Debatte um Polizeigewalt bei Demo: Linke kritisiert Vorgehen der Berliner Polizei
Nach der Antirassismusdemonstration am Samstag kam es nach Polizeiangaben zu einem Gewaltausbruch. Doch auch das Verhalten der Einsatzkräfte wird kritisiert.
Der Einsatz der Berliner Polizei nach der Antirassismusdemonstration am Samstag am Alexanderplatz hat die Debatte über Polizeigewalt befeuert. In den sozialen Medien kursieren mehrere Videos von Festnahmen. Der Polizei wird dabei von führenden Berliner Linke-Politikern unverhältnismäßig hartes Vorgehen vorgeworfen – und indirekt sogar Rassismus, weil auch Schwarze festgenommen wurden.
Linke-Landeschefin Katina Schubert twitterte: „Ist die Polizei Berlin von allen guten Geistern verlassen? Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Haben sie nicht mitbekommen, warum Millionen von Menschen weltweit auf die Straße gehen? Gegen #polizeigewalt #Rassismus.“ Die Vizechefin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Regina Kittler erklärte: „Die beteiligten Polizisten sind eindeutig identifizierbar. Das muss Folgen haben!“ Linken-Innenexperte Niklas Schrader erklärte, die Vorfälle müssten aufgeklärt werden.
Nach der friedlichen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz war es nach Angaben der Polizei zu einem Gewaltausbruch zwischen dem Bahnhof Alexanderplatz und dem Berolinahaus gekommen. Mehrere hundert Personen hätten sich gesammelt, dabei seien von der Menschenmenge auch Polizisten eingekesselt worden.
Die Lage eskalierte, als ein Mann wegen Sachbeschädigung eines Einsatzfahrzeuges festgenommen worden sei. Der hatte den Wagen mit dem Spruch „ACAB“ beschmiert. Der Spruch bedeutet „All Cops als Bastards“. Nach der Festnahme seien die Beamten bedrängt und mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Auch ein freier Pressefotograf sei durch einen Flaschenwurf am Kopf verletzt worden und musste ins Krankenhaus gebracht werden.
Stumpfe Provokationen der Polizei?
Nach Angaben der Polizei sind Platzverweise erteilt und die Personen zum Verlassen des Platzes aufgefordert worden. Eine Polizeisprecherin erklärte, die bevorstehenden Maßnahmen seien mehrfach über Lautsprecher angekündigt worden. „Jeder hatte die Möglichkeit, diesen Bereich zu verlassen und sich den Maßnahmen zu entziehen“, sagte sie. „Die, die nicht gegangen sind, sind in die polizeilichen Maßnahme geraten.“
Augenzeugen berichten von einer aggressiven Stimmung. „Ich war mehrere Stunden da. Nachdem die Demo vorbei war, gab es wirklich etliche stumpfe Provokation gegen die Polizei, die kaum darauf reagiert hat – Beschimpfen, Schubsen, im Weg stehen“, berichtete ein erfahrener Beobachter dem Tagesspiegel. Er habe auch mehrfach gesehen, wie sich Menschen auf den Boden geworfen und laut „Hilfe Polizeigewalt“ gerufen hätten.
Auf den Videos ist zu sehen, wie Beamte von der Menge massiv bedrängt werden, aber auch wie die Polizei gezielt Personen aus der Menge holt und festnimmt. Vor allem ein Video löste massive Kritik der Linken-Politikern aus. Es zeigt, wie Beamte zwei Männer aus dem Bereich am Bahnhof Alexanderplatz abdrängen wollen. Der Mann, ein Schwarzer, wehrte sich, schubste den Beamten mehrfach und begab sich in Kampfstellung.
Die Polizei will die Vorwürfe prüfen
Der Polizist wiederum versuchte den Mann deshalb zu Boden zu bringen. Doch der Mann wehrte sich auch am Boden liegend weiter massiv gegen die Festnahme. Drei Beamte waren nötig, um den Mann am Boden zu halten, zwei fielen bei der Festnahme selbst hin. Mehrfach schlugen die Beamten auf den Mann ein. Hinzu kommt, dass ein weiterer Mann sich in das Gerangel gemischt hat, also in die Polizeimaßnahme eingreifen wollte. Er wurde ebenfalls abgeführt.
Strittig ist, ob ein Polizeihundeführer den Mann gegen den Kopf getreten hat. Ein weiteres Video aus einer anderen Perspektive untermauert den Vorwurf nicht. Vielmehr geht der Beamte mit dem Hund zwischen den Beinen in das Gerangel und wird selbst von dem Mann zu Fall gebracht.
Offiziell will sich die Polizei zu dem Vorgang nicht äußern: „Wir prüfen das“, sagte ein Sprecher. Zugleich hieß es aus der Polizei, bei einer Widerstandshandlung müssten die Beamten einschreiten. Wenn sich ein Verdächtiger gegen eine Festnahme wehrt, die Widerstandshandlung anhalte, werde der Widerstand mit Zwang und Gewaltanwendung gebrochen, auch mit Schlägen. Dies sei legitim. Hinzu komme die unsichere Lage drumherum.
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, wies die Kritik der Linke-Politiker zurück. „Wir bewerten Polizeimaßnahmen grundsätzlich nicht anhand einzelner Videosequenzen, die selten den kompletten Einsatz zeigen. Polizisten sind gesetzlich dazu legitimiert, Gewalt anzuwenden und das sieht leider in den seltensten Fällen schön aus", sagte Jendro dem Tagesspiegel.
"Natürlich passt eine solche Szene genau zu dem, was man derzeit mit aller Macht zu konstruieren versucht, aber unsere Polizei ist nicht mit der US-amerikanischen zu vergleichen", erklärte der GdP-Sprecher. "Wir wissen momentan auch nicht genau, was diesen Bildern vorausgegangen ist. Aber in unserem Rechtsstaat kann man sicher sein, dass die Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.“
Schubsereien und Unmutsbekundungen auch am Strausberger Platz
Allein bei den Auseinandersetzungen nach der Antirassismusdemonstration gab es laut Polizei 72 Festnahmen, 28 Polizisten seien bei diesem Einsatz leicht verletzt worden, drei von ihnen mussten nach ambulanter Behandlung den Dienst abtreten. Bei allen Demonstrationen an diesem Tag zählte die Polizei insgesamt 93 Festnahmen wegen verschiedener Vorwürfe: Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, versuchte Gefangenenbefreiung, Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz sowie Hausfriedensbruch.
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Festnahmen gab es auch am Strausberger Platz. Dort wollten Demonstranten zum Alexanderplatz ziehen, die Polizei verweigerte dies, weil der Alexanderplatz noch zu voll war. Es soll „Schubsereien und Unmutsbekundungen“ gegeben haben, daher seien einzelne Teilnehmer festgenommen worden.
Beobachter sprechen von 45.000 Teilnehmern
An der Demonstration auf dem Alexanderplatz hatten laut Polizei 15.000 Menschen weitgehend friedlich gegen Rassismus demonstriert und an den Afroamerikaner George Floyd erinnert, der bei einem brutalen Polizeieinsatz in der US-Großstadt Minneapolis ums Leben gekommen war. Beobachter gehen von 45.000 Teilnehmern aus. Die Kundgebung auf dem Alexanderplatz sei störungsfrei verlaufen, aber wegen der großen Menschenmenge vorzeitig beendet worden, erklärte die Polizei.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte die Angriffe auf Polizisten. Wer friedlich gegen Rassismus demonstriere, „verdient unsere absolute Rückendeckung“, sagte GdP-Sprecher Benjamin Jendro. „Wer aber auf Basis der grauenhaften Ereignisse in den USA in Berlin „F*** the police“-Plakate und Vergleichbares vor Menschen hochhält, die auch heute wieder Grundrechte bestmöglich geschützt haben, diese dann auch noch mit Flaschen und Steinen bewirft, missbraucht die Versammlungsfreiheit“, erklärte er. Die verletzten Beamten seien auch „Menschen, die Freunde, Familien und Kinder haben“.