Grünfläche muss dem Schloss weichen: Ab heute verschwindet der Rasen am Schlossplatz
Die Grünfläche am Spreeufer war eine Zwischennutzung. Jetzt wird sie beseitigt, um Platz für das Stadtschloss zu schaffen. Ein Abschiedsbesuch zeigt ihren Reiz.
Wären sie nicht aus Bronze, würden Marx und Engels sich vielleicht an den Kopf fassen bei diesem Anblick. Seit ihrem U-Bahn-baustellenbedingten Umzug vor gut zwei Jahren blicken sie über die Spree direkt auf den Rasen, mit dem die Narbe des abgerissenen Palastes der Republik im Juli 2009 zugepflastert worden war. Ein Zwischennutzungsrollrasen samt hölzernen Bretterstegen und Sitzstufen, um die Zeit bis zum Bau des Stadtschlossklons zu überbrücken. Jetzt ist es so weit: Von diesem Montag an soll das Grün verschwinden. Zeit für einen Abschiedsbesuch.
„Fahrrad fahren verboten!“, steht oben an der steilen Holztreppe, die von der Liebknecht-Brücke etwa vier Meter abwärts führt zur Wasserseite der Oase. Weil die Fläche zum Ufer hin abfällt, ist man der Spree so nahe wie sonst selten sonst. Erstaunlich sauber sieht sie aus in diesen Tagen, in denen der Niesel sie verdünnt und kein Dampfer sie verquirlt. Man kann sich ans Geländer lümmeln, sofern man einen freien Platz zwischen den stattlichen Würsten der Möwen findet, und den Blick schweifen lassen über Dom, Marienkirche, Fernsehturm, Rotes Rathaus, Musikhochschule, Staatsratsgebäude, Auswärtiges Amt, Friedrichswerdersche Kirche, Hedwigskathedrale und Humboldt-Box. Gut 700 Jahre Baugeschichte in einem Panorama wie bei Asisi – aber aus einer Perspektive, als stünde man in einem Theatersaal ganz unten, direkt vor der Bühne.
Von hier unten sehen die senkrecht ins Wintergrau ragenden Rammen umso bedrohlicher aus, die aufmarschiert sind wie die Rächer der Hohenzollern zur Rückeroberung des Schlossplatzes. Man würde gern jemanden fragen, ob er die Grünfläche hier vermisst, aber es ist gar niemand hier an diesem Wochenende. Der Spurenlage nach war das zu Silvester anders, aber jetzt wird nur der Steg am oberen, landseitigen Rand der Fläche frequentiert – als Transitstrecke. Zwei ältere Leute aus Nürnberg berichten, sie seien bei ihren Besuchen regelmäßig hier unterwegs auf dem Weg zwischen Hotel und wahrem Leben. Aber hiergeblieben seien sie nie. Mehr als das Ende der für 1,4 Millionen Euro angelegten Grünfläche sorge sie, wo das Geld fürs Schloss herkommen solle. Dann fällt ihnen der Länderfinanzausgleich ein. Mit einem Seufzen ziehen sie, joa mei, weiter Richtung Lustgarten.
Eine junge Frau, die im Nikolaiviertel wohnt, weiß von vielen Picknickern an schönen Sommertagen zu berichten, zu denen sie selbst aber nie gehört habe. Sie sei stets weiter zum Monbijoupark gezogen. „Eigentlich dumm, wenn ich mir das jetzt so überlege.“ Drei Jahre waren wohl zu kurz für das Gewohnheitstier, das der Mensch – zumal als Einheimischer – nun einmal ist.
Der obere Steg bleibe während der Bauarbeiten fürs Schloss „weitgehend“ erhalten, teilt die Stadtentwicklungsverwaltung mit. Im Mai soll dann der Grundstein für das Humboldt-Forum gelegt werden. Nicht nur Marx und Engels werden die Sache im Auge behalten.
Stefan Jacobs