Baupläne für die alte Mitte: Neue Wüste Berlin
Dichte Bebauung für das Areal zwischen Fernsehturm und Spree? Grauenhaft, sagen zwei alte DDR-Architekten. Vorgesehen waren stattdessen mal ein Park und Wasserläufe.
Im Moment sieht es auf dem Gelände aus wie bei Hempels: Wirrwarr. Baukräne, Gruben, Zäune, Sandberge, Raupenbagger. Der kleine Park zwischen Neptunbrunnen und Spree ist zur urbanen Rumpelkammer geworden. Über die Zukunft des Geländes zwischen Fernsehturm und Spree möchten zwei der wichtigsten Architekten von damals, als der „Festraum der Stadt“ konzipiert wurde, am liebsten gar nicht sprechen. Vor allem Pläne, das Areal rund um die Marienkirche zu bebauen, um Uralt-Berlin zurückzuholen und die späte Moderne aus DDR-Zeiten vergessen zu machen, regen sie auf.
Man hört förmlich, wie Architekt Manfred Prasser am Telefon in seinem Haus nahe Wensickendorf tief Luft holt und losschäumt über die Ignoranz, nicht gefragt oder zu Planungssitzungen nicht als wichtiger Zeitzeuge eingeladen zu werden. Da würde er es ihnen aber geben, den Zerstörern von Arbeit und Ideen. Die werden mit dem Park womöglich ebenso umgehen wie einst mit dem Großen Saal im Palast der Republik, den er entworfen und gebaut hatte. Für ihn sind „die Rheinländer“ die neue Besatzungsmacht in Berlin, da müsse man sich doch nur manch monotone Neu- und Ministeriumsbauten angucken. Ähnliches befürchtet er für die neue Mitte Berlins: „Du kannst an dieser Stelle doch nicht das Vorkriegsberlin zurückholen. Da müsste man zum Beispiel die alte Markthalle wieder aufbauen und den Fernsehturm abreißen. Was für ein Quatsch!“
Der Bau der U-Bahnlinie 5 hat die vier Hektar Grün zu großen Teilen zur Wüstenei gemacht. Und niemand kann sagen, wie es um dieses Stückchen Hyde-Park im Zentrum von Berlin bestellt sein wird, wenn (frühestens in drei Jahren) die U-Bahn zwischen Alex und Hauptbahnhof unter dieser grünen Wiese rollt und dabei die Spree unterquert. Gerade befasste sich das TU-Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik auf einem Symposium mit Vergangenheit und Gegenwart des Freiraumes, der unter Architekt Hermann Henselmanns „Turm der Signale“ in den siebziger Jahren als Bürgerforum entstanden war. Axel Zutz, einer der Initiatoren, sagte dabei: „Bebauung käme einem zweiten Palast-Abriss gleich. Sie wäre eine nicht hinnehmbare Privatisierung öffentlichen Eigentums, dafür gibt es kein Mandat“.
Die einen wollen eine grüne Oase, die anderen neue Wohnungen
Es existieren zwei Interessengruppen: Die eine möchte das unter Denkmalschutz stehende Ensemble als Erholungsort und Naturoase erhalten, die andere hat sie als Wohnstandort ins Visier genommen. „Mehr Beton!“ ruft der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß in die Runde und begründet eine kleinteilige Wiederauferstehung des alten Marienviertels mit der aktuellen Forderung nach mehr Wohnraum für die expandierende Stadt. Muss das aber gerade dort sein? Was haben sich damals die Architekten gedacht und gewollt, als sie anstelle von den im Krieg zerstörten Mietshäusern, Gassen und Postbauten einen „Park an der Spree“ anlegten, aus dem 1986 das Marx-Engels-Forum samt Denkmal wurde? Zwei Entwurfsplaner von damals, Köpfe „einer verschworenen Truppe“, sind auch heute noch mit ihren „Kindern“ eng verbunden.
Der Professor für Landschaftsarchitektur Hubert Matthes (84) und der Architekt Manfred Prasser (80). „Der Alex als Stadtplatz und Ort der Begegnung sollte der Auftakt zum Park am Fernsehturm/Rathaus sein“, sagt Hubert Matthes, der heute in Biesdorf lebt. Der von den Architekten an seine jetzige Stelle platzierte Alex-Brunnen kündigte bereits das in diesem Park dominierende Element Wasser an. Der Besucher soll quasi von hier aus durch die offene Bahnhofshalle über die Wasserkaskaden am Fernsehturm zum Neptunbrunnen bis zum Spreeufer geführt werden. Mehr noch: Matthes wollte das Gelände zwischen Spandauer Straße und Spreeufer „großräumig ausmulden“, also absenken, um von der Fernsehturm-Wasserterrasse bereits im Herabschreiten die Spree als Fluss optisch zu erleben. Dieser Plan blieb Papier, stattdessen wurde, von ihm an dieser Stelle so nicht gewollt, das Marx-Engels-Denkmal aufgestellt. „Eine unmögliche unlogische Hintereinanderreihung: Fernsehturm – Neptunbrunnen – Marx-Engels-Denkmal – Palast der Republik“, die leider die geplante Sichtachse zum Fluss verstellte.
Architekt Manfred Prasser war nicht wenig erstaunt, als in einer Sitzung beim damaligen Berliner SED-Chef Paul Verner die Idee aufkam, die Marienkirche abzureißen, da sie einer riesigen ellipsenförmigen Fußumbauung des Fernsehturms im Wege gestanden hätte. „Oben baust du den Sozialismus, unten eine Wagenburg, das geht nicht. Da muss etwas Anderes hin!“ So entstanden die spitzen Beton-Flügel an der TV-Turm-Fußumbauung, die ein wenig an die dreieckigen Deckenteile im Großen Saal des Palasts der Republik erinnern. Die Grundidee für das grüne Platz-Projekt war ganz einfach: rechts und links, an der Rathaus- und Karl-Liebknecht-Straße bauen wir Häuser mit Geschäften und Wohnungen, die den Erholungspark in der Mitte begrenzen. Eine Schlossgartenanlage ohne Schloss.
Die Rentnerin Christa Otten wohnt im zehnten Stock in einem der Häuser an der Rathausstraße, durch die sich jetzt die Touristen schieben, weil sie nicht über Sandberge klettern möchten. „Du denkst, nanu, schon wieder eine Demo“, sagt die Anwohnerin, der, wie den meisten Mietern dort, das Grün vorm Haus am Herzen liegt. „Wir wollen Büsche und Bäumchen behalten“, war der Tenor auf eine Befragung über das Wohnen in der Rathausstraße. „Det is mein Berlin, möchte ich singen, wenn ich morgens aus dem Fenster gucke. Beton und Verkehrslärm braucht an dieser beschaulichen Stelle mitten in der Stadt wirklich niemand“, sagt Christa Otten.
Das scheint ganz im Sinne des Erfinders. Der Professor für Landschaftsarchitektur Hubert Matthes erinnert sich, welche Ideen der Freiraumgestaltung zugrunde lagen. „Während die Dreiecksbeete im mittleren Haupt-Gehbereich zwischen Fontänenterrassen und Neptunbrunnen dem Passanten starke Farbakzente (mit Rosen- bzw. zweimaligen Wechselbepflanzungen pro Jahr) vermitteln, waren als Kontrast hierzu die seitlich anschließenden Grünquartiere geplant – zum individuellen Verweilen und Sich-Zurückziehen in der Betrachtung der Einzelpflanze des Gehölz- und Blütenstaudenflores im jahreszeitlichen Wechsel“. Der Neptunbrunnen sei an seinem jetzigen Platz unerlässlich. „Dem kürzlich von der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher geäußerten Vorschlag, ihn nach Fertigstellung der Schloss-Attrappe am derzeitigen Standort zu belassen, kann ich nur zustimmen, stand doch dieses Kunstwerk kürzere Zeit dort als am jetzigen Standort, wo es im Bewusstsein der Berliner zum städtebaulichen Ensemble gehört.“
Lothar Heinke