandenburg etwas hervor, das man geballt in angesagten Großstädten findet. Die Zeiten, in denen sich Hipster nur in den Berliner Szenevierteln tummeln, scheinen zu vergehen.
Trendforscher: Brandenburg wird wohl nicht hip
Und viele Berliner binden Brandenburg in ihre Freizeitgestaltung ein. Das Staatstheater Cottbus verzeichnete in der vergangenen Spielzeit nach eigenen Angaben eine steigende Besucherzahl aus der Hauptstadt. Zurzeit ist dort eine vielbeachtete moderne Inszenierung der Shakespeare-Tragödie „Hamlet“ zu sehen - der dänische Prinz Hamlet (Johannes Kienast) spielt Schlagzeug und steigt in Frauenkleider.Und vom aktuellen Roman „Unterleuten“ von Juli Zeh, der in einem Dorf in Brandenburg spielt, wurden nach Verlagsangaben bereits mehr als 210 000 Exemplare verkauft. Wird Brandenburg neben der als jung und angesagt geltenden ostdeutschen Szenestadt Leipzig („Hypezig“) demnächst gar als hip gehandelt?
„Dass Brandenburg zu einer hippen Region wird, halte ich für überschätzt“, sagt Trendforscher Christian Rauch vom Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main. Zwar färbe der urbane Lifestyle von Berlin auch in die Städte Brandenburgs ab. Punktuell habe sich eine solche Szene entwickelt, wo es Studierende und Kreative gibt. So etwas langfristig zu erhalten und über die gesamte Fläche eines Bundeslandes zu erstrecken, hält der Soziologe für schwierig. Dazu hätten Großstädte einen zu großen Magneteffekt.
"Dieser Ort ist wie eine Spielwiese"
Von der Strahlkraft Berlins profitiere in Brandenburg vor allem der Speckgürtel im direkten Umland, sagt Rauch. Weil das Wohnen in der Großstadt immer teurer werde, zögen junge Familien, die in Berlin arbeiten, immer weiter raus. Zugleich sei es schon immer so gewesen, dass sich rund um Großstädte Biotope von kreativen Leuten wie Künstler oder Autoren gebildet hätten. Als „temporären Ausbruch aus dem Großstadtdschungel“ bezeichnet das Rauch.
„Hip, Hipster, Brandenburg!“ – diesen Slogan griff vor Kurzem der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen auf. Sprecher David Eberhart sagt, es gebe verstärkt Interesse von Berlinern, aufs Land zu ziehen. „Es gibt unglaublich viel kreatives Potenzial“, sagt auch Franziska Pollin, die vom Land gefördert die Popmusikszene in Brandenburg unterstützt und an einem Netzwerk arbeitet. Allein 40 Festivals habe es in diesem Jahr über das Land verstreut gegeben – von Electro bis Jazz. Viele Veranstalter seien aus Berlin.
Zurück in der Uckermark. In einem ehemaligen Hühnerstall. Die 29 Jahre alte Vereinsmitbegründerin Larissa Rosa Lackner hat noch viele Ideen für die Künstlerresidenz. Bald soll dort eine Sauna entstehen, wie sie sagt. Von den Ortsansässigen gebe es Zuspruch. „Am Anfang hat sich hier jeder gefragt, was das hier wird. Jetzt ist das anders.“ Ihre Kollegin betont: „Dieser Ort ist wie eine Spielwiese. Es kann noch so viel passieren.“
Anna Ringle