Berlins Justizsenator Dirk Behrendt: „Oft geben die Ehefrauen der Täter Hinweise“
Der grüne Justizsenator Dirk Behrendt über die Personalnot bei der Bekämpfung von Korruption, Raumnot - und warum in Berlin trotzdem nicht alles schlimmer wird. Ein Interview.
Herr Behrendt, Sie waren Büroleiter unter dem damaligen Justizsenator Wolfgang Wieland, haben die Bankenaffäre aufgearbeitet. Kommen ihnen nicht die Tränen, wenn jetzt Korruptionsverfahren jahrelang nicht verhandelt werden?
Es schmerzt mich, dass Wirtschaftskriminalität nicht mehr wirklich verfolgt wird. Es ist eines der Probleme, die ich vor einem Jahr übernommen habe. Wir haben uns deshalb in den letzten Monaten auf den Weg gemacht, das zu reparieren. Mit dem neuen Doppelhaushalt wird es den höchsten Zuwachs in der Justiz von Berlin seit der Wende geben. Trotzdem können wir in Wirtschaftsverfahren einer Phalanx von Topanwälten keinen Berufsanfänger gegenüberstellen. Die Versäumnisse der Vergangenheit werden sich also nicht von heute auf morgen lösen lassen.
Aus Justizkreisen ist zu hören, dass es an Sälen fehlt, um überhaupt verhandeln zu können.
Ja, die Richter wissen oft nicht mehr, wo sie verhandeln sollen und müssen um halbe Stunden feilschen. Als Richter kenne ich die Justiz von innen, weshalb es eine meiner ersten Amtshandlungen war, finanzielle Mittel für zwei neue Sicherheitssäle zu bekommen. Ende nächsten Jahres soll der erste Saal fertig werden, sagen die Experten. Unter dem anderen geplanten Saal läuft eine Druckleitung für die Fernwärme entlang. Die wollen wir nicht während der Heizperiode verlegen und damit das Landgericht kalt stellen.
Und den Vorrang haben deshalb große Verfahren mit verhafteten Tatverdächtigen?
Ja, bei den beiden großen Strafkammern gibt es Mammutprozesse wie gegen die Rocker. Und so kommt es, dass häufig nur noch Haftsachen verhandelt werden, weil die Angeklagten einen Anspruch haben, dass das schnell geht. Verfahren der White Collar-Kriminalität, wie in großen Korruptionsverfahren bei BSR oder Ärzten – die sind ja selten in Untersuchungshaft– werden deshalb im schlechtesten Fall nach Jahren eingestellt oder es gibt Strafnachlässe. Das ist unerträglich für das Gerechtigkeitsempfinden.
Räume fehlen, gewiss, aber sicher auch Richter, oder?
Ja und deshalb ist im kommenden Doppelhaushalt außerdem der Aufbau von fünf neuen Strafkammern geplant. Ich verstehe den Frust der Staatsanwaltschaft. Die Polizei ermittelt, sie schreiben Anklageschriften und dann kommt das nicht zur Verhandlung.
Qualifiziertes Personal steht aber auch nicht auf der Straße. Wie wollen Sie die Stellen besetzen?
Bei der Besetzung selbst beneiden uns andere Bundesländer, weil viele hochqualifizierte Leute nach Berlin wollen. Allen Unkenrufen zum Trotz: Wir finden nach wie vor sehr gut qualifiziertes Personal.
Trotzdem kam es auch im vergangenen Jahr zu Verzögerungen bei der Besetzung neu geschaffener Stellen, ist dies wieder zu befürchten?
Verzögerungen könnte es eher geben bei der Besetzung der neuen Vorsitzenden-Stellen für die neuen Strafkammern. Die letzten Beförderungen gingen nicht ohne Konkurrenzstreit ab. Gegen die Besetzungen, die Ende 2016 vom Richterwahlausschuss entschieden wurden, gab es Anträge von Konkurrenten.
Und weil der Unterlegene damit alle Besetzungen angreifen musste, konnten sie auch nicht besetzt werden. Das ist hässlich, weil es den Aufbau der Kammern blockiert. Die letzten Stellen wurden erst zehn Monate nach der Entscheidung besetzt. Schön ist das nicht, aber so ist es im Rechtsstaat. Es ist ein bestehendes Recht, gegen die Besetzung von Stellen mit Konkurrenten gerichtlich vorzugehen. Zumal es eine erkleckliche Zahl von erprobten Kollegen gibt, über 100 erfüllten die Voraussetzungen.
An welchem Gericht ist zurzeit die Not am größten?
Beim Verwaltungsgericht wegen der vielen Anträge von Geflüchteten, zumal es da auch um die Zusammenführung von Familien geht. Vor 15 Jahren waren wir über 100 Richter, dann ging es runter auf 80. Jetzt stocken wir auf 133 auf. Mehr geht nicht, diese Steigerung muss man erst mal verkraften. Entwarnung gibt es dafür beim Sozialgericht.
Das war vor 10 bis 15 Jahren unser Problemkind, nach Einführung der neuen Arbeitslosengeld-II-Gesetzgebung. Inzwischen sind viele Fälle durchentschieden bis zu den obersten Sozialgerichten des Landes und des Bundes. Da lohnt es sich nicht mehr zu klagen.
Dafür haben Clans und Banden freie Hand, sie müssen gar nicht mehr mit Strafverfolgung rechnen, oder?
Insgesamt verzeichnen wir einen Rückgang der Verfahren bei der Staatsanwaltschaft und bei den Richtern. Die Verfahren werden aber komplizierter. Früher gab es zwei oder drei Angeklagte, jetzt oft ein Dutzend. Die Strafverfolgung lebt von der Dummheit der Täter. Die plaudern alles am Telefon aus und dann hat man gleich viele Täter.
Aber auch hier kommen Sie an ihre Grenzen, Banden bleiben beim Drogenhandel ein Thema in Berlin.
Das Fußvolk kriegen wir, aber die Hintermänner bleiben die Herausforderung. Zumal sich die Organisierte Kriminalität ziemlich abschottet, ganz gleich, ob es russische, libanesische oder albanische Clans oder Rocker sind. Immerhin gelang es, eine Schwerpunktkriminalität einzudämmen: die Wohnungseinbrüche. Da sind auch organisierte Banden tätig. Aber hier haben wir Ermittlungserfolge verzeichnet. Entweder haben wir die Richtigen erwischt oder sie wenden sich anderen Städten zu. Jedenfalls geht die Zahl der Wohnungseinbrüche zurück.
Weil es sich herumspricht, dass die Justiz wenigstens hier durchgreift?
Das kann man vermuten, es lässt sich aber nicht nachweisen. Ein paar Leute haben wir auch sicher und trocken untergebracht, die sitzen. Wenn Banden spezialisiert sind auf eine Tat und ein paar Drahtzieher sitzen, dann geht die Zahl der Straftäter zurück. Schwerpunktverfolgung bringt eben etwas. Und es zeigt, dass das Bild, wonach alles immer schlimmer wird, so eben nicht zutrifft. Aber natürlich bleiben Probleme bestehen, Schutzgeld-Erpressung zum Beispiel. Auch Waffen-Handel, Zwangsprostitution und Drogen. Wenn es eine Nachfrage gibt, dann organisiert sich das Angebot.
Bares für Aufträge oder steuerfreie Einnahmen sind auch nachgefragt. Was hilft gegen Korruption und Steuerschwindel?
Die Steuer-CDs aus der Schweiz wirken Wunder. Die haben den Berliner Kassen einen warmen Geldregen gebracht, dreistellige Millionen-Beträge, das hat richtig Spaß gemacht. Entscheidend bei der Abschreckung ist das Entdeckungsrisiko, viel mehr als das Strafmaß. Da wägen die Täter ganz rational ab. Weil nur drei Prozent der Fahrraddiebstähle aufgeklärt werden, blüht das Gewerbe.
Ermittlungen in einem Fall mutmaßlicher Bestechung bei den landeseigenen Wasserbetrieben wurden jüngst bekannt. Nur die Spitze des Eisberges?
Bei der Korruption ist die Schwelle schon höher, weil es immer einen zweiten gibt, der anfangen kann zu reden. Deshalb habe ich die Stelle des Vertrauensanwaltes wieder besetzt und hat das Landeskriminalamt eine Software in Betrieb genommen, damit Bürger anonym Hinweise geben können.
Wie kann die Justiz die Täter überhaupt überführen?
Die wichtigen Informationsgeber sind auffällig oft Ehepartner der Täter, weil diese sich zurückgesetzt fühlen. Auch Arbeitskollegen geben Hinweise, wenn einer plötzlich dicke Autos fährt oder einen Pool am Haus baut und der für Baugenehmigungen oder die Ausgabe von Führerscheinen zuständig ist. Natürlich verdächtigen auch unterlegene Bieter, die sich günstiger und besser wähnen, bei einer Vergabe den Konkurrenten, der den Auftrag kriegt.
Die Fragen stellte Ralf Schönball.