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Federn lassen. „Kurtchen Rotschnabel“ ist unbeschadet aus dem Süden zurückgekehrt.
© picture alliance / Patrick Pleul

Brandenburgs schräge Vögel: Nicht nur die Trockenheit macht den Tieren zu schaffen

Die Brandenburger lieben ihre Störche, auch wenn manche eine Macke haben. Doch es gibt immer weniger von ihnen.

Storch „Kurtchen Rotschnabel“ ist schon auf seinem Horst in Bad Freienwalde gelandet. „Rüpel Ronny“ wird hingegen wohl erst im April nach Glambeck im Löwenberger Land zurückkommen. „Wenn er es im vergangenen Herbst bis Afrika geschafft hat, dürfte er jetzt gerade jede Menge Heuschrecken fressen“, sagt ein Einwohner des 120-Seelen-Dorfes, das „Rüpel Ronny“ jedes Jahr aufmischt, indem er mit Vorliebe Autodächer und Fensterscheiben attackiert.

„Paulchen“ hingegen ist gar nicht erst nach Süden gezogen. Wie jedes Jahr hat er den Winter in Körzin im Landkreis Potsdam-Mittelmark verbracht. „Der ist das eben so gewohnt“, sagt die Inhaberin der gemütlichen Gaststätte „Café zum Kirschbaum“, Marianne Lehmann. „Einmal soll er weggeflogen sein, allerdings Richtung Norden, nach Hiddensee. Seitdem hält er Körzin die Treue. Er kennt hier ja auch jeden.“

Kein Zweifel, die Brandenburger lieben ihre Störche. Wahrscheinlich ist das auch gut so, denn die großen Vögel haben es immer schwerer, zu überleben. In den vergangenen Jahren ist ihre Zahl in Brandenburg kontinuierlich zurückgegangen. Vor allem die Trockenheit im Land macht den Tieren zu schaffen. So stecken dadurch etwa Regenwürmer so tief in der Erde, dass auch die langen Schnäbel sie nicht erreichen.

Durch die Monokulturen und den Einsatz von Pestiziden gibt es auf und an den Feldern kaum noch Mäuse, Insekten und Amphibien. „Wenn die Störche merken, dass das Futter nicht reicht, brüten sie gar nicht erst“, sagt Bernd Ludwig, der die Landesarbeitsgruppe Weißstorchschutz beim Nabu Brandenburg leitet: „2019 hatte jedes Horstpaar durchschnittlich nur 1,7 Junge. Das reicht einfach nicht aus. Zumal die Zahl der Brutpaare von 1400 im Jahr 2014 auf 1149 im vergangenen Jahr gesunken ist.“ Er befürchte, dass auch 2020 ein trockener Sommer drohe. „Wir haben bisher noch nicht genug Regen bekommen, um die Defizite ganz auszugleichen. Und schon ab April könnte es wieder problematisch werden.“

Heuschreckenplage in Afrika? Nicht für die Störche

Dann könne man auch erst sagen, wie viele der brandenburgischen Störche den langen Flug in den Süden und wieder zurück überlebt haben, sagt Ludwig. Noch sind die meisten von ihnen sogenannte Ostzieher, weil sie über Rumänien, Bulgarien, der Türkei und den Libanon nach Afrika fliegen. Da viele von ihnen mit Sendern ausgestattet seien, wisse man, dass sie sich jetzt in Ländern wie dem Tschad, Äthiopien, Kenia, Uganda oder Somalia aufhielten, die gerade von einer Heuschreckenplage heimgesucht werden: für die Störche freilich ein gefundenes Fressen. Allerdings drohen ihnen auf dem Heimweg weitere Gefahren. Jedes Jahr werden viele im Libanon abgeschossen.

Die Westzieher, zu denen „Kurtchen Rotschnabel“ gehört, haben es einfacher. Jedenfalls, wenn sie nur bis Spanien fliegen. „Wenn in Andalusien oder Extrematura die großen Reisfelder mit einer Art Mähdrescher abgeerntet werden, laufen Störche oder Reiher neben den Maschinen her“, sagt Bernd Ludwig: „Ich habe selbst schon beobachtet, wie sie sich über die Amerikanischen Sumpfkrebse hermachen, die im Reisfeld leben.“

Auf Müllkippen schlucken Störche oft Gummi statt Regenwürmer

Leider würden sich aber Störche und andere Vögel auch auf den riesigen Müllkippen tummeln, die in Spanien noch immer nicht abgedeckt werden müssen, erzählt Ludwig. Oft schlucken sie dann Gummis statt Regenwürmer, aber auch zahlreiche andere Plastikgegenstände, sodass sie sterben. Manchmal fallen sie auch in Farbtöpfe: so machte vor Jahren ein blauer Storch in Biegen im Landkreis Oder-Spree von sich reden, auch einen roten Storch soll es schon gegeben haben.

Den immer weniger werdenden Westziehern, die versuchen, bis nach Afrika zu gelangen, droht über Malta das gleiche Schicksal wie den Ostziehern über dem Libanon, sagt Ludwig: „Die schießen dort einfach auf alles, obwohl Malta zur Europäischen Union gehört und die EU-Vogelschutzrichtlinien auch dort gelten. Und das aus reiner Schießlust, der neben den Störchen auch Greifvögel und sogar Turteltauben zum Opfer fallen.“

Schreiadler Sigmar hatte nicht so viel Glück. 2007 löste er fast eine diplomatische Krise aus, als er über Malta angeschossen wurde.
Schreiadler Sigmar hatte nicht so viel Glück. 2007 löste er fast eine diplomatische Krise aus, als er über Malta angeschossen wurde.
© Patrick Pleul, Arno Burgi/dpa

Tatsächlich hatte es im Jahr 2007 fast diplomatische Verwicklungen zwischen Malta und Brandenburg gegeben, weil ein vom Aussterben bedrohter und im märkischen Artenschutzprogramm aufgezogener junger Schreiadler namens Sigmar im südöstlichen Malta angeschossen wurde. Zwar wurde er auf Initiative eines „Komitees gegen Vogelmord“ in eine Pflegestation gebracht und später mit „Air Malta“ nach Berlin zurückgeflogen, aber auch hier konnte man ihm nicht helfen. Sigmar musste eingeschläfert werden.

Viele Störche sind derzeit wieder unterwegs nach Norden. Während „Kurtchen“ und „Paulchen“ schon die heimische Gastfreundschaft genießen, dürfte es bei „Rüpel Ronny“ noch dauern. „Ich hoffe aber sehr, dass er wiederkommt“, sagt ein Einwohner von Glambeck: „Ich habe jahrelang in Großstädten gelebt. Aber wenn ich hier auf meiner Terrasse sitze und Ronny läuft stolz durch meinen Garten – das ist einfach nur wunderbar.“ Dass der Storch ab und an mal auf eine Fensterscheibe losgehe, störe ihn nicht: „Der hat eben einfach eine Macke.“

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