Neuer Guide Michelin: Noch ein Zwei-Sterne-Restaurant für Berlin
Ein weiteres Zwei-Sterne-Restaurant, fünf neue Lokale mit einem Stern: Der neue Restaurantführer Guide Michelin hat Überraschungen für Berlin gebracht
Die Leute vom Michelin haben ein Faible für Berlin und seine spezifischen Eigenheiten – das ließ sich schon am Ort ablesen, an dem die Pressekonferenz zur Vorstellung des aktuellen Restaurantführers für Deutschland am Donnerstag stattfand: in der Alten Teppichfabrik in Alt-Stralau, einer notdürftig durchgefegten Ruine mit jener Morbidität, die der Tourist hier an jeder Ecke erwartet. Und auch die neuen Auszeichnungen ließen die Absicht der Redaktion deutlich werden, nur keinen Trend zu verpassen: Ganz anders als im restlichen Deutschland war so gut wie keine der Entscheidungen erwartet worden.
Immerhin bestätigen die neuen Berliner Sterne die gebetsmühlenartig wiederholte Selbstauskunft des Michelin, es komme ihm einzig und allein darauf an, was auf dem Teller liege. Denn das Kreuzberger „Horvath“, das nun zwei Sterne trägt, ist alles andere als ein konventionelles Luxusrestaurant – das ehemalige „Exil“ liegt optisch traditionell irgendwo zwischen Kneipe und Weinstube. Sebastian Frank, Chef und Küchenchef in Personalunion, hat mit dem Kauf des Betriebs alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen: Der zweite Stern honoriert seine völlig eigenständige, an österreichischen und ungarischen Motiven orientierte und gemüsebetonte Küche, die vollkommen ohne Luxusprodukte auskommt, allerdings in ihrer Radikalität durchaus polarisierend wirkt.
Die Newcomer: Teils unerwartet
Das gilt auch für das frisch eröffnete „Nobelhart und Schmutzig“ in Kreuzberg. Küchenchef Micha Schäfer kocht so „brutal lokal“, dass selbst Zitronensaft und Olivenöl verboten sind; seine Gerichte suchen ohne die geringsten Schnörkel nach dem essenziellen Geschmack regionaler Produkte. Über seinen Stern entspann sich unmittelbar nach der Bekanntgabe eine rege Debatte in den sozialen Netzwerken.
Der Stern für das „Nobelhart“ war immerhin in der Szene erwartet worden. Das „Bandol sur mer“ dagegen hatte niemand auf dem Zettel. Auch hier ist zunächst die Atmosphäre interessant: Das Restaurant in der Torstraße war mal ein Döner-Laden und hat sich seitdem auch nicht sehr verändert. „Einfach, leger und absolut unprätentiös“ warnt der Michelin vor seinem eigenen Mut. Ältere Gourmets mit Statusbewusstsein werden trotzdem erschreckt flüchten. Sie verpassen die experimentierfreudige Küche von Andreas Saul, der mal aus dem „Rutz“ kam und sich von den französischen Anfängen langsam in eine ganz persönliche Stilrichtung entwickelt hat.
Kräuter und Gemüse aus dem eigenen Garten
Auch Stephan Garkisch vom Schöneberger „Bieberbau“ ist schon lange dabei und hat das denkmalgeschützte Restaurant mit den Stuckaturen des Meisters Bieber behutsam weiterentwickelt, lange ausgezeichnet mit dem „Bib Gourmand“. Er arbeitet gegenwärtig stärker als alle anderen Berliner Kollegen mit Kräutern und Gemüsen aus dem eigenen Garten, die er zu fantasievollen, aber nicht überladenen Kompositionen zusammenfügt.
Entscheidend für den Erfolg des Kreuzberger „Richard“ war der aus der Schweiz stammende Küchenchef Till Bühlmann, der hinter dem selbst auch kochenden Patron Hans Richard die Fäden zieht und nun offenbar auch einen Schritt nach vorn treten darf. Seine Küche hat in ihrer Ausgewogenheit, in ihrem Verzicht auf plakative Effekte durchaus etwas Schweizerisches, wenngleich er kein Geschnetzeltes kocht, sondern modernen Freistil wie alle anderen ausgezeichneten Kollegen.
Und jetzt auch: Semmler
Am ehesten könnte man Markus Semmler noch als Traditionalisten bezeichnen. Er hält an den teuren Luxusprodukten und an klassisch angesetzten Soßen fest und orientiert sich kaum an den jeweils aktuellen Moden. Unter seinen Anhängern war bereits die Sorge umgegangen, er werde das Restaurant schließen und – wie früher – nur noch im Catering arbeiten, wenn der Stern in diesem Jahr nicht kommt; das hat sich damit wohl erledigt. Interessant aus Berliner Sicht ist ferner der Stern für das Beelitzer „Kochzimmer“, der von vielen erwartet worden war. Damit ist die moderne Küche von Patrick Schwatke und Jörg Frankenhäuser neben das „Bayerische Haus“ in Potsdam und die „Bleiche“ in Burg getreten.
Weiter in der Warteschleife
Wie in jedem Jahr ist die Michelin-Story nicht vollständig ohne die Erwähnung all jener, die unverdient nicht gewürdigt wurden und nun den Eindruck haben, es sei gewürfelt worden. Zweifellos hätten auch Matthias Diether („First Floor“), Marco Müller („Rutz“) und Roel Lintermans („Les Solistes“) einen zweiten Stern verdient, und gegen einen ersten für Philipp Liebisch („Zeitgeist“) oder auch Matthias Gleiß („Volt“) hätte sich im Direktvergleich mit den glücklicheren Kollegen nichts einwenden lassen. Nur haben sie, wie es scheint, nicht ganz Schritt halten können mit dem Modebewusstsein der Michelin-Redaktion, die sicher auch weiß, mit welchen Entscheidungen sie in der Öffentlichkeit die meiste Resonanz erfährt.
Berlin – die deutsche Gourmet-Hauptstadt? Rein zahlenmäßig ganz sicher, denn sechs mal zwei und 14 mal einen Stern schafft sonst keine deutsche Stadt. Aber was noch fehlt, ist der dritte Stern, den sich Tim Raue und Hendrik Otto zweifellos verdient hätten. Den hat Hamburg neuerdings – weil ihn der von Travemünde in die Hansestadt umgezogene Kevin Fehling mitgenommen hat.
Horváth, Paul-Lincke-Ufer 44a, Kreuzberg.
Nobelhart & Schmutzig, Friedrichstr. 218, Kreuzberg.
Bandol sur Mer, Torstr. 167, Mitte.
Bieberbau, Durlacher Str. 15, Schöneberg.
Richard, Köpenicker Str. 174, Kreuzberg.
Restaurant Markus Semmler, Sächsische Str. 7, Wilmersdorf.
Kochzimmer Beelitz, Berliner Str. 195, 14547 Beelitz.
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