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Michael Müller (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister, fordert von der eigenen Partei einen Politikwechsel.
© Britta Pedersen/dpa

Berliner SPD: Nach dem Wahldebakel ist vor dem Parteitag

Die Berliner Genossen haben nach dem Wahlergebnis in Bayern einen schwierigen Parteitag vor sich. Der Gesprächsbedarf ist groß, die Antragsliste lang.

In Berlin regiert die SPD – noch. Aber der freie Fall, in dem sich die bayerischen Sozialdemokraten befinden, macht auch die Genossen in der Hauptstadt schwindelig. Und ratlos. Der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller grübelte angesichts des dramatisch schlechten Wahlergebnisses von 9,7 Prozent darüber, „wie schwierig die politischen Verhältnisse sind.“ Die eigentliche Frage sei, „wie wir wieder Vertrauen in das politische System aufbauen können“, sagte er im fernen Australien, wo er auf Dienstreise unterwegs ist.

Von der eigenen Partei forderte Müller einen Politikwechsel. Der Vertrauensbruch vor 15 Jahren, gemeint sind die Hartz IV-Gesetze, sei nicht mehr über einzelne Stellschrauben zu heilen. „Wir brauchen eine grundsätzliche Neuausrichtung des Sozialstaats.“ Da ist er sich einig mit dem Vize-Chef der Berliner Sozialdemokraten, Julian Zado. „Die SPD muss ihr Profil als Partei der Arbeitnehmer und des sozialen Ausgleichs schärfen“, sagte er dem Tagesspiegel. Wenn die Partei, wie in Bayern geschehen, die Großstädte an die Grünen verliere, „ist das eine Katastrophe“. Zado setzt seine Hoffnung auf die eigene Regierung in Berlin. „Hier müssen wir zeigen, wie sozialdemokratische Stadtpolitik funktioniert.“

Die SPD werde nur gewählt, „wenn wir unseren Markenkern erkennen lassen und Kompetenz beweisen“, assistiert Kevin Hönicke, ebenfalls Mitglied des SPD-Landesvorstands. Zweckoptimismus hält der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber allerdings nicht für angebracht. „Meine Partei verschwindet in Bayern in die Bedeutungslosigkeit. Eine Halbierung des letzten Wahlergebnisses ist ein deutliches Zeichen dafür, dass man keine wirkliche Alternative zu den anderen demokratischen Parteien darstellt.“ Das sieht der SPD-Fraktionschef Raed Saleh ähnlich. „Es ist bereits fünf nach zwölf.“

Nächsten Sonnabend ist SPD-Klausurtagung

Die Sozialdemokraten müssten prüfen, „ob sie die Menschen überhaupt noch erreichen“ und auch über Themen diskutieren, die bisher tabuisiert worden seien, fordert Saleh. Beispielsweise über Sicherheit und Ordnung oder über Heimat. „Klare Wahrheit und Kante zeigen“, das will auch der SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier. Den Berliner Sozialdemokraten bietet sich, neben dem täglichen Regierungshandeln, schon bald Gelegenheit, ihr Profil zu schärfen. Oder sich weiter zu zerlegen.

Am nächsten Sonnabend trifft sich der Berliner SPD-Landesvorstand zu einer Klausurtagung, die sicher noch unter dem Eindruck der desaströsen Bayernwahl stehen wird. „Wir müssen dort endlich über neue politische Strategien reden und nicht wieder in kleinkarierten Antragsdebatten stecken bleiben“, fordert ein führender Genosse. Denn auf der Vorstandsklausur soll auch der SPD-Landesparteitag vorbereitet werden, der am 16. und 17. November stattfindet. Der Gesprächsbedarf ist groß, die Kreis- und Ortsverbände haben über 300 Anträge eingereicht. „Es wird kein leichter Parteitag werden“, sagt SPD-Fraktionschef Saleh voraus. Ob von den Sozialdemokraten anschließend das Signal ausgeht: Wir haben jetzt einen klaren Kurs, ist nicht gewiss.

So haben es die Berliner Genossen bisher nicht geschafft, sich auf eine gemeinsame Linie zur „Urbanen Sicherheit“ zu einigen. Vor einem Jahr wurde das Thema auf einem SPD-Parteitag vertagt, auch um den Innensenator Andreas Geisel nicht mit allzu libertären Forderungen zu schädigen. Seit April wird parteiintern ein überarbeiteter Antrag diskutiert, aber die Genossen nahmen jetzt verärgert zur Kenntnis, dass der Text vom SPD-Fachausschuss „Innen- und Rechtspolitik“ mit dem Segen des Innensenators noch einmal stark korrigiert wurde.

Mindestlohn, soziale Sicherheit, Polizei- und Sicherheitspolitik

Das neue Papier enthält konkretere und teilweise auch härtere Forderungen zur Polizei- und Sicherheitspolitik in Berlin. Beispielsweise beim Umgang mit „arabischen Clans, Rockergruppen und reisenden Banden“ oder „weiteren Möglichkeiten der Informationsgewinnung und der Beweissicherung“. Einschließlich der „partiellen und temporären Einführung von Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten“. Ein starker und entschlossener Rechtsstaat, klare Regeln für alle, das ist der politische Tenor.

Weil momentan aber nicht klar ist, welcher Antrag denn nun Grundlage für den Parteitag ist, wird die Antragskommission des SPD-Vorstands aus allen vorliegenden Vorschlägen eine konsensfähige Fassung basteln. Ob das gelingt, gilt intern als offen. Der Genosse Geisel wäre schon froh, so kolportieren Parteifreunde, wenn es zu irgendeinem Beschluss käme, der seine Arbeit nicht konterkariert. Weitgehend unstrittig ist der erste Teil des Antrags, der sich mit der „sozialen Sicherheit“ in Berlin befasst, einschließlich der Unterstützung eines sozialen Grundeinkommens, das Parteichef Müller vorgeschlagen hat.

Eine zentrale Rolle wird auf dem Parteitag auch ein Antrag aus Pankow unter der Überschrift „Einkommen erhöhen und Berliner entlasten“ spielen. Das jährliche Finanzvolumen der Forderungen wird auf jährlich 800 Millionen Euro geschätzt. Ein Mindestlohn von 12,63 Euro, der in zwei Schritten erreicht werden könnte, steht im Vordergrund. Die Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Dienst auf das Niveau der Bundesbehörden bis 2021 wird wohl in abgemilderter Form beschlossen. Auch hier ist ein Konsenspapier in Arbeit.

Ingrid Müller, Ulrich Zawatka-Gerlach

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