Wohnungsmangel: In Berlin wird gekauft - aber nicht gebaut
Für 78 Millionen Euro haben sich die Bezirke Mietshäuser per Vorkaufsrecht gesichert. Die Maßnahme ist umstritten, weil dadurch kein neuer Wohnraum entsteht.
Billig sind Wohnungen in Berlin nicht. Diese Erfahrung macht auch die Stadt selbst. Knapp 78 Millionen Euro hat sich das Land Berlin den Kampf gegen die Spekulation mit Miethäusern bisher kosten lassen: 18 Häuser mit zusammen 420 Wohnungen erwarb der Senat mit diesem Geld durch Ausübung seines „Vorkaufsrechts“ – und vereitelte damit den Verkauf an einen privaten Immobilieninvestor. Die weit überwiegende Zahl von Wohnungen kaufte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein.
Allerdings durchkreuzte auch Neukölln in vier Fällen den privaten Verkauf von Wohnhäusern und übernahm dadurch mehr als 90 Wohnungen in öffentliches Eigentum. Zweimal übte Tempelhof-Schöneberg das Vorkaufsrecht aus, einmal Pankow. Weil das Vorkaufsrecht nur in Milieuschutzgebieten ausgeübt werden kann, müssen Charlottenburg- Wilmersdorf und Reinickendorf ganz auf das Instrument verzichten. Freiwillig verzichteten bisher Lichtenberg, Mitte und Treptow-Köpenick auf diese „Kommunalisierung“ privaten Wohneigentums.
Dies geht aus einer Anfrage des wirtschaftspolitischen Sprechers der CDU-Fraktion Christian Gräff an den Senat hervor. „Für 78 Millionen Euro hätte man sehr viele Wohnungen, auch in der Innenstadt, neu bauen können“, sagt Gräff. Das Vorkaufsrecht dürfe „nicht nur politisch und unüberlegt eingesetzt werden“. Der Erwerb von Wohnhäusern müsse auch „unter Betrachtung der Wirtschaftlichkeit kontrolliert werden“.
Massiver Rückkauf von Wohnungen
Den Startschuss zum massiven Rückkauf von Wohnungen in Milieuschutzgebieten hatte der vor zwei Jahren ins Amt gekommene Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) gegeben. Er hatte die gesetzliche Grundlage in den Verwaltungsverordnungen wiederentdeckt und angewandt – 243 Wohnungen hat der Bezirk laut Senatsaufstellung bisher gekauft.
Die Maßnahme ist dennoch umstritten, weil dadurch kein neuer Wohnraum entsteht, es aber daran in Berlin am meisten fehlt. Schmidt verteidigt dennoch die wiederholten Eingriffe in den Markt damit, dass so bezahlbarer Wohnraum gesichert werde, der nach Verkäufen dagegen oft durch nachfolgende Sanierungsarbeiten mit Kostenumlage auf die Mieten, verloren gehe. Außerdem schrecke diese Politik ab: Seit der Anwendung des Vorkaufsrechts sei die Zahl der Verkäufe von Miethäusern in Friedrichshain-Kreuzberg um 40 Prozent gesunken. Ebenfalls positiv zu Buche schlage die Vielzahl von „Abwendungsvereinbarungen“ zwischen dem Bezirk und Käufern, die sich damit zu günstigen Mieten und maßvollen Sanierungen verpflichteten, um einen Vorkauf durch den Bezirk zu verhindern.
Bauplatz auf dem Discounter
Eine ganz andere Politik verfolgt dagegen Pankow: Per Vorkaufsrecht hat der Bezirk nur 20 Wohnungen in der Belforter Straße gesichert, dafür aber Bauflächen für mehr als 15000 Wohnungen ausgewiesen. Kein Bezirk hat sich gegenüber dem Senat verpflichtet, bis zum Jahr 2021 mehr Wohnungen zu bauen – fast 100.000 Wohnungen sollen stadtweit neu entstehen. Friedrichshain-Kreuzberg wird etwa halb so viel bauen wie Pankow, ähnlich wie Charlottenburg-Wilmersdorf, beide zählen aber zu den bereits besonders dicht bebauten Bezirken.
Auf der Suche nach Bauplätzen wurden – wie berichtet – auch die zumeist eingeschossigen Discounter und Supermärkte entdeckt. Gutachter haben nach Senatsangaben an „rund 330 Standorten“ ein Potenzial von „14 000 bis 36 000 Wohneinheiten“ ermittelt. Dies geht aus einer Anfrage von FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja an den Senat hervor. Czaja kritisiert den Senat dafür, diese Chance für den Wohnungsneubau nicht zu ergreifen und in Kooperation mit den Marktbetreibern kurze Genehmigungswege zu suchen. In der Anfrage wies der Senat aber auch darauf hin, dass „die Entscheidung zur Nachverdichtung vorhandener Lebensmittelmarkt- Standorte primär durch die Filialunternehmen oder Eigentümer getroffen wird“.
Zuletzt hatte der Discounter Aldi ein Programm zum Bau von Mietwohnungen in Berlin für 30 Filialen vorgestellt. In Neukölln und Lichtenberg laufen bereits solche Vorhaben.
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