Korruption in Berlin: „Schädlich für den Rechtsstaat“
Berlins oberster Korruptionsbekämpfer Rüdiger Reiff beklagt, dass Anklagen in Berlin zu oft zu lange nicht verhandelt werden.
Herr Reiff, wieder ein Korruptionsverdacht, dieses Mal bei den Wasserbetrieben. Verurteilungen sind selten und die Fälle eher klein. Täuscht der Eindruck?
Im Januar wurde ein Referatsleiter im Landesamt für Gesundheit und Soziales wegen Bestechlichkeit durch einen Betreiber von Flüchtlingsunterkünften zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Er soll 143 000 Euro angenommen haben. Der, der ihn geschmiert haben soll, bekam wegen Bestechung und weiterer Delikte wie Steuerhinterziehung sieben Jahre und drei Monate. Dass wir die ganz großen Verfahren wie den Dieselgate von VW nicht haben, liegt auch daran, dass in Berlin nicht die ganz großen Unternehmen und keine Dax-Konzerne sind.
Aber ein Dutzend Urteile im vergangenen Jahr ist nicht gerade viel.
Die Einstellungsquote ist tatsächlich sehr hoch. Aber viele Korruptionsanzeigen bestehen aus bloßen Behauptungen und Vermutungen, die nicht zur Einleitung von Ermittlungen berechtigen und eingestellt werden müssen. Der Nachweis, dass Geld geflossen ist, ist auch schwierig. Bestechungsgelder werden nicht überwiesen, sondern als Bargeld heimlich übergeben. Noch schwieriger wird es in einer Dreiecksbeziehung, wenn ein Unternehmer das Geld dem Tennisclub spendet, wo die Ehefrau seines Auftraggebers im Vorstand ist, und dafür von deren Mann einen Auftrag bekommt.
Im Fall der landeseigenen Berliner Stadtreinigung fanden Ermittler bei Ex-Vorstand Lothar Kramm sogar einen Vertrag, der ihm die Hälfte von 1,2 Millionen Euro bei Auftragserteilung zusprach. Schieben Sie nicht Frust, wenn sogar das kaum Konsequenzen hat?
Doch, vor allem weil dieser Vertrag von seinem Partner ja schon unterschrieben war. Was will man mehr? Der Ex-Vorstand hätte das Geld jederzeit verlangen können, wenn die von seinem Partner beratene Firma den Auftrag bekommen hätte. Frustrierend ist es aber vor allem, wenn wir Anklage erheben und das Landgericht nicht oder nicht zeitnah verhandelt. Das ist nicht nur im BSR-Fall so, wo die Hauptverhandlung gegen noch einen Angeklagten seit vier Jahren aussteht. Ein anderes großes Wirtschaftsverfahren wegen Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr liegt seit mehr als drei Jahren bei Gericht. Ein weiterer Fall, in dem ein Arzt einer Apothekerin Rezepte im Wert von mehreren Millionen Euro zugewiesen und dafür technische Geräte bekommen haben soll, ist seit Januar 2015 anhängig. Diese Liste könnte weitergeführt werden.
Können sich Straftäter darauf verlassen, dass es eh nicht zur Anklage kommt?
Darauf sollte sich niemand verlassen. Aber es ist richtig, dass Verzögerungen Straftätern zugutekommen, weil die von der Justiz verursachten Verfahrensverzögerungen zu einem Strafabschlag führen können. Die Geldstrafe wird herabgesetzt oder die Haftstrafe verkürzt, wenn das Verfahren rechtsstaatswidrig zu lange gedauert hat. Im BSR-Verfahren stimmte die Staatsanwaltschaft auch deshalb einer Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldbuße zu, weil die Tatvorwürfe acht, teilweise sogar zehn Jahre zurückliegen und diese Verfahrensverzögerung der Justiz geschuldet war.
Bei mir ist auf die Justiz stets Verlass, meine Strafzettel muss ich immer zahlen. Gilt da zweierlei Recht?
Richtig ist jedenfalls, dass die Verzögerungen bei großen Korruptionsverfahren schädlich für den Rechtsstaat sind. Der Staat hat das Gewaltmonopol, also ist nur der Staat zum Strafen berechtigt, deshalb muss er auch dafür sorgen, dass Straftaten in einem angemessenen Zeitraum ermittelt und der Fall abgeschlossen wird. Die kleinen Fälle werden bearbeitet, weil sie einfach sind und die Beweislage klar ist. Wenn ein Gericht dagegen ein großes Verfahren nicht zeitnah terminieren kann, liegt das vor allem daran, dass Haftsachen Vorrang haben, weil da Angeklagte in Untersuchungshaft warten. Auf Nachfragen der Staatsanwaltschaft, weshalb nicht verhandelt wird, wird von den Gerichten regelmäßig die dortige Überlastungssituation geltend gemacht.
Verschwörer sagen: Die schlechte Personalausstattung der Justiz ist erwünscht...
Keinesfalls. Wer sollte hieran ein Interesse haben? Hier tun alle alles dafür, dass Korruptionsstraftaten aufgeklärt, angeklagt und verurteilt werden. Je schwieriger die Verfahren werden, desto aufwendiger sind sie. Aber die langen Wartezeiten sprechen für sich. Ich wünschte, die Zeiträume bis zur Anklage und zwischen Anklage und Verhandlung wären kürzer.
Firmen wie die BSR stellen Profis ein, die noch während der laufenden Ermittlungen die Fiktion eines unschuldig Verfolgten verbreiten. Kommen Sie dagegen an?
Die Vehemenz, mit der anwaltliche Vertreter eines eigentlich geschädigten Unternehmens wie der BSR sich für den Angeklagten eingesetzt haben, nannte sogar das Landgericht ungewöhnlich und bemerkenswert. Ein solches Misstrauen gegen die Arbeit der Staatsanwaltschaft durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts sei weder nachvollziehbar noch in der Sache gerechtfertigt, hieß es.
Liegt es im Trend, Strafverfolger als Hardliner zu diffamieren, weil Recht und Ordnung so gar nicht sexy sind?
Nein, bei großen Firmen geht der Trend zur Kooperation. Unternehmen, deren Aktien zum Handel an der US-Börse zugelassen sind, sind gehalten, Vorwürfe intern aufzuklären. Durch die Wertpapieraufsicht der USA drohen existenzbedrohende Bußgelder, wie die Fälle VW und Deutsche Bank zeigen. Diese Strafzahlungen können durch Kooperation erheblich reduziert werden. Siemens versuchte deshalb schon vor zehn Jahren, die damaligen Korruptionsvorwürfe intern aufzuklären und mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren.
Dieser Trend hat sich fortgesetzt, auch bei nur in Deutschland tätigen Unternehmen. Große Firmen bauen dafür Abteilungen auf. Nur kleine und mittlere Unternehmen noch nicht.
Was ist eigentlich so schlimm daran, ein bisschen zu schmieren?
Das zeigt sich an Ländern, in denen Bestechung zum Alltag gehört. Delegationen aus Osteuropa, die uns gelegentlich besuchen, haben mir berichtet, dass es da ohne Bares für den aufnehmenden Arzt im Krankenhaus erst gar keine Behandlung gibt. Ohne Geldschein schaut der TÜV-Prüfer Ihr Auto nicht an. Strafanzeigen landen unbesehen im Papierkorb. In einem Land, in dem die Bürger Vertrauen in die Justiz haben, sind solche Zustände undenkbar. Deshalb ist eine funktionierende Justiz für die Bürger und für den Wirtschaftsstandort von überragender Bedeutung und ein entscheidender Faktor dafür, dass sich Firmen überhaupt in einem Land ansiedeln.
Schlechte Ausstattung der Justiz, verschleppte Verfahren, was reizt noch am Job des Strafverfolgers?
Nur dem Gesetz unterworfen zu sein, auf dieser Grundlage einen Sachverhalt zu ermitteln und objektiv zu entscheiden, ob Anklage erhoben oder eingestellt wird, weil es für eine Anklage nicht reicht oder die Schuld gering ist. Wir sind nur dem Gesetz und unserem Gewissen unterworfen. Das ist ein hohes Gut.