Wohnungspolitik in Berlin: „Neubau allein wird die Probleme nicht lösen”
Mit einem wirksamen Mietpreisdeckel wäre der Politik der Mietensteigerung der Immobilienfirmen beizukommen. Für Mieter wäre das ein Gewinn. Ein Gastbeitrag.
Die Mietpreise explodieren, weil zu wenig gebaut wird – so ist die landläufige Meinung. Wenn die Bevölkerung schneller wächst als neue Wohnungen gebaut werden, die Nachfrage also größer ist als das Angebot, dann steigen halt die Preise. Die Antwort auf galoppierenden Mietpreisanstieg sei deshalb massiver Neubau, um das Wohnungsangebot zu erhöhen. Dann kämen Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht und Wohnen sei wieder erschwinglich.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Neubau ist dringend notwendig – und zwar kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbau zu Mieten, die sich Menschen mit einem normalen Einkommen leisten können. Aber das allein wird die Probleme auf dem Wohnungsmarkt nicht lösen.
Wenn massiver Neubau automatisch zu einem Sinken der Immobilienpreise führen würde, ließe sich nicht erklären, weshalb sich die Immobilienpreise in Irland von 1997 bis 2007 verdoppelten und in Spanien innerhalb von sechs Jahren ein Anstieg um 50 Prozent zu verzeichnen war, obwohl in beiden Ländern ein Bauboom mit massivem Neubau stattfand.
Die Erklärung für dieses Phänomen liegt darin, dass der Wohnungs- und Immobilienmarkt kein normaler Markt ist. Denn anders als die Produktion von Schuhen oder Autos lässt sich städtischer Grund und Boden nicht beliebig vermehren und reproduzieren. Zudem sind Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt nicht nur Menschen, die eine Wohnung als Unterkunft und Ort zum Leben suchen.
Für die Preisbildung viel entscheidender sind Akteure, die in Wohnungen als reine Finanzanlage investieren. Während "traditionelle" Wohnungseigentümer und Vermieter eine langfristige und substanzorientierte Bestandspolitik verfolgen, sind Wohnimmobilien für Finanzinvestoren eine Anlageform unter anderen, wie Aktien und Unternehmensbeteiligungen.
Investitionen in Immobilien nach der Finanzkrise
Insbesondere nach der Finanzkrise 2008/2009 und der langanhalten Niedrigzinspolitik mit einer Schwemme von Liquidität auf den internationalen Finanzmärkten haben Hedgefonds, Private Equity Fonds, Pensionsfonds, Staatsfonds und andere Finanzinvestoren massiv in Immobilien als "sicheren Hafen" mit einer einträglichen Rendite investiert. Dabei wird vor allem in den Kauf bereits bestehender Wohnungsbestände investiert, die Neubautätigkeit ist im Vergleich dazu gering.
Allein 2016 wurden in Berlin Immobilien im Wert von rund 16,2 Milliarden Euro verkauft und bei jeder Transaktion dreht sich das Preiskarussell immer schneller. Wurden 2012 noch Preise von ca. 1000 Euro pro Quadratmeter verlangt, haben sie sich mittlerweile verdoppelt oder gar verdreifacht.
Mit über 110.000 Wohnungen ist die Deutsche Wohnen der größte dieser finanzmarktgetriebenen Akteure auf dem Berliner Markt. Anders als die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bilanziert die Deutsche Wohnen als börsennotierte Aktiengesellschaft nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS und nicht nach dem Handelsgesetzbuch (HGB).
Während nach HGB der Wohnungsbestand zu Anschaffungs- und Herstellungskosten in die Bilanz eingeht, erfolgt eine Bewertung nach IFRS zum "fair value", zu aktuellen Marktpreisen. Jede spekulative Übertreibung auf einem überhitzten Wohnungsmarkt führt zu einem erhöhten Unternehmenswert. So konnte die Deutsche Wohnen im Zeitraum von 2012 bis 2017 einen Buchgewinn von 8 Mrd. Euro verzeichnen, während das Ergebnis aus der Bewirtschaftung der Immobilien "lediglich" 2,8 Mrd. Euro betrug. Im Ergebnis hat sich der Aktienwert in fünf Jahren nahezu verdreifacht.
Größte Mietsteigerungen durch Modernisierungen
Eine höhere Unternehmensbewertung schafft aber auch die Möglichkeit, höhere Kredite aufzunehmen. So stiegen von 2017 bis 2018 die Nettofinanzverbindlichkeiten von 6,88 Mrd. auf 8,74 Mrd. Euro. Der spekulative Kreislauf dreht sich weiter: Die erhöhte Nachfrage nach Immobilien als Finanzanlage führt zu einem Anstieg der Immobilienpreise, des "fair value". Der Bilanzwert des Immobilienportfolios erhöht sich und damit die Fähigkeit zur Aufnahme neuer Kredite. Damit kann wieder auf Einkaufstour gegangen werden. Die dadurch erhöhte Nachfrage nach Immobilien führt zu einem weiteren Preisanstieg.
Die erhöhten Buchwerte ergeben sich nicht aus den real erzielten Gewinnen aus der Bewirtschaftung der Immobilienbestände. Sie resultieren vielmehr aus erwarteten, künftig erzielbaren Renditen. Diese sind entweder durch die teure Weiterveräußerung von Immobilien oder Mieterhöhungen zu erzielen.
Da der Mietspiegel Mietsteigerungen begrenzt – weshalb der Konzern regelmäßig dagegen klagt – sind die größten Mietsteigerungen durch Modernisierungen zu realisieren. So heißt es auch im Geschäftsbericht 2015 der DW unverblümt, dass man "im Rahmen von Modernisierungen weitere bedeutende Wertpotenziale realisieren und damit eine hohe Rendite erwirtschaften könne." Die Mieten könnten damit um mindestens 31 Prozent erhöht werden, heißt es da.
Deutsche Wohnen und die anderen finanzmarktgetriebenen Immobilienunternehmen wie Vonovia, Akelius, ADO Properties u.a. tragen mit ihrem Geschäftsmodell nicht zur Lösung der Probleme auf dem Berliner Immobilienmarkt bei. Sie sind Bestandteil des Problems. Sie treiben die Immobilienpreise spekulativ in die Höhe und müssen eine Politik der Mietsteigerung betreiben, um der Überbewertung ihrer Immobilien Rechnung zu tragen. Deshalb trifft die Forderung nach einer Vergesellschaftung und Überführung dieser Konzerne in gemeinwirtschaftliche, nicht profitorientierte Formen auf breite Unterstützung in der Berliner Bevölkerung.
Ein wirksamer Mietpreisdeckel wie von der rot-rot-grünen Koalition geplant, wäre mit dem Geschäftsmodell dieser Immobilienkonzerne nicht vereinbar. Das ihrer Unternehmensbewertung zugrunde liegende Mieterhöhungspotential in der Zukunft wäre dann nicht realisierbar, Buchwerte müssten abgeschrieben werden. Das hieße Verluste für die Aktionäre, wäre aber gut für die Berliner Mieterinnen und Mieter.
Der Autor: Harald Wolf war von 2002 bis 2011 Bürgermeister von Berlin im Senat Wowereit II und III sowie Wirtschaftssenator. Er sitzt für Die Linke im Abgeordnetenhaus und ist zuständig für die Themen Verkehr und Energie.
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Harald Wolf