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Teilnehmende einer Kundgebung in Berlin halten ein Plakat mit der Aufschrift: "Rassistische Polizeigewalt stoppen".
© Christoph Soeder/dpa

Kriminologe über Polizeigewalt: "Nicht nur Frage von schwarzen Schafen, sondern strukturelles Problem"

Polizeigewalt ist laut dem Kriminologen Tobias Singelnstein kein Einzelfall in Deutschland. Er plädiert dafür, Rassismus und Polizeigewalt als zwei getrennte Probleme zu betrachten.

Auch in Deutschland ist Polizeigewalt nach Überzeugung des Kriminologen Tobias Singelnstein kein Einzelfall. Die Polizei sei in bestimmten Situationen durchaus befugt, Gewalt einzusetzen. Das mache sie jeden Tag hundertfach. „Und ich würde sagen, in den meisten Fällen auch im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse“, sagte Singelnstein, der Deutschen Presse-Agentur. 

Der Professor hat zu dem Thema geforscht. „Aber es wäre extrem verwunderlich, wenn es dabei nicht auch zu Fehlern, Grenzüberschreitungen und Missbrauch kommen würde. Und deshalb ist es nicht nur eine Frage von schwarzen Schafen und von Einzelfällen, sondern ein strukturelles Problem der Polizeiarbeit.“

Statistisch wird das nicht systematisch erfasst. Es gebe durchaus Länder, in denen das so sei, so der Kriminologe an der Universität Bochum. An so etwas fehle es in Deutschland vollkommen

„Und auch bei rechtswidriger Gewaltausübung haben wir nur einen sehr unvollständigen Einblick. Da gibt es etwa die Polizeiliche Kriminalstatistik, wir haben auch eine Auswertung in der Staatsanwaltschaftsstatistik, in der spezifisch Strafverfahren gegen Polizeibeamte wegen rechtswidriger Gewaltausübung erfasst werden.“ Aber das decke nicht das Dunkelfeld ab. „Der Großteil der Fälle taucht in diesen Statistiken gar nicht auf.“

Aus Singelnsteins Sicht sind in der öffentlichen Diskussion der vergangenen Tage Polizeigewalt und Rassismus stark miteinander vermengt worden. „Ich glaube, dass es hilfreich ist, Rassismus und rechtswidrige Gewaltausübung getrennt zu betrachten, es sind unterschiedliche Probleme“, sagte der Wissenschaftler. „Meiner Einschätzung nach sind sie auch wesentlich weniger eng miteinander verknüpft, als es in den USA der Fall ist.“

Einige Beamten hätten verfestigte rassistische Einstellungen

Ein Problem sei sicher, dass es eine Gruppe von Beamten gebe, die verfestigte rassistische Einstellungen haben. „Wir haben nur spärliche empirische Untersuchungen dazu. Eine aus den 90er Jahren zu einer Polizeidirektion zeigt, dass es dort etwa 15 Prozent der Beamten betrifft. Die wenigen vorliegenden Untersuchungen zu rechtsextremen Einstellungen bei der Polizei deuten in eine ähnliche Richtung.“ Inwieweit sich das bei der Gewaltausübung niederschlage, darüber sei aber ganz wenig bekannt.

Keine neuen Probleme

„Ich glaube, dass es keine neuen Probleme sind, sondern solche, die es schon immer gibt und die auch nicht unbedingt schlimmer, sondern an manchen Stellen vielleicht sogar besser geworden sind“, sagte Singelnstein. Über rechtswidrige Gewaltausübung gebe es schon seit etwa 20 Jahren eine intensive öffentliche Debatte, die sich auch kritisch mit der Polizei auseinandersetze.

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„Mit dem Rassismus würde ich es etwas anders sehen. Das ist ein Thema, das in der Breite der Öffentlichkeit jetzt erst langsam ankommt, weil der Blick in die USA geht und eine öffentliche Debatte entsteht, sich Betroffene zu Wort melden, die sagen, das ist auch hier ein Thema. Dadurch gerät das Thema stärker in den Fokus.“

Der gewaltsame Mord des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz am 25. Mai in den USA hat international eine Debatte über Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst. Am vergangenen Samstag waren nach Polizeiangaben 15 000 Menschen aus Protest gegen Rassismus zum Alex gekommen. Dort ist für den 27. Juni erneut eine größere Demonstration gegen Rassismus geplant. (dpa)

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